Wahlen in der Slowakei "Wir sind die Mafia losgeworden"

In der Slowakei hat überraschend der Außenseiter Igor Matovic die Wahl gewonnen: Ein Anti-Establishment-Politiker, der mit dem Filz der Vorgängerregierung aufräumen will.
Wahlsieger Igor Matovic: es war ein überraschender Triumph

Wahlsieger Igor Matovic: es war ein überraschender Triumph

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DAVID W CERNY/ REUTERS

Der Sieger heißt Igor Matovic und seine Partei "Normale Leute und unabhängige Personen" (Olano). Dieser Name ist Programm: Matovic hatte sich im Wahlkampf vor allem als Anti-Establishment-Politiker profiliert, als Mann, der mit dem Filz der Vorgängerregierung aufräumen will. 25 Prozent brachte ihm das an den Urnen ein , die bisher regierenden Linkspopulisten von der Smer fielen mit rund 18 Prozent auf einen schlechten zweiten Platz zurück. Deklassiert sind auch die Rechtsextremisten mit knapp acht Prozent - dabei hatten sie in Umfragen monatelang als zweitstärkste Kraft abgeschnitten.

Es ist ein überraschender Sieg, Olano hatte erst kurz vor der Wahl aufgeholt, die letzten Monate über krebste die Truppe in Umfragen bei fünf Prozent herum.

Es war noch immer das Entsetzen über den Journalistenmord, das wohl die Wahlentscheidung der meisten Slowaken geprägt hat: Die letzten Wochen hat das Land den Prozess gegen den Oligarchen Marian Kocner verfolgt. Der Mann ist angeklagt, vor zwei Jahren den Mord an dem Investigativreporter Ján Kuciak und seiner Verlobten in Auftrag gegeben zu haben - als Abschreckung für andere Journalisten, die es hätten wagen können, über seine krummen Geschäfte zu berichten.

Entsetzten über Journalistenmord prägte Wahlentscheidung

Tage vor der Wahl erst wurde Kocner schon mal zu 19 Jahren Haft verurteilt, noch nicht mal für den Mord, sondern allein für Finanzdelikte. Das Verfahren gegen ihn hat die politische Klasse in Bratislava in den Augen der meisten Slowaken endgültig unmöglich gemacht, vor allem die linkspopulistische Smer. Seit 2006 regierte sie das Land fast ununterbrochen. In dieser Zeit bildete sich ein korruptes Netzwerk zwischen Politik, Business und Halbwelt heraus. Kocner steht symbolisch dafür. Er zog Staatsaufträge an Land, unterhielt beste Kontakte in die Smer-Spitze, er hatte Staatsanwälte, Richter und hohe Beamte in der Hand.

Die Wahl von Igor Matovic war vor allem eine Abstimmung gegen dieses System. "1989 haben wir den Kommunismus überwunden, 1998 den Meciarismus", sagte Matovic am Abend - Vladimír Meciar hatte das Land kurz nach der Wende fast in eine Diktatur weißrussischen Typs verwandelt: "Und 2020 sind wir die Mafia losgeworden", triumphierte der Sieger.

Er habe bereits mit der Präsidentin Zuzana Caputová telefoniert. Um eine Regierung bilden zu können, muss er sich mit einigen anderen Mitte-Parteien arrangieren.

Wie schnell das jedoch gelingt, ist unklar. Was Matovic politisch will, außer das Establishment zu entmachten, ist nur schemenhaft erkennbar. Möglicherweise muss er die konservative Partei "Wir sind Familie" mit der wirtschaftsliberalen SaS und einer weiteren eher rechtsliberalen Partei in einer Koalition zusammenlöten - ein Unterfangen, das dem 46-jährigen Unternehmer Geduld und Verhandlungsgeschick abverlangen wird.

Der nationalistischen Versuchung nicht erlegen

Lange hatte es in Umfragen so ausgesehen, als könnten Rechtsextremisten den Frust über das Smer-System für sich nutzen. Marian Kotleba heißt ihr Führer, seine Feinde sind "asoziale Roma", Migranten und die EU. Aber offenbar sind die allermeisten Slowaken dieser nationalistischen Versuchung doch nicht erlegen.

Die Tiraden Kotlebas wirkten aus der Zeit gefallen: Migranten gibt es praktisch nicht in der Slowakei, das Schreckgespenst einer "muslimischen Invasion" stammt aus dem Jahr 2015, als die Smer-Regierung half, einen EU-Verteilungsmechanismus für Flüchtlinge zu vereiteln. Die Brüsseler Union erfreut sich grundsätzlich hoher Zustimmungswerte. Das Land hat von der Mitgliedschaft profitiert, streicht seit Jahren üppige Hilfen aus Brüssel ein, Investoren aus der Autoindustrie wie Kia, Volkswagen und PSA gehören zu den größten Arbeitgebern. Den Euro hat Bratislava schon 2009 eingeführt.

Trotzdem schaffte das eindeutig proeuropäische Parteienbündnis "Progressive Slowakei/Gemeinsam", dem auch Präsidentin Zuzana Caputová entstammt, ganz knapp nicht den Einzug ins Parlament.

Der größte Verlierer der Wahl aber ist Robert Fico. Er hatte einst Smer gegründet, war insgesamt zehn Jahre lang Premier - und hatte Tür an Tür in einem Luxusapartment mit Marian Kocner gewohnt. Nach dem Mord war er zurückgetreten, konnte aber im Hintergrund noch immer die Fäden ziehen. Jetzt muss seine Partei in die Opposition und wird - soweit sind sich Beobachter einig - dort lange bleiben.

Der Olano-Chef sei ein "Clown", ein "Idiot" oder sogar ein "Psychopath", hatte Fico über Igor Matovic gesagt - besonders peinlich, das ausgerechnet er es ist, der Ficos politische Karriere wohl endgültig beendet hat.

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