
Ohne Bewässerung geht nichts: Farm auf der Insel Santiago
Foto: Carmen Abd Ali / DER SPIEGELSchuldenerlass für Kap Verde Ein Klimadeal, der Vorbild werden könnte

In Reportagen, Analysen, Fotos, Videos und Podcasts berichten wir weltweit über soziale Ungerechtigkeiten, gesellschaftliche Entwicklungen und vielversprechende Ansätze für die Lösung globaler Probleme.
Im Hafen von Praia dockt eines dieser riesigen weißen Kreuzfahrtschiffe an, es wirkt absurd überdimensioniert am kleinen Pier, aus dem Bauch drängen deutsche Touristen in Reisebusse, die schon bereitstehen. Sie brechen auf ins Landesinnere der Insel Santiago, fahren die engen Haarnadelkurven hinauf, vorbei an den spektakulären Felsformationen. Aus ihren Fenstern sehen sie: gelbes Gras, so weit das Auge reicht. Was sie nicht sehen: grün.
Die Kapverden liegen mehr als 600 Kilometer vor der Küste Senegals, mitten im Atlantik, doch geografisch gehört die Inselgruppe zur Sahelzone. Das heißt: Es ist trocken hier, sehr trocken, nur in wenigen Wochen im Jahr regnet es. Und die Statistiken zeigen: Der Niederschlag wird immer weniger. Aber wenn es einmal regnet, dann oft so stark, dass Fluten Straßen und Häuser zerstören.
Die Kapverdischen Inseln sind in mehrfacher Hinsicht akut durch den Klimawandel gefährdet: Während die Extremwetterereignisse häufiger werden, droht der Meeresspiegel anzusteigen, zudem wird der Atlantik schon jetzt immer saurer, Korallenriffe sterben aus, viele Fische wandern in andere Gebiete ab. »Wir tragen so gut wie nichts zum Klimawandel bei, aber wir müssen ihn ausbaden«, sagt Alexandre Rodrigues, zuständiger Klimaberater im Umweltministerium.

Alexandre Rodrigues hat als Berater des Umweltministeriums den Klimadeal mit ausgehandelt
Foto: Carmen Abd Ali / DER SPIEGELEnde Januar war Uno-Generalsekretär António Guterres auf dem Archipel, auch er warnte eindringlich, die Kapverden seien »an der Frontlinie einer existenziellen Krise«, eines »Leben-oder-Tod-Notfalls«, und zeigte sich »zutiefst frustriert« darüber, dass die Regierungen im Rest der Welt nicht genug dagegen unternähmen.
Dabei hat die Inselgruppe große Pläne, der Berater des Ministeriums kann stundenlang davon erzählen, was alles getan werden könnte: Meerwasser-Entsalzungsanlagen, um Äcker zu bewässern. Windräder und Solarkraftwerke. Aquafarmen, um die Fischerei zu retten. Künstliche Korallenriffe. Die Liste ist lang. Allein es fehlt: das Geld. Aus dem überschaubaren Staatshaushalt sind all diese Maßnahmen nicht zu finanzieren.
Doch nun ist Hoffnung in Sicht. Anfang Februar hat Kap Verde einen Deal mit der ehemaligen Kolonialmacht Portugal unterzeichnet. Der sieht folgendes vor: die 140 Millionen Euro Schulden beim portugiesischen Staat werden schrittweise erlassen – unter der Voraussetzung, dass die Regierung in Praia den Betrag eins zu eins in einen Klimafonds steckt. Daraus sollen die Pläne des Umweltministeriums finanziert werden, die genauen Inhalte werden noch ausgehandelt. Kap Verde gehört zu den ökonomisch stabileren Ländern Afrikas, was die Erfolgsaussichten eines solchen Deals erhöht. Bis 2025 sollen bereits zwölf Millionen Euro in den Klimafonds fließen. »Das ist ein echter Durchbruch«, schwärmt Berater Rodrigues. »Und hoffentlich erst der Anfang, dem andere Gläubiger folgen werden.«

Landwirt Simao Dos Santos
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Mit Solarpaneelen wird eine Brunnenpumpe betrieben, doch das Wasser reicht nicht aus
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Nur spärlich wachsen die Kürbisse auf Dos Santos’ Acker
Foto: Carmen Abd Ali / DER SPIEGELSimao Dos Santos steht barfuß auf seinem Acker, jeder Schritt wirbelt Staub auf, der vom Wind sofort weggeblasen wird. Der Farmer bückt sich, er verlegt einen dünnen Plastikschlauch entlang der trockenen Furchen. Später wird Wasser hindurchfließen und durch kleine Löcher in den Boden tröpfeln. Sonst würde hier gar nichts wachsen. Dos Santos zeigt auf die linke Seite des Feldes, grüne Blätter ragen aus der Erde, in ein paar Wochen wird er Kürbisse ernten. Auf der rechten Seite des Feldes wächst kaum etwas, trotz Bewässerung. Dos Santos deutet auf eine Baumgruppe direkt neben dem Acker: »Die Wurzeln nehmen das wenige Wasser weg«, erklärt der Landwirt.
Dass er sein Feld überhaupt bewässern kann, hat er einem Projekt der Regierung zu verdanken. Ein Brunnen wurde gebohrt, Solarpaneele für Pumpen installiert, Schläuche zu den einzelnen Äckern verlegt. Doch die Freude hielt nicht lange. Wegen des ausbleibenden Regens sinkt der Grundwasserpegel in der Gegend immer weiter ab. »Wir bräuchten das Zehnfache an Wasser, um die Felder effektiv bewirtschaften zu können«, beklagt Dos Santos. Manchmal kann er eine Woche lang nicht wässern, weil die Leitungen trocken bleiben. Ein Großteil seiner Äcker liegen deswegen brach.
Nun will die Regierung eine neue Lösung ausprobieren: Eine große Entsalzungsanlage für Meerwasser soll in der Nähe gebaut werden, um so die Felder bewässern zu können. Das Umweltministerium hofft, damit die landwirtschaftliche Produktion auf der Insel deutlich anzukurbeln. Bisher müssen mehr als 80 Prozent der Lebensmittel auf Kap Verde importiert werden, ein teures Geschäft. »Die neue Entsalzungsanlage würde uns retten«, glaubt Landwirt Dos Santos. Die Regierung konnte bereits Gelder aus Ungarn für das Projekt sichern, der Schuldendeal mit Portugal käme sehr gelegen, um es weiter auszubauen.

Meerwasserentsalzungsanlage bei Praia
Foto: Carmen Abd Ali / DER SPIEGEL
Hier wird 90 Prozent des Leitungswassers von Santiago Island bereitgestellt
Foto: Carmen Abd Ali / DER SPIEGELIn der Hauptstadt Praia gibt es bereits so eine Anlage, sie versorgt die Bewohnerinnen und Bewohner der dürregeplagten Insel Santiago mit Leitungswasser – oder besser: Sie sollte sie versorgen. Der leitende Ingenieur Mario Pereira steht vor einem großen Monitor, er zeigt die verschiedenen Pump- und Filtersysteme an, vier Stränge mit jeweils 5000 Kubikmetern Kapazität. Doch nur drei Stränge leuchten grün, der vierte ist rot, heißt: kaputt. »Irgendetwas ist doch immer«, murmelt Peirera und drückt ein paar Knöpfe, was auch nichts am roten Status ändert.
Zweimal haben sie die Entsalzungsanlage bereits erweitert, 2013 und 2022, sie läuft 24 Stunden am Tag. Doch mit dem gigantischen Wachstum von Praia können die Betreiber trotzdem nicht mithalten. »Wir bedienen vielleicht 70 Prozent des Bedarfs«, sagt Ingenieur Pereira, »eigentlich bräuchten wir viel mehr Kapazität.« Auch, weil viele Brunnen und Staudämme auf der Insel längst ausgetrocknet sind, das Meerwasser die einzige Alternative ist. Der Strom für die Anlage wird vor allem mit alten Dieselgeneratoren erzeugt, eine teure und nicht gerade umweltschonende Technik. Auch das will die Regierung auf Kap Verde künftig ändern – und könnte das Geld aus dem Schuldendeal mit Portugal dafür gut gebrauchen.
Noch sind es nur Pläne, große Ideen, doch immerhin: ein Lichtblick für den von der Klimakrise geplagten Staat am westlichen Rand Afrikas. Mehrere andere Länder wie Kenia, Kolumbien, Pakistan oder Argentinien streben ähnliche Deals mit ihren Gläubigern an, in einigen zentralamerikanischen und karibischen Staaten wird das Modell bereits umgesetzt. Es könnte also Vorbild werden – auch weil die Kritik an den Industrieländern immer lauter wird, endlich stärker für die Folgen des Klimawandels im Rest der Welt aufzukommen.
Dieser Beitrag gehört zum Projekt Globale Gesellschaft
Unter dem Titel »Globale Gesellschaft« berichten Reporterinnen und Reporter aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Europa – über Ungerechtigkeiten in einer globalisierten Welt, gesellschaftspolitische Herausforderungen und nachhaltige Entwicklung. Die Reportagen, Analysen, Fotostrecken, Videos und Podcasts erscheinen in einer eigenen Sektion im Auslandsressort des SPIEGEL. Das Projekt ist langfristig angelegt und wird von der Bill & Melinda Gates Foundation (BMGF) unterstützt.
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