Parlamentswahl in Russland Google und Apple knicken vor dem Kreml ein

Bis Sonntagabend wird in Russland noch das Parlament gewählt. Die Abstimmung markiert jetzt schon einen Einschnitt: Google und Apple haben gezeigt, dass sie sich dem Druck der russischen Behörden beugen.
Von Christina Hebel, Moskau
Ein Wahllokal in Wladiwostok: Am Sonntag endet die Wahl

Ein Wahllokal in Wladiwostok: Am Sonntag endet die Wahl

Foto: Yuri Smityuk / picture alliance/dpa/TASS

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In Russland könnte man in diesen Tagen das Gefühl bekommen, als nehme Alexej Nawalny persönlich an der Duma-Wahl teil. Dabei sitzt der Kremlkritiker bereits seit acht Monaten in Haft. Die russische Führung hat alles unternommen, um die von Nawalny entwickelte Strategie »Kluges Abstimmen« (»Smart voting«) zu unterbinden. Das Team des Oppositionellen hatte eigens dafür eine Wahlempfehlungs-App veröffentlicht.

Diese ist nun für russische Nutzerinnen und Nutzer nicht mehr in den App-Stores von Apple und Google auffindbar. Die IT-Unternehmen aus den USA löschten die Nawalny-App am ersten Wahltag. Auch wenn die Abstimmung zum Unterhaus der Staatsduma noch bis Sonntagabend läuft, lässt sich schon jetzt sagen, dass die Entscheidung der Technologieunternehmen für Russland einen Einschnitt bedeutet.

Es ist bisher das größte Zugeständnis westlicher IT-Konzerne an den Kreml, der immer massiver im Internet gegen Kritiker vorgehen lässt.

Gegen das Nawalny-Team

Für die russische Führung geht es dabei um zweierlei. Sie will demonstrieren, dass die Strategie »Kluges Abstimmen« des Nawalny-Teams scheitert. Die Organisationen des Oppositionellen gelten in Russland inzwischen als »extremistisch«.

Dass die Regierungspartei Einiges Russland am Ende der dreitägigen Abstimmung wieder als Wahlsieger hervorgehen wird, steht außer Frage. Nur ist dieses Mal der Kraftakt für die Verantwortlichen in Putins Machtapparat um einiges größer. Die Kreml-Partei kam vor der Abstimmung in Umfragen nur noch auf unter 30 Prozent Zustimmung, vor fünf Jahren waren es noch mehr als zehn Prozentpunkte mehr gewesen.

Dazu kommt, dass die Direktmandate aus Sicht des Kremls eine potenzielle Schwachstelle darstellen: In den Wahlkreisen gewinnt jeweils derjenige Kandidat den Duma-Sitz, der die einfache Mehrheit der Stimmen erhält. Die Hälfte der 450 Parlamentsmandate werden so vergeben.

Hier setzen die Nawalny-Leute an: Sie versuchen die Protestwähler mit ihrer Smart-Voting-Strategie zu bündeln, um den Kandidaten oder die Kandidatin von Einiges Russland zu verhindern. Sie geben dafür die Empfehlung, für den aus ihrer Sicht jeweils aussichtsreichsten Gegner – egal welcher Partei – zu stimmen.

Das Nawalny-Team lebt inzwischen größtenteils im Exil. Der Kreml wolle beweisen, dass es keinen Einfluss im Land mehr habe, sagte der Politologe Kirill Rogow kürzlich im unabhängigen Online-Sender TV Rain. Doch weitaus kritischer sei das größere Ziel: der Kampf um das russische Internet.

Kontrolle im Internet ausweiten

Für diesen setzt die russische Führung auf immer drastischere Drohungen gegen westliche Technologieunternehmen. Außenminister Sergej Lawrow, einer der Spitzenkandidaten von Einiges Russland, kritisierte immer wieder eine angebliche »Einmischung« der USA in die Duma-Wahl und ließ sogar in Sachen Nawalny-App den US-Botschafter einbestellen. Mitglieder des Ausschusses »zum Schutz der staatlichen Souveränität« zitierten Vertreter von Apple und Google in die Duma, um sie deutlich vor Gesetzesverstößen zu warnen.

Es waren nicht die einzigen Drohungen. Russische Behördenvertreter hätten Einschüchterungsversuche und Androhungen von Strafermittlungen nicht nur an die Firmenadresse von Google, sondern auch direkt an Angestellte gerichtet, erfuhr der SPIEGEL von Personen, die mit den Vorgängen vor Ort vertraut sind. Etwa hundert Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat das US-Unternehmen in Russland. Apple hat sich bisher nicht geäußert.

Für westliche Technologieunternehmen bedeutet das, dass sie nicht nur zwischen Profitinteressen und Idealen wie der Meinungsfreiheit im Internet abwägen, sondern auch den Schutz einheimischer Angestellter gewähren müssen.

Merkwürdiges Verhalten von Telegram

Die beiden IT-Giganten Apple und Google sind nun eingeknickt. Nawalnys Mitstreiter sprechen von einem »beschämenden Akt der politischen Zensur«.

Doch sie hatten diesen Schritt wohl kommen sehen, veröffentlichten schnell ein YouTube-Video mit den Namen der von ihnen empfohlenen Kandidaten, richteten auf Telegram Bots als Back-up ein. Allerdings blockierte das Videoportal YouTube, das zum Google-Konzern gehört, den Clip für russische User am Samstagabend. Bereits Stunden zuvor hatte Telegram-Chef Pawel Durow den Zugang zu den Bots sperren lassen. Er begründete diesen Schritt in einem Post auf seinem Telegram-Kanal mit den vorgeschriebenen »Tagen der Wahlruhe«.

Seine Nachricht wirft einige Fragen auf: Laut russischem Gesetz darf am Tag vor Abstimmungen kein Wahlkampf gemacht werden. Diese Regelung war bei dieser erstmals drei Tage andauernden Duma-Wahl jedoch aufgehoben worden. Was genau also meint Durow? Dass an keinem der Wahltage mehr politisch agiert werden darf? Dann aber hätte er die Bots schon früher und nicht erst um Mitternacht des ersten Wahltags blockieren lassen müssen. Und wieso entschied er überhaupt so? Wurde auch Telegram von russischen Behörden unter Druck gesetzt? Dazu schreibt Durow, der sich gern als Hüter des freien Internets inszeniert, nichts.

Noch 2018 hatte er sich ein Katz-und-Mausspiel mit der russischen Netzaufsichtsbehörde Roskomnadzor geliefert. Die hatte damals versucht, Telegram zu blockieren. Das ging gründlich schief, weil Durow mit seiner Messenger-App auf ständig wechselnde IP-Adressen ausweichen ließ. Damals unterstützte Nawalny den Telegram-Gründer mit einer Rede auf einer Demonstration für die Internetfreiheit in Moskau.

Der Druck der Sicherheitsbehörden wird wachsen

Für den Kreml sind die Entscheidungen von Apple, Google und Telegram ein wichtiger Erfolg.

Die Sicherheitsbehörden wird das anspornen, den Druck zu erhöhen, um die Freiräume für Kritiker im Internet weiter zu beschränken. Die Lage ist bereits angespannt:

  • Betreiber westlicher Plattformen wie Facebook stehen ohnehin schon unter massiver Beobachtung in Russland. Sie mussten allein im ersten Halbjahr 2021 hohe Geldstrafen zahlen, weil sie nicht in dem von der Medienaufsichtsbehörde geforderten Umfang Inhalte blockiert hatten.

  • Die Geschwindigkeit des Kurznachrichtendienstes Twitter wurde bereits verlangsamt.

  • Mehrere Anbieter von VPNs (Virtuellen privaten Netzwerken) wurden kürzlich blockiert. Diese Netzwerke ermöglichen es, weiter eigentlich gesperrte Internetseiten im Land aufzurufen und geschützt zu surfen.

In diesem Jahr habe man einen ständigen Rückzug der Tech-Giganten gesehen, schreibt der Geheimdienstexperte Andrej Soldatow auf Twitter. »Das provoziert den Kreml, mehr Druck zu machen.« Und dieser werde noch steigen, »denn es geht nicht um die Wahl, sondern um eine Offensive gegen die Internetfreiheit«.

Mitarbeit: Max Hoppenstedt, Berlin
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