Coronakrise in Spanien Jeden Tag ein neuer trauriger Rekord

Wann wird es endlich besser? Eine Frau schaut aus dem Fenster eines Pflegeheims in Madrid.
Foto: Eduardo Parra/ dpaVormittags um halb zwölf tritt Fernando Simón vor die Presse. Mit zerzausten Haaren und gebrochener Stimme verkündet der schmächtige Epidemiologe den Spaniern das Unheil. Seine Ansprache ist zu einem traurigen Ritual geworden: Simón überbringt fürchterliche Nachrichten, sie überschatten den Tag.
In Spanien sind inzwischen etwa 5700 Menschen an Covid-19 gestorben. Innerhalb eines Tages waren es zuletzt 832. Die Zahl ist ein neuer trauriger Rekord, nur Italien verzeichnet derzeit mehr Tote pro Tag. Das Land erlebt einen medizinischen und politischen Albtraum. Der einzige Hoffnungsschimmer: Prozentual betrachtet steigt die Zahl der registrierten Fälle von Infizierten nicht mehr so stark wie noch vor ein paar Tagen.

Verkündet immer wieder schlechte Nachrichten: Fernando Simón
Foto: SPANISH GOVERNMENT PRESS OFFICE/HANDOUT/EPA-EFE/ShutterstockDas wahre Ausmaß der Krise wird allerdings wohl erst in ein paar Wochen oder Monaten zu ermessen sein. Spanische Experten haben die aktuellen Todesraten mit denen vergangener Jahre abgeglichen, die Zeitung "El País" berichtete am Samstag über ihren Bericht. Das Ergebnis: In einigen Landesteilen sterben doppelt so viele Menschen wie sonst. Die Zahl der von den Behörden als Covid-19-Tote registrierten Fälle reicht an diese Differenz nicht heran, es könnte also möglicherweise noch deutlich mehr Corona-Tote geben als bisher bekannt, gesichert sind diese Erkenntnisse aber noch nicht.
Ein ähnliches Bild dürfte sich in einigen Monaten in vielen anderen Ländern ergeben, in Frankreich und Italien fließen beispielsweise Tote in Altersheimen nicht immer in die Corona-Statistik ein, weil sie vorher nicht getestet wurden. In Spanien gibt es nun ähnliche Berichte.
Die Altenheime werden zu Todesfallen

Hunderte Tote in den Heimen: Sicherheitskräfte bereiten sich auf einen Desinfektionseinsatz vor
Foto: Ricardo Rubio/ dpaBesonders die Altenheime verwandeln sich in Todesfallen, in Spanien ist der Anteil der Opfer der über 80-Jährigen deutlich größer als in Italien oder China. Mehr als 1500 Senioren seien in Altersheimen gestorben, berichtet der Radiosender "Cadena Ser". Jeden Tag birgt das Militär Tote aus den Heimen und desinfiziert die Einrichtungen, die oft von privaten Trägern geführt werden und einen Profit erwirtschaften müssen. Schon jetzt ist klar, dass die Versorgung der Ältesten in Spanien künftig anders geregelt werden muss.
Die Krise hat das Leben im Land komplett verändert. Im Fernsehen laufen fast nur noch Werbefilme, die darauf hinweisen, dass man doch bitte zu Hause bleiben möge. Fast jede Familie kennt jemanden, der am Virus erkrankt ist. In vielen größeren Städten werden Feldlazarette und mobile Krankenhäuser aufgebaut, der Eispalast in Madrid hat sich in eine Leichenhalle verwandelt. Eine rechte Zeitung bietet Rabatt auf Todesanzeigen an.
Inés Lipperheide, Ärztin in Madrid
Während in anderen Ländern diskutiert wird, wie man zurück zur Normalität finden kann, stellt diese Frage in Spanien bisher kaum jemand. Immer wieder hat Premierminister Pedro Sánchez die Bürger gewarnt; das Schlimmste stehe noch bevor, sagte er.
Am 14. März hatte Sánchez offiziell den Notstand ausgerufen und eine vergleichsweise strikte Ausgangssperre verkündet. Die meisten Läden haben geschlossen, sogar das Joggen im Park oder der Besuch bei Verwandten ist verboten. Mit dem Hund darf man Gassi gehen, aber auch nur in der Nähe des eigenen Hauses.
Sánchez hat diese Ausgangssperre nun noch deutlich verschärft. Alle Mitarbeiter von "nicht-lebenswichtigen" Unternehmen sollen ab Montag bis zum 9. April zu Hause bleiben. Der Premierminister schickt sie also quasi in einen Zwangsurlaub. Währenddessen sollen die Angestellten weiter ihr Gehalt bekommen, die Arbeitsstunden sollen sie später nachholen. Bisher waren die Spanierinnen und Spanier aufgefordert, möglichst von zu Hause zu arbeiten. Angestellte durften aber weiter ihrer Arbeit nachgehen.
Einige Experten fordern den fast vollständigen Lockdown
Der katalanische Mediziner Oriol Mitja ist einer derjenigen, die solche Maßnahmen bereits seit Tagen gefordert haben. Mit seinem Team erforscht er, wie sich die Ausbreitung des Virus verlangsamen lässt. Schon Ende Februar hatte Mitja sich für Verbote von Großveranstaltungen und weitere drastische Einschränkungen eingesetzt. "Wir reagieren nur, statt zu antizipieren", schrieb er damals. Jetzt fordert er zusammen mit weiteren Kollegen unter anderem einen fast vollständigen Lockdown in den Gebieten, die besonders schwer betroffen sind. Andernfalls würden die Intensivstationen in den Krankenhäusern noch bis zum 24. April überlastet sein.

Neue Betten für die Intensivstation: Die Krankenhäuser in Spanien sind überlastet
Foto: Ricardo Rubio/ dpaInés Lipperheide arbeitet auf einer dieser Stationen als Ärztin. Ihr Krankenhaus liegt im Westen Madrids, dem Zentrum der Epidemie in Spanien. In der Hauptstadt sind bisher am meisten Patienten gestorben, ältere Patienten werden hier zum Teil nicht mehr beatmet. "Ich fühle mich überfordert", schreibt die 37-Jährige am Samstagnachmittag per WhatsApp. Das System im Krankenhaus kollabiere. Alles werde darauf ausgerichtet, so viele Patienten wie möglich beatmen zu können. "Ich habe Angst vor den kommenden Wochen", schreibt sie. "Unsere einzige Hoffnung ist, dass die ersten Patienten beginnen, die Station zu verlassen."
Krisenmanager Simón sieht währenddessen erste Anzeichen der Besserung. "Die Daten der letzten Tage deuten darauf hin, dass wir uns dem Höhepunkt nähern", sagte er am Samstag. Das ganze Land wartet sehnsüchtig auf den Moment, der zumindest ein bisschen Hoffnung verspricht. Gut möglich, dass Simón bis dahin noch einige Male mit schlechten Nachrichten vor die Kameras treten muss.