Krieg in Osteuropa Putins Truppen formieren sich neu, Moskau droht offenbar Konzernen mit Enteignung – was in der Nacht geschah

Der ukrainische Präsident warnt die Nato. Russische Einheiten bereiten offenbar mehrere neue Offensiven vor. Und der Kreml erhöht einem Bericht zufolge den Druck auf internationale Unternehmen im Land. Der Überblick.
Rathaus von Charkiw nach russischem Beschuss (am 1. März): Neue Angriffe auf die Stadt werden erwartet

Rathaus von Charkiw nach russischem Beschuss (am 1. März): Neue Angriffe auf die Stadt werden erwartet

Foto: Pavel Dorogoy / dpa

Die russischen Einheiten in der Ukraine formieren sich derzeit an zahlreichen Orten neu. Danach werden weitere Angriffe auf Städte in verschiedenen Landesteilen befürchtet. Derweil drängt der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj auf direkte Gespräche mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin – während sein Außenminister in der ARD klare Forderungen an die Bundesregierung stellt. China soll eine Anfrage aus Russland nach Unterstützung erhalten haben, Peking hält sich aber noch bedeckt. Der Kreml hat laut einem Bericht mehreren internationalen Konzernen im Land mit Enteignung gedroht, Führungspersonal könnte verhaftet werden.

Die wichtigsten aktuellen Meldungen im Überblick:

Was in den vergangenen Stunden geschah

Nach Angaben des ukrainischen Generalstabs bereiten russische Truppen im Land mehrere neue Offensiven vor. Dafür versuchten die Einheiten, sich an bisher von ihnen eingenommenen Punkten festzusetzen, Nachschub zu sichern und sich neu zu gruppieren, heißt es in einem auf Facebook veröffentlichten Bericht . Sobald dies geschehen sei, erwarte man neue Angriffe etwa auf die Städte Charkiw im Osten, Sumy im Nordosten oder auch auf Browari, einen Vorort der Hauptstadt Kiew.

Im Gebiet Luhansk im Osten des Landes konzentriere sich Russland vor allem auf den Vormarsch in Richtung Sjewjerodonetsk. Moskau hatte am Sonntag mitgeteilt, dass Kämpfer der prorussischen Separatisten den östlichen und südlichen Teil der Stadt mit 100.000 Einwohnern blockiert hätten.

In den Orten Topolske und Schpakiwka in der Region Charkiw habe der Gegner Verluste erlitten und sich zurückgezogen, heißt es in dem Bericht. Diese Angaben sind nicht unabhängig zu prüfen.

Das sagt Kiew

In der Nacht zu Montag hat sich der ukrainische Präsident mit einer neuen Videobotschaft zu Wort gemeldet. Dabei drängte Wolodymyr Selenskyj zum einen auf direkte Gespräche zwischen ihm und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Zum anderen bekräftigte er seine Forderung nach der Einrichtung einer Flugverbotszone durch die Nato. »Wenn Sie unseren Himmel nicht abriegeln, ist es nur eine Frage der Zeit, bis russische Raketen auf Ihr Territorium, auf das Territorium der Nato und auf die Häuser von Nato-Bürgern fallen werden«, sagte Selenskyj.

Der ukrainische Außenminister war am Sonntagabend bei Moderatorin Anne Will zu Gast – und machte Deutschland dabei schwere Vorwürfe. »Es tut mir leid, das sagen zu müssen: Sie haben tatsächlich dazu beigetragen, die aktuelle Macht von Russland mit aufzubauen«, sagte Dmytro Kuleba. »Und wir hoffen, dass auch Sie entsprechend viel leisten werden, um die russische Kriegsmaschinerie anzuhalten.«

Deutschland und die Ukraine seien Partnerländer, sagte Kuleba. Er erhoffe sich aber drei Dinge von Deutschland:

  • Erstens brauche sein Land alle nötigen Waffen zu seiner Verteidigung.

  • Zweitens forderte Kuleba härtere Strafmaßnahmen gegen Russland.

  • Drittens solle die Ukraine Mitglied der Europäischen Union werden.

Das sagt Moskau

Die Regierung in Moskau soll nach Angaben von Vertretern der US-Regierung China nach dem Beginn des Kriegs in der Ukraine um militärische und wirtschaftliche Hilfe gebeten haben. Das berichten mehrere Medien, unter anderem die »New York Times«  und die »Washington Post« . Hintergrund sei, dass Russland wegen des fortschreitenden Kriegs einige Waffen ausgehen. Die namentlich nicht genannten Regierungsvertreter machten dabei keine Angaben dazu, welche Waffen oder Munition Moskau sich von Peking erhoffte. Auch blieb unklar, wie oder ob China auf die Anfragen reagierte.

Außerdem zeichnete der stellvertretende russische Verteidigungsminister mehrere Soldaten für ihren Kriegseinsatz aus: Gennadi Schidko habe elf Militärangehörigen Orden und Medaillen für ihren Mut verliehen, berichtete die russische Agentur Tass unter Berufung auf einen Bericht in der Zeitung »Roter Stern«. Demnach sind insgesamt bereits etwa 1400 russische Soldaten aus medizinischen Einrichtungen entlassen und nun in Reha-Behandlung.

Internationale Reaktionen

Der russische Angriff auf eine ukrainische Militärbasis in unmittelbarer Nähe der polnischen Grenze hatte gestern heftige internationale Reaktionen ausgelöst. Am späten Sonntagabend äußerte sich US-Außenminister Antony Blinken: »Die USA verurteilen die russische Attacke nahe der ukrainischen Grenze. Diese Brutalität muss aufhören.« Bei dem Angriff waren 35 Menschen getötet und 134 verletzt worden. Das Armeelager liegt in der Nähe der Stadt Lwiw und nur rund 20 Kilometer von Polen entfernt.

Das US-Verteidigungsministerium betonte, dass die Vereinigten Staaten und die Bündnispartner das Gebiet der Nato-Staaten im Angriffsfall verteidigen werden. »Ein bewaffneter Angriff gegen einen wird wie ein bewaffneter Angriff auf alle bewertet«, sagte Sprecher John Kirby.

Zudem sorgte der Tod von Brent Renaud für Empörung im Ausland. Der US-Journalist war in dem Kiewer Vorort Irpin mutmaßlich von russischen Einheiten erschossen worden. Berichten, wonach der Journalist für die »New York Times« im Einsatz war, widersprach das Blatt.

Wirtschaftliche Konsequenzen

Nach Facebook und Twitter ist nun auch das Onlinenetzwerk Instagram in Russland blockiert. Das bestätigten die Organisation NetBlocks und Instagram-Nutzer in Russland in der Nacht zu Montag. Der Schritt war für Mitternacht angekündigt gewesen. Die russische Medienaufsicht Roskomnadsor hatte die Sperre am Freitag erklärt. Begründet wurde sie damit, dass auf Instagram Gewaltaufrufe gegen russische Bürger und Soldaten verbreitet würden.

Das »Wall Street Journal« berichtete am Sonntag zudem, dass russischen Behörden ausländischen Unternehmen mit Verhaftungen oder der Beschlagnahmung von Vermögen gedroht hätten, falls sie sich aus Protest gegen den Krieg aus dem Land zurückziehen. Russische Staatsanwälte hätten Unternehmen wie Coca-Cola, McDonald's, Procter & Gamble und IBM kontaktiert und vor schweren Konsequenzen gewarnt, falls sie die russische Regierung kritisieren, heißt es in dem Bericht.

In Deutschland wird weiter über die erheblichen Auswirkungen der russischen Aggression auf die Energiebranche  – und damit verbundene Anstiege bei den Verbraucherpreisen diskutiert. Nun hat Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) ein neues Entlastungspaket der Bundesregierung angekündigt. Die Preisanstiege im gesamten Energiebereich seien für viele Menschen erdrückend, sagte er. Erleichterungen müsse es bei Strom, Wärme und Mobilität geben.

Finanzminister Christian Lindner (FDP) will einem Medienbericht zufolge einen staatlichen Tankzuschuss auf den Weg bringen. Die Höhe stehe noch nicht fest, berichtete die »Bild«-Zeitung am Sonntagabend. »Sie dürfte aber bei 20 Cent je Liter liegen, möglicherweise auch darüber«, heißt es in dem Bericht.

Der Internationale Währungsfonds hält gravierende Auswirkungen auf das weltweite Finanzsystem im Fall einer Staatspleite Russlands für wenig wahrscheinlich. Die westlichen Sanktionen schränkten zwar die Fähigkeit Russlands ein, auf seine Ressourcen zuzugreifen und seine Schulden zu bedienen. Derzeit sehe man aber keine Gefahr, dass ein Zahlungsausfall eine weltweite Finanzkrise auslösen könne. Das Gesamtengagement der Banken gegenüber Russland von rund 120 Milliarden Dollar sei zwar nicht unbedeutend, aber »nicht systematisch relevant«.

Wie es heute weitergeht

  • Vertreter aus Russland und der Ukraine setzen heute ihre Gespräche zur Beilegung des Konflikts fort. Dabei gehe es um »ein Resümee der vorläufigen Ergebnisse« der bisherigen Gespräche, hieß es von ukrainischer Seite. Ein Mitglied der russischen Verhandlungsdelegation erklärte, die Gespräche kämen voran.

  • Bundeskanzler Olaf Scholz reist zu seinem Antrittsbesuch in die Türkei, der ganz im Zeichen des Ukrainekriegs stehen wird. In Ankara wird er am Nachmittag Präsident Recep Tayyip Erdoğan zu einem Gespräch treffen. Die Türkei sieht sich in dem Konflikt als Vermittler. Das Nato-Land pflegt enge Beziehungen mit Kiew und mit Moskau.

  • Zudem wollen sich heute der US-Sicherheitsberater Jake Sullivan und der chinesische Spitzendiplomat Yang Jiechi über den Krieg und die Auswirkungen auf die internationale Sicherheit austauschen. Das Treffen sei in Rom geplant, teilte das US-Präsidialamt mit. Gerade mit Blick auf die angebliche Bitte aus Moskau um Hilfe aus Peking hat der Termin durchaus Brisanz.

jok/aar/dpa/Reuters
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