Südafrika rechnet mit dritter Coronawelle »Es wird verheerend sein für das Land«

Trotz der gefährlichen Mutante ist die zweite Coronawelle in Südafrika vorüber. Doch das Land hat nur eine kurze Verschnaufpause vor sich, befürchtet Regierungsberaterin Glenda Gray.
Ein Interview von Fritz Schaap

SPIEGEL: Frau Gray, Südafrika hat die zweite Welle hinter sich. Die Zahlen sind auf ähnlichem Niveau wie nach der ersten Welle, täglich werden zwischen 1000 und 2000 Neuninfektionen registriert. Wie ist das gelungen?

Gray: Ich denke, es ist ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren. Die Regierung hat ziemlich strikte Maßnahmen verhängt. Ausgangssperren, ein Verbot von Alkohol, Einschränkung der Bewegungsfreiheit im öffentlichen Raum, wie an Stränden, Flüssen und in Parks. Der zweite Faktor ist, dass die Reproduktionszahl zu sinken beginnt, wenn man auf Gemeindeebene eine kritische Masse an Infizierten erreicht, weil es dann eine große Gruppe von Menschen gibt, die in der Gemeinde bereits infiziert sind und Antikörper in sich tragen. In Kombination mit Maßnahmen wie Bewegungseinschränkungen und Ausgangssperren gelingt es dann, die Infektionsrate und die Weiterverbreitung sehr viel erfolgreicher zu kontrollieren.

Zur Person
Foto: Mujahid Safodien / AFP

Glenda Gray, 58, ist eine südafrikanische Wissenschaftlerin und Pionierin im Kampf gegen HIV. Das »Time Magazine« wählte sie 2017 unter die 100 einflussreichsten Menschen des Jahres. Seit 2014 ist sie, als erste Frau, Präsidentin des South African Medical Research Council. Sie leitet das südafrikanische Covid-19-Forschungskomitee, das den Gesundheitsminister berät.

SPIEGEL: Das heißt aber, es gibt Gemeinden, wo bereits so viele Menschen infiziert wurden, dass eine Ausbreitung nur noch langsam stattfindet?

Gray: Eine Prävalenzerhebung auf nationaler Ebene sowie Analysen von Blutspenden haben ergeben, dass es hohe Raten vorangegangener Infektionen gibt. Es hängt von der Bevölkerungsgruppe ab, aber die Zahlen der bereits Infizierten liegen irgendwo zwischen 25 und 60 Prozent.

»Die Zahlen der bereits Infizierten liegen irgendwo zwischen 25 und 60 Prozent.«

SPIEGEL: Was nun aber trotzdem nicht zwangsläufig einen Schutz darstellt.

Gray: Es ist kompliziert, weil wir eine Mutante haben, bei der es vorkommt, dass eine vorherige Infektion unter bestimmten Umständen keinen Schutz mehr bietet.

SPIEGEL: Wie sehr hat die neue Mutante, die um bis zu 50 Prozent ansteckender ist, die zweite Welle in Südafrika geprägt?

Gray: Die zweite Welle war weitaus schlimmer als die erste. Es gab mehr Tote und mehr Infizierte. Und das, obwohl sie im Sommer stattfand. Unsere erste Welle, die milder verlief, hatten wir im Winter.

SPIEGEL: Wie hoch ist das Risiko von Reinfektionen mit der neuen Mutation?

Gray: Wir haben in Südafrika Berichte über Reinfektionen. In welchem Ausmaß, können wir schwer sagen, da wir nicht wissen, wie viele der Neuinfizierten vorher schon infiziert waren. Es hängt davon ab, wie schwer ihre erste Infektion war. Welche Art von Antikörperreaktion sie hatten. Es muss dazu noch viel geforscht werden.

So lassen sich weitere Wellen noch verhindern

SPIEGEL: Sie haben in der Vergangenheit nicht nur vor einer dritten, sondern auch einer vierten und fünften Welle geredet. Denken Sie immer noch, dass es so kommen wird?

Gray: Sicherlich. Wenn wir die Übertragungsketten in den Gemeinden nicht kontrollieren oder verhindern, werden wir weiterhin Probleme haben. Wenn die Menschen über lange Zeit das Virus weiterverbreiten, werden wir neue Mutanten sehen, die dann in der nächsten Welle mehr Übertragungen verursachen können.

SPIEGEL: Wann wird die nächste Welle kommen?

Gray: Um Ostern herum, wenn es anfängt, kalt zu werden. Über die Osterfeiertage werden viele Menschen durch das Land reisen und es werden Superspreader-Events wie Gottesdienste stattfinden. Und wenn der Winter anfängt, werden sich die Menschen weniger draußen aufhalten und sich in teils kleinen, engen Unterkünften drängen.

Ohne Impfungen drohen weitere Mutanten des Virus

SPIEGEL: Auch in der zweiten Jahreshälfte sieht es nicht viel besser aus.

Gray: Ja. Das geringe Tempo der Impfungen behindert uns. Wir versuchen natürlich, alle Mitarbeiter des Gesundheitswesens vor dem Winter zu impfen. Aber die Impfstoffversorgung ist ein Problem. Im Moment haben wir nur eine halbe Million Dosen des Johnson-&-Johnson-Impfstoffs. Die Regierung verhandelt gerade über einen weiteren Deal mit Johnson & Johnson und Pfizer. Hoffentlich werden wir dadurch im April oder Mai mehr Impfstoffe ins Land bekommen. Aber das Problem ist: Solange ein Virus im Umlauf ist, wird es eine Evolution geben – in Südafrika oder in anderen Teilen der Welt, wo die Impfungen nicht ausreichen.

SPIEGEL: Reiche Länder, die mehr Impfstoffe kaufen, als sie eigentlich brauchen, erhöhen das Risiko, dass das Virus in einer anderen Form zu ihnen zurückkommt?

Gray: Ja. Außerdem sprechen wir von Impfstoffen der ersten Generation. Es ergibt keinen Sinn, Millionen von Impfstoffdosen zu bunkern, die man möglicherweise nicht mehr verwenden kann, wenn neue Varianten auftauchen. Die Aufgabe sollte eher sein, die erste Generation von Impfstoffen so schnell wie möglich auf der ganzen Welt zu verteilen.

Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa bei der Impfung

Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa bei der Impfung

Foto: POOL / REUTERS

SPIEGEL: So sind weitere, schlimmere Wellen in Südafrika und in ganz Afrika unvermeidlich?

Gray: Auf jeden Fall. Eine Welle im Winter ist immer ziemlich brutal. Es ist schrecklich, dass in Südafrika bereits 143.000 Menschen gestorben sind – das sind nämlich unsere Zahlen zur Übersterblichkeit. Eine noch schlimmere dritte Welle ist eine beängstigende Vorstellung. Es wird verheerend sein für das Land und für das Gesundheitspersonal.

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