Der Sudan nach dem Rücktritt des Ministerpräsidenten »Man kann die Rechnung nicht ohne die Militärs machen«

Ihr Job gehört zu den schwierigsten diplomatischen Missionen der Welt: Annette Weber soll im Auftrag der EU für Frieden im Sudan sorgen. Hier erklärt sie, warum der Übergang zur Demokratie so kompliziert ist.
Ein Interview von Heiner Hoffmann, Nairobi
Sicherheitskräfte bei einer Demonstration in Sudans Hauptstadt Khartum am 25.12.2021

Sicherheitskräfte bei einer Demonstration in Sudans Hauptstadt Khartum am 25.12.2021

Foto: - / AFP
Globale Gesellschaft

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Sie hat es schon geahnt. Am Silvestertag hatte Annette Weber noch mit dem sudanesischen Premierminister Abdalla Hamdok telefoniert, da war die aussichtslose Lage längst klar. Er sprach am Telefon von einer Sackgasse. Drei Tage später trat er zurück, nun steht das Land erneut vor einem Scherbenhaufen.

Dabei begann die Revolution schon 2018. Die Einwohnerinnen und Einwohner des Sudan hatten genug vom damaligen Langzeitdiktator Omar al-Bashir, zu Zehntausenden gingen sie auf die Straße. Mithilfe des Militärs wurde der Machthaber im April 2019 schließlich weggeputscht. Die Revolution schien geglückt.

Im April 2019 wurde er nach anhaltenden Protesten weggeputscht: Langzeitdiktator Omar al-Bashir

Im April 2019 wurde er nach anhaltenden Protesten weggeputscht: Langzeitdiktator Omar al-Bashir

Foto: Mohamed Abuamrain / picture alliance / dpa

Doch bald wurde klar, dass das Militär die Macht so schnell nicht wieder abgeben will. Also gingen die Proteste weiter, die Demonstranten gaben nicht auf, organisierten einen Generalstreik. Im Juli 2019 kam es schließlich zu einer Einigung: Militär und zivile Kräfte sollten sich die Macht teilen, bis ein Parlament gewählt und eine rein zivile Regierung eingesetzt werden könnte.

Von Anfang an stand dieser Kompromiss auf wackligen Beinen, im Oktober vergangenen Jahres eskalierte die Lage wieder: Das Militär putschte wieder, dieses Mal gegen den zivilen Premierminister Abdalla Hamdok, er wurde in Hausarrest genommen. Armee-Oberbefehlshaber General al-Burhan übernahm die Macht. Der Aufschrei der internationalen Gemeinschaft war groß, die Massenproteste im Land flammten wieder auf. Die Putschisten standen mit dem Rücken zur Wand.

Die Proteste gehen weiter: Eine Demonstrantin in Khartum am 4. Januar – nach dem Rücktritt von Premierminister Abdalla Hamdok

Die Proteste gehen weiter: Eine Demonstrantin in Khartum am 4. Januar – nach dem Rücktritt von Premierminister Abdalla Hamdok

Foto: - / AFP

Im November ließ sich das Militär schließlich erneut auf einen Kompromiss ein, an dem auch Annette Weber, die EU-Sonderbeauftragte für das Horn von Afrika, mitgewirkt hatte: Hamdok wurde als Premierminister wieder eingesetzt, er sollte erneut eine Art Übergangsregierung bilden. Doch auch dieser Deal hielt nicht lange. Die Regierung kam nie zustande, die Protestierenden in Khartum verurteilten es als »faulen Kompromiss«.

Hamdok hatte also kaum eine Wahl, als den Weg wieder freizumachen. Nun steht der Sudan erneut vor einer Richtungsentscheidung: Wird das Militär die Macht gänzlich übernehmen? Oder setzen sich die zivilen Kräfte doch noch durch? Die Proteste gehen weiter, auch am Dienstag waren wieder Tausende Menschen auf der Straße. Die Sicherheitskräfte reagieren weiterhin mit Gewalt und Tränengas, mindestens 56 Menschen sind seit dem Putsch im Oktober 2021 umgekommen.

Zur Person
Foto: Stiftung Wissenschaft und Politik

Annette Weber, Jahrgang 1967, ist seit 1. Juli 2021 EU-Sonderbeauftragte für das Horn von Afrika. Zuvor war die Politikwissenschaftlerin unter anderem als Expertin für die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) sowie für die Menschenrechtsorganisation Amnesty International tätig. Die Deutsche hat mehr als 25 Jahre Erfahrung in der Region und war als Vermittlerin an zahlreichen Friedensgesprächen beteiligt.

SPIEGEL: Frau Weber, wir haben im Oktober ein Interview mit Ihnen geführt, kurz nach dem Putsch. Damals waren Sie hoffnungsfroh, dass der demokratische Übergang gerettet werden kann. Ist die Hoffnung jetzt verschwunden?

Annette Weber: Nein, die Hoffnung verschwindet nie. Aber wir haben jetzt eine extrem schwierige Situation. Wir sind zurück auf Los oder sogar dahinter. Ich hatte an Silvester mit Premierminister Hamdok gesprochen, und da hat er bereits gesagt: Wir befinden uns in einer Sackgasse. Das Problem ist nicht nur, mit den Militärs eine Lösung hinzubekommen. Es gibt auch das Unvermögen der zivilen Gruppierungen, an einem Strang zu ziehen. Wir haben ganz viele Fraktionen, die nicht miteinander kommunizieren. Es ist jetzt unsere Aufgabe als internationale Staatengemeinschaft, viel mehr mit den zivilen Akteuren zusammenzuarbeiten. Natürlich sind die Militärs auch wichtig, klar. Es müssen harte Ansagen an sie erfolgen, aber bevor die zivile Seite sich nicht zumindest auf einen Grundkonsens einigt, wie es jetzt weitergehen kann, sehe ich kein Weiterkommen.

Erst weggeputscht, dann wieder eingesetzt, jetzt zurückgetreten: Ex-Premierminister Abdalla Hamdok

Erst weggeputscht, dann wieder eingesetzt, jetzt zurückgetreten: Ex-Premierminister Abdalla Hamdok

Foto: OMER MESSINGER / EPA

SPIEGEL: Die EU hat gemeinsam mit den USA, Großbritannien und Norwegen ein Statement herausgegeben. Darin heißt es, ein vom Militär ernannter Premierminister werde nicht anerkannt. Glauben Sie wirklich, das wird das Militär beeindrucken?

Weber: Ich denke schon. Meine Gespräche in den vergangenen Monaten mit General al-Burhan waren auch immer ganz deutlich: Ohne die Einbindung der zivilen Seite wird die finanzielle Unterstützung, werden die Entwicklungsgelder nicht wieder ausgezahlt. Früher hat sich das Militär nicht groß um eine solche Isolation geschert. Jetzt hat es selbst ein Interesse an einer Normalisierung der internationalen Beziehungen. Und die wird es nur geben, wenn die internationalen Geber wieder Vertrauen in den Sudan haben. Es gab eine Revolution durch die Zivilbevölkerung, von jungen Frauen bis zu alten Omas, von Arbeitslosen bis zu Spitzenverdienern. Und die müssen wir aus europäischer Sicht weiter unterstützen.

SPIEGEL: Bisher konnte sich der Westen nicht geschlossen auf Sanktionen gegen die Militärs einigen. Ist es nun an der Zeit dafür?

Weber: Ich glaube, jetzt wäre der falsche Zeitpunkt. Wir müssen erst mal in Gespräche kommen. Aber natürlich hängt es davon ab, wie sich die Militärs weiterhin verhalten werden. Wenn die Gewalt gegen friedlich protestierende Menschen so anhält, dann ist es natürlich schwierig, solche Gespräche zu führen.

SPIEGEL: War der Kompromiss im November, der dem Militär weiterhin eine Machtposition gesichert hat, ein Fehler? Die Bevölkerung ist dagegen auf die Straße gegangen, jetzt ist der Deal implodiert.

Weber: Es wäre zu einfach, das so zu sehen. Was die Menschen im Sudan tatsächlich wollen, ist schwer zu beantworten. Wir sehen die Leute auf den Straßen der Hauptstadt Khartum. Aber wir wissen wenig darüber, was auf dem Land eigentlich los ist. Es war ja auch nicht so, dass nach dem Deal im November gleich die große Euphorie ausgebrochen wäre. Wir haben klar gesagt: Wir sehen das nur als ersten Schritt. Die Gelder sind weiterhin eingefroren und die Beziehungen zu den Militärmachthabern keineswegs positiv.

SPIEGEL Würden Sie sich noch mal auf so ein Szenario einlassen?

Weber: Hamdok wird nicht zurückkommen. Und die Ernennung eines neuen Premierministers ausschließlich durch das Militär werden wir nicht hinnehmen. Es bedarf jetzt der Wahl eines Nachfolgers und dieser Prozess muss von den zivilen Kräften ausgehen. Der Premierminister muss dann im Einverständnis mit den zivilen Kräften das Kabinett bestellen. Und dann müssen die einzelnen Gruppen der zivilen Seite ihre Kandidaten und Kandidatinnen für das Parlament vorstellen.

»Es ist ganz klar eine Region, wo der Knackpunkt ein ideologischer ist: Autoritarismus gegen Demokratisierung.«

Annette Weber, EU-Sonderbeauftragte für das Horn von Afrika

SPIEGEL: Kann das Militär noch einmal an so einem Übergang beteiligt sein?

Weber: Die Glaubwürdigkeit ist enorm angegriffen. Das wird auch täglich klar durch die weitere Gewalt gegen Demonstrierende. Auf der anderen Seite muss man die Realität vor Ort sehen: Das sind die Männer mit den Gewehren, die haben das Gewaltmonopol auf ihrer Seite. Man kann die Rechnung also nicht ohne die Militärs aufmachen.

SPIEGEL: Viele Golfstaaten stehen hinter dem sudanesischen Militär, auch Ägypten gilt als Unterstützer. Russland fädelt Deals mit der Armee ein und hat Söldner vor Ort. Ist es am Ende also ein großer geopolitischer Streit – autoritäre Systeme gegen die Idee westlicher Demokratie?

Weber: Ja, das ist das Mantra der Stunde. Das sehen wir auch in anderen Ländern der Region. Geostrategisch ist das Horn von Afrika enorm wichtig. Für die EU ist es wichtig, weil dort Migrationsströme durchlaufen und dschihadistische Gruppierungen unterwegs sind. Es ist ganz klar eine Region, wo der Knackpunkt ein ideologischer ist: Autoritarismus gegen Demokratisierung. In unseren Ansichten über die politische Zukunft der Region unterscheiden wir uns fundamental. Es geht zudem um Handelsinteressen, das überlappt sich teilweise.

Mindestens 56 Menschen sind bei den Protesten gegen die Militärführung im Sudan ums Leben gekommen, zahlreiche weitere wurden teils schwer verletzt

Mindestens 56 Menschen sind bei den Protesten gegen die Militärführung im Sudan ums Leben gekommen, zahlreiche weitere wurden teils schwer verletzt

Foto: - / AFP

SPIEGEL: Die wirtschaftliche Situation im Sudan ist katastrophal, das Land ist dringend auf einen Schuldenschnitt und Geld von außen angewiesen. Die Gelder aus dem Westen bleiben eingefroren. Ist dieses Druckmittel nicht hinfällig, wenn die Unterstützer am Golf oder Russland einspringen?

Weber: Es geht um 23 Milliarden US-Dollar. Ich sehe nicht, dass die Golfstaaten oder gar Russland 23 Milliarden mobilisieren, um den Sudan da rauszuholen. Deshalb glaube ich, dass Geld als Druckmittel weiterhin ziemlich gewichtig ist.

SPIEGEL: Wie sieht Ihr Job im Sudan in den nächsten Tagen und Wochen aus?

Weber: Ich bin praktisch ständig am Telefon und ich werde nächste Woche nach Khartum reisen, vorher nach Ägypten. Die Gespräche finden weiterhin mit allen Beteiligten statt, aber der Fokus wird jetzt deutlich mehr auf der zivilen Seite liegen.

Dieser Beitrag gehört zum Projekt Globale Gesellschaft

Unter dem Titel »Globale Gesellschaft« berichten Reporterinnen und Reporter aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Europa – über Ungerechtigkeiten in einer globalisierten Welt, gesellschaftspolitische Herausforderungen und nachhaltige Entwicklung. Die Reportagen, Analysen, Fotostrecken, Videos und Podcasts erscheinen in einer eigenen Sektion im Auslandsressort des SPIEGEL. Das Projekt ist langfristig angelegt und wird von der Bill & Melinda Gates Foundation (BMGF) unterstützt.

Ein ausführliches FAQ mit Fragen und Antworten zum Projekt finden Sie hier.

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