Chinas Führung beweist einmal mehr einen Sinn für symbolträchtige Bilder: Nur wenige Stunden nachdem die Regierung das umstrittene Sicherheitsgesetz für Hongkong erlassen hat, werden in der Sonderverwaltungszone die Flaggen gehisst: Die Feierlichkeiten zum 23. Jahrestag der Übergabe von Hongkong an die Volksrepublik senden ein unmissverständliches Signal:
Bernhard Zand, DER SPIEGEL
"Heute ist Hongkong praktisch zu einer chinesischen Stadt unter anderen chinesischen Städten geworden. Eine Stadt wie Peking, wo wir hier sind und wo sich jeder Bürger zweimal überlegt, bevor er den Mund aufmacht, was er sagt, was er tut, weil er die Macht dieses Staates hier kennt und weil er weiß, wie willkürlich China seine Paragrafen gegen ihn, den Bürger, anwenden kann."
Einstimmig hatte das chinesische Parlament am Dienstag das Sicherheitsgesetz verabschiedet - damit ist das Prinzip "Ein Land, zwei Systeme", unter dem Hongkong vor 23 Jahren übergeben wurde, de facto aufgehoben. Peking kann nun aus Demonstranten Putschisten machen. Wer das Gesetz bricht, muss mit mindestens zehn Jahren Haft rechnen, könnte aber auch lebenslang im Gefängnis landen.
Bernhard Zand, DER SPIEGEL
"Die Ungewissheit darüber, wie Chinas Führung diese Paragrafen und diese hohen Strafen tatsächlich umsetzen wird, hat schon jetzt einen starken, einschüchternden Effekt. Der Demokratie- Aktivist Joshua Wong ist Anfang dieser Woche zuerst aus seiner Partei ausgetreten, dann wurde die Partei insgesamt aufgelöst. Manche Aktivisten, die man anruft, sind sie inzwischen viel zögerlicher, überhaupt mit einem zu reden. Manche sagen auch offen, dass sie darüber nachdenken, Hongkong zu verlassen."
Auf Twitter verkündete die Polizei heute bereits, heute erstmals zwei Menschen auf Grundlage des neuen Sicherheitsgesetzes festgenommen zu haben. Ein Mann und eine Frau seien wegen des Besitzes einer Unabhängigkeitsflagge in Gewahrsam genommen worden.
Diese Demonstranten ließen sich davon offenbar nicht einschüchtern: Trotz eines Protestverbots gingen in Hongkong Tausende Menschen auf die Straße, um für den Erhalt der Autonomie zu demonstrieren. Könnte das umstrittene Gesetz den Widerstandsgeist der Hongkonger Bevölkerung womöglich sogar wieder neu entfachen?
Bernhard Zand, DER SPIEGEL
"Ob es Pekings Führung mit diesem Gesetz gelingt, Hongkong sozusagen ruhig zu stellen und die Bevölkerung dort so gefügig zu machen, wie sie es in vielen chinesischen Städten schon heute ist, oder ob dort ein möglicherweise langwieriger, ziviler Konflikt beginnt, wie wir ihn vielleicht aus Nordirland oder anderen Krisenherden kennen, das lässt sich heute natürlich noch nicht sagen. Aber in einem sind sich die, die dieses Gesetz durchgesetzt und implementiert haben, und die, die in Hongkong sitzen und sich vor diesem Gesetz fürchten, einig: Das ist ein sehr tiefer Einschnitt und der 1. Juli 2020 ist ein historischer Tag in der Geschichte Hongkongs und Chinas."
Es ist ein Tag, an dem für Hongkong eine neue Zeitrechnung beginnt.