Corona in Südafrika "Die Regierung sucht Lösungen aus der Perspektive der Oberschicht"

Südafrika ist ein tief gespaltenes Land, und das behindert die Eindämmung des Coronavirus, sagt der renommierte Politikwissenschaftler Steven Friedman. Die Folgen für Menschen und Wirtschaft sind fatal.
Ein Interview von Fritz Schaap, Kapstadt
Township neben Häusern der Mittelklasse in Südafrika: Gespaltene Gesellschaft

Township neben Häusern der Mittelklasse in Südafrika: Gespaltene Gesellschaft

Foto: fivepointsix/ iStockphoto/ Getty Images

SPIEGEL: Die Zahl der Coronavirus-Infektionen in Südafrika nimmt stark zu, mehr als 530.000 Fälle sind registriert. Das sind mehr als die Hälfte aller offiziell in Afrika gemeldeten Infizierten. Warum bekommt die Regierung die Pandemie nicht in den Griff?

Friedman: Dafür gibt es im Wesentlichen zwei Gründe: Der eine ist, dass sie das Testen und die Rückverfolgung von Infektionsketten nie richtig hinbekommen hat. Die südafrikanische Regierung spricht viel darüber, wie viele Tests sie durchführt, aber das ist nicht der entscheidende Punkt. Die Tests kommen nicht schnell genug zurück. Manchmal bleiben sie tage-, manchmal wochenlang im Labor liegen. Das macht es schwierig, das Virus zu stoppen.

Zur Person
Foto: privat

Steven Friedman ist einer der renommiertesten Politikwissenschaftler Südafrikas. Er ist Professor an der Universität Johannesburg und Leiter des Centre for the Study of Democracy.

SPIEGEL: Und der zweite Grund?

Friedman: Die Regierung hat kein sehr gutes Verhältnis zu einem großen Teil der Menschen, von denen sie gewählt wurde. Ich meine vor allem zu Menschen, die in Townships leben. Die Regierung traut ihnen nicht. Sie will nicht mit ihnen arbeiten. Man versucht, sie zu kontrollieren. Das kann aber natürlich nicht funktionieren.

SPIEGEL: Es werden Verordnungen an der Realität vorbei geschaffen?

Friedman: Die Politiker sitzen in ihren Büros und mahnen zu Social Distancing. Aber die einzige Möglichkeit, wie die ärmeren Menschen von A nach B kommen, ist in einem überfüllten Taxi. Man erklärt den Leuten, dass sie sich regelmäßig die Hände waschen müssen. Aber wenn sie kein sauberes Wasser haben, wie soll das funktionieren?

"Wir haben hier zwei Welten in einem Land"

SPIEGEL: Woher kommt dieses gestörte Verhältnis zwischen der Elite und dem armen Teil der Bevölkerung?

Friedman: Im Gegensatz zu anderen afrikanischen Ländern südlich der Sahara ist Südafrika sowohl Erste Welt als auch Dritte Welt. Wir haben hier zwei Welten in einem Land. Ein bedeutender Teil der Bevölkerung lebt wie wohlhabende Menschen in Nordamerika und Westeuropa. In der Welt der wohlhabenden Vorstädte haben die Menschen Zugang zu allen Einrichtungen, wie man sie aus reichen Ländern kennt. Und sie verhalten sich entsprechend. Das ist der Standard, nach dem sich Elite und Regierung richten. Aus dieser Perspektive suchen sie Lösungen. Das Problem ist, dass rund 80 Prozent der Bevölkerung des Landes nicht unter diesen Bedingungen leben. In den Townships und in ländlichen Gegenden leben die Menschen wie in den armen Ländern Afrikas.

SPIEGEL: Die Regierung wird in ihren Entscheidungen hauptsächlich von den Bedürfnissen und Forderungen der Elite beeinflusst?

Friedman: Die gesamte Reaktion der Regierung auf die Pandemie war chaotisch. Am Anfang sagte sie, sie würde sich nach der Wissenschaft richten. Dann fing sie an, auf Lobbygruppen zu hören. So wurden alle möglichen Beschränkungen aufgehoben, während die Fallzahlen rapide anstiegen. Und Menschen des reichen Teils der Gesellschaft sind natürlich in einer viel besseren Position, Lobbyarbeit zu betreiben.

SPIEGEL: Der Druck der Wirtschaft wurde zu groß?

Friedman: Das ist der einzige Druck, dem die Regierung ausgesetzt ist. Wenn es keinen wirklichen Druck gibt, das Virus zu bekämpfen, sondern nur, die Beschränkungen aufzuheben, dann muss man kein Raketenwissenschaftler sein, um zu ahnen, was passieren wird: genau das, was passiert ist. Die Institutionen, die für den Teil des Landes konzipiert sind, der unter Erste-Welt-Bedingungen lebt, haben schlicht nicht die Kapazitäten, nun die ganze Bevölkerung zu versorgen.

SPIEGEL: Südafrika traut sich mehr zu, als es kann?

Friedman: Absolut. Die von der Regierung gewählte Strategie stützt sich auf die Infrastruktur der Reicheren. Diese Infrastruktur kann aber nicht auch noch den Rest der Menschen versorgen. Der Stau bei den Tests ist dafür das beste Beispiel. Anstatt zu versuchen, Lösungen zu finden, die der tatsächlichen Situation angemessen sind, konzentriert sie sich auf einen High-End-Ansatz, der nicht funktioniert.

SPIEGEL: Das gesamte Lockdown-Konzept ist ein Ansatz, der nur in reichen Ländern funktioniert, die es sich leisten können, ihre Bevölkerung eine Zeit lang zu finanzieren. Das ist in Südafrika, ist in Afrika im Allgemeinen nicht möglich. Wie hätte die Regierung Ihrer Meinung nach reagieren sollen?

Friedman: Ich denke, dass die strikten Beschränkungen, die im März erlassen wurden, notwendig waren. Wäre die gewonnene Zeit so genutzt worden, um ein wirklich effektives Test- und Rückverfolgungssystem und ein effektives, bürgernahes Überwachungsverfahren einzuführen, dann hätte es auch funktionieren können. Aber es wurde nie versucht, mit den Bürgern des Landes zu arbeiten. Die Regierungsleute hätten dort hingehen müssen, wo sich die Menschen versammeln, zu religiösen Organisationen, zu Schulleitungen, in Gesundheitseinrichtungen. Sie hätten mit den Menschen reden und sie als Partner begreifen müssen. Aber sie sehen die Menschen eben nicht als Partner.

SPIEGEL: Deswegen der massive Einsatz von Polizei und Militär?

Polizisten in einem Township in Johannesburg: Seife und Informationen für die Anwohner

Polizisten in einem Township in Johannesburg: Seife und Informationen für die Anwohner

Foto: Michele Spatari/ AFP

Friedman: Die Elite denkt, die Menschen in den Townships verstünden komplizierte Dinge wie Viren nicht. Und es habe keinen Sinn, hinauszugehen und zu versuchen, ihnen diese Dinge zu erklären. Also hat die Regierung rund 70.000 Soldaten auf die Straßen geschickt und eine Reihe von Anweisungen erlassen. Das hat natürlich nicht funktioniert.

SPIEGEL: Warum?

Friedman: Zum Teil, weil sie von den Leuten Dinge verlangen, die unmöglich sind. Nehmen wir das Beispiel der voll ausgelastet fahrenden Taxis: Der schnellste Weg, um das Virus zu verbreiten, ist, eine Menge Leute in Taxis zu stopfen. Die Menschen fahren aber nicht mit Taxis, weil sie es wollen, sondern weil diese oft die einzige Möglichkeit sind, sich fortzubewegen - letztlich um nicht zu verhungern. Aber die Regierung zeigt keinerlei Verständnis für dieses Problem.

SPIEGEL: Es häufen sich die Nachrichten über Korruption im Umgang mit Corona-Geldern. Wie sehr schadet die Korruption der Eindämmung der Pandemie?

"Das Problem für die Wirtschaft sind nicht die Vorschriften. Das Problem ist das Virus"

Friedman: Es geschieht hier sehr oft, dass die Menschen im Staatsapparat ihre Ämter nutzen, um ihre eigenen Interessen zu verfolgen. Das geht natürlich auf die Kosten der Allgemeinheit. Wenn also Lebensmittelpakete verschwinden, dann nicht, weil jemand nicht weiß, wie er sie zu den Menschen bringen kann. Sondern weil jemand sie gestohlen hat, um Geld zu verdienen. Wie groß die Auswirkungen auf die Pandemie sind, ist schwer zu sagen.

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SPIEGEL: Was kann getan werden, um eine Wende herbeizuführen?

Friedman: Der Fokus der Geschäftswelt und der Medien liegt auf Beschränkungen und Vorschriften. Niemand scheint mehr wirklich an Tests und Rückverfolgung interessiert. Das Problem für die Wirtschaft aber sind nicht die Vorschriften. Das Problem für die Wirtschaft ist das Virus. Das muss verstanden werden. Es ist nicht zu spät, das zu ändern. Hätten die Lobbygruppen erkannt, dass die oberste und einzige Priorität, die diese Gesellschaft auch im Sinne der Wirtschaft haben sollte, die Eindämmung des Virus ist, dann befänden wir uns jetzt in einer ganz anderen Lage. Auch wirtschaftlich. Man kann wie in Teilen Amerikas versuchen, alle Beschränkungen aufzuheben. Aber man bekommt dann nicht nur explodierende Infektionszahlen, sondern es verdienen auch nur noch wenige Geld.

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