Makhanda in Südafrika Wo sich schwarze Township-Bewohner und weiße Privilegierte zusammentun

Ayanda Kota, Tim Bull und Daphne Timms hätten sich früher wohl nicht kennengelernt
Foto: Sandy Coffey / DER SPIEGEL
In Reportagen, Analysen, Fotos, Videos und Podcasts berichten wir weltweit über soziale Ungerechtigkeiten, gesellschaftliche Entwicklungen und vielversprechende Ansätze für die Lösung globaler Probleme.
Die Grenze zwischen den zwei Welten ist ein stinkendes, vermülltes Rinnsal. Auf der einen Seite des Flusses: Makhanda West, weiße Häuser im Kolonialstil, grüne Vorgärten. Auf der anderen Seite: Makhanda East, Townships, Wellblech. Doch eines haben die beiden Seiten gemeinsam: tiefe Schlaglöcher und streunende Esel. Und die haben die Einwohner dieser Stadt zusammengebracht.
Makhanda hieß bis vor Kurzem noch Grahamstown, benannt nach einem britischen Oberst, der die weißen Kolonialherren 1817 zum Sieg gegen die einheimischen Xhosa geführt hatte. 2018 wurde Grahamstown umbenannt – als Namensgeber dient nun ein Xhosa-Krieger. Auf der »weißen Seite« der Stadt sagen sie noch immer Grahamstown.

Blick vom Township hinüber zu den reichen Vierteln. Oben thront das 1820 Settler's Memorial
Foto: Sandy Coffey / DER SPIEGELDoch inzwischen passiert hier etwas, was für Südafrika nahezu einmalig ist: Die privilegierten Weißen und die schwarzen Township-Bewohner haben einen gemeinsamen Gegner, führen einen gemeinsamen Kampf. Er richtet sich gegen die inkompetente Stadtverwaltung von Makhanda und damit gegen die südafrikanische Regierungspartei ANC.
Auf der Brücke über dem stinkenden Fluss stehen sie nun gemeinsam: Ayanda Kota, ein Township-Bewohner aus Makhanda East. Kota ist Gründer und Anführer des Unemployed People's Movement, einem Zusammenschluss von schwarzen Arbeitslosen der Stadt. Neben ihm steht Daphne Timms, sie vermittelt für eine große Immobilienagentur die schicken Häuser mit Vorgärten. Und neben ihr Tim Bull, ein pensionierter britischstämmiger Streifenpolizist, der schon lange wegziehen wollte und doch dageblieben ist.

Immobilienmaklerin Daphne Timms: Wegen der Probleme in der Gemeinde springen ihr die Kunden ab
Foto: Sandy Coffey / DER SPIEGELFrüher hätten sich die Wege dieser drei Menschen wohl nie gekreuzt. Heute sitzen sie zusammen und beraten über juristische Strategien, Finanzen, ihren gemeinsamen Kampf. Das Ziel: Die mutmaßlich korrupte und nachweislich versagende Stadtverwaltung soll sich auflösen. Dafür haben sie einen Passus in der südafrikanischen Verfassung entdeckt, der es Bürgern erlaubt, genau das vor Gericht einzuklagen. In den ersten zwei Instanzen haben sie bereits gewonnen, nun liegt der Fall vor dem obersten Berufungsgericht.
Gewinnen sie auch in dritter Instanz, könnte das Auswirkungen auf ganz Südafrika haben, es wäre ein Präzedenzurteil: Bürger könnten ihre Politiker nicht nur bei Wahlen, sondern auch vor Gericht zur Verantwortung ziehen.
»Wir können keine weiteren fünf Jahre in dieser kaputten Stadt überleben«, sagt Ayanda Kota. Seit dem Ende der Apartheid ist der ANC an der Macht, die Partei Nelson Mandelas. Zunächst mit Erfolg – Grahamstown ging es vergleichsweise gut, die Touristen legten hier gern einen Zwischenstopp ein. Doch mit den Jahren verstrickte sich der ANC in immer mehr Korruptionsskandale, der geschasste Ex-Präsident Jacob Zuma wurde zum Inbegriff von Filz und Vetternwirtschaft.

Ayanda Kota und sein Unemployed People's Movement
Foto: Sandy Coffey / DER SPIEGELAuch in zahlreichen Kommunen Südafrikas setzte in den vergangenen Jahren ein Verfall ein, Makhanda ist eines der extremsten Beispiele. Ayanda Kota dreht den Wasserhahn vor seiner Hütte auf, wieder einmal ohne Erfolg. »Seit Monaten kommt und geht das Wasser, bleibt oft tagelang aus. Die Stadtverwaltung bekommt es nicht hin, das zu reparieren«, sagt er zornig.
Ein Problem auch für Daphne Timms, die Immobilienmaklerin: »Die erste Frage von Interessenten ist: Gibt es Wasser? Dann sage ich ehrlich, dass es oft nicht funktioniert. Und die potenziellen Kunden melden sich nie wieder.« Selbst im schicksten Hotel der Stadt kommt nur stinkende Brühe aus der Leitung. Immerhin können sie sich in Makhanda West große Wassertanks leisten und aufwendige private Pumpsysteme.

Nox hat gerade ihre Eimer am Wassertruck gefüllt. Früher hatte sie fließend Wasser und einen Job, heute ist beides weg
Foto: Sandy Coffey / DER SPIEGELIn Makhanda East ist an diesem Donnerstag gerade der rettende Wassertruck angekommen. Zum ersten Mal seit einem Monat, sagen die Anwohner. Nox steht schwitzend an einem der Hähne des Lkw und füllt ihre Eimer, draußen sind es knapp 30 Grad. »Wir können uns nicht jeden Tag waschen, müssen jeden Tropfen Wasser sparen. Der ANC hat uns im Stich gelassen, wir brauchen hier neue Leute an der Macht«, sagt sie. Früher hatte Nox nicht nur fließendes Wasser, sondern auch einen Job. Heute lebt sie von den Sozialleistungen für ihre Kinder.
Das Rathaus von Makhanda wirkt wie aus einer anderen Zeit. An den mächtigen Steinsäulen am Eingang prangen noch Plaketten, die britische Siedler und Feldherren ehren. Drinnen, im langen Flur, hängen Zitate von Bürgerrechtlern wie Mahatma Gandhi. Das Büro des Bürgermeisters liegt im ersten Stock, man erreicht es über eine mit rotem Teppich ausgelegte herrschaftliche Treppe. Leidenschaftlich erklärt Mzukisi Mpahlwa anhand einer komplizierten technischen Zeichnung an der Wand die Wassersituation.

Mzukisi Mpahlwa, der Bürgermeister von Makhanda, verwaltet das Versagen
Foto: Sandy Coffey / DER SPIEGELAm Ende ist seine Erklärung für die derzeitige Not aber recht banal. Die Pumpen sind veraltet, eine lief aus und hat alle anderen mitgeflutet. Der zuständige Ingenieur habe offenbar geschlafen. »Es muss Konsequenzen geben«, verspricht der Bürgermeister.
Tim Bull von der Makhanda Residents Association, die vor allem die Bewohner von Makhanda West vertritt, kann darüber nur lachen: »Seit Jahren wird hier niemand zur Rechenschaft gezogen, es macht einfach keiner seinen Job.« Selbst der Bürgermeister räumt ein, dass es eine Kultur der Verantwortungslosigkeit in seiner Stadtverwaltung gebe. Und zitiert dennoch diesen bemerkenswerten Satz eines anderen Politikers: »Egal wie sehr wir es vermasseln, die Leute wählen trotzdem den ANC.«

Im Garten dieser Familie treiben menschliche Exkremente, niemand repariert das städtische Abwasserrohr
Foto: Sandy Coffey / DER SPIEGELAyanda Kota führt uns zu einem Haus im Township, die Besitzerin zeigt auf ihren Garten. In mehreren Ecken bedeckt eine trübe Brühe das Gras, menschliche Exkremente treiben umher. Das städtische Abwasserrohr sei undicht, berichten sie – doch niemand komme, um es zu reparieren. »Zum ersten Mal in meinem Leben werde ich nicht den ANC wählen, sie haben versagt«, sagt die Großmutter der Familie. Der Satz kommt ihr nicht einfach über die Lippen, sie hat die Schrecken der Apartheid und die Befreiung durch Nelson Mandela selbst erlebt.
»Wir brauchen hier jetzt neue Leute, einen Neuanfang«, sagt Ayanda Kota. Um diesen Aufbruch zu beschleunigen, haben Daphne, Tim und er auf Auflösung des Stadtrats geklagt.

Rebone Tau war früher selbst in führenden Positionen im ANC aktiv, heute unterstützt sie im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung die Bewohner von Makhanda in ihrem Kampf gegen Misswirtschaft
Foto: Sandy Coffey / DER SPIEGEL»Das könnte die politische Landschaft einschneidend verändern«, hofft Rebone Tau von der deutschen Rosa-Luxemburg-Stiftung. Die Organisation unterstützt das Unemployed People's Movement um Ayanda Kota, unter anderem mit Workshops. Tau ist selbst aktives Mitglied des ANC, hatte leitende Funktionen inne. Den Glauben an die Selbstreinigungskraft der Partei hat sie allerdings verloren. »Man muss die Veränderung erzwingen, so wie hier in Makhanda«, sagt sie.
»Makhanda ist eine zutiefst rassistische und koloniale Stadt«, erzählt Ayanda Kota. Er steht auf der steil ansteigenden Straße eines Townships, die mehr aus Loch als aus Belag besteht. Er blickt auf den gegenüberliegenden Hang, Makhanda West. Oben thront wie ein Bunker das 1820 Settler Memorial, das größte Gebäude der Stadt. Es erinnert an die Ankunft Hunderter weißer Siedler, hergelockt als Bollwerk gegen die einheimischen Xhosa. »Das Memorial soll uns unsere Niederlage vor Augen führen«, sagt Kota.

Anstehen für das Arbeitslosengeld: Ein allmonatliches Ritual in Makhanda. Viele stehen seit 5.30 Uhr morgens in der prallen Sonne.
Foto: Sandy Coffey / DER SPIEGELDer 36-Jährige entstammt dem Black Consciousness Movement, einer Befreiungsbewegung, die gegen das Apartheidregime kämpfte. Bewusst verzichtete die Gruppe damals auf die Unterstützung liberaler Weißer. Heute ist Kota froh, dass die weißen Einwohner jenseits des Flusses seinen Kampf gegen die Stadtverwaltung unterstützen.
»Die Politiker haben immer wieder das Narrativ Schwarz gegen Weiß bedient. Sie wollen uns spalten, doch hier in Makhanda vereinen wir uns gerade«, sagt Kota. Trotz all der noch immer bestehenden Ungerechtigkeiten. Kota riskiert einiges: Er habe bereits mehrfach Todesdrohungen erhalten, vermutet dahinter den ANC. Zu viel stehe auf dem Spiel für die Partei.
Der Bürgermeister Mzukisi Mpahlwa versucht im Interview mit dem SPIEGEL, Ayanda Kota zu diskreditieren. Es gebe Gerüchte, er werde von versteckten Mächten aus dem Westen gelenkt und finanziert. Ein Narrativ, das auch der mutmaßlich korrupte Ex-Präsident Jacob Zuma immer wieder bedient hat: »White Monopoly Capital«, weiße intransparente Mächte. Es sollte wohl auch von seinem eigenen Versagen ablenken. Denn dem ANC ist es nicht gelungen, die eklatante Ungleichheit im Land zu beseitigen. Programme, die schwarzen Einwohnern einen wirtschaftlichen Aufschwung ermöglichen sollten, wurden zu einem Hort der Korruption.

Früher war Tim Bull Streifenpolizist in London, heute leitet er die Makhanda Residents Association
Foto: Sandy Coffey / DER SPIEGEL»Eigentlich müsste die Stadtverwaltung dafür sorgen, dass wir zu einer Community zusammenwachsen«, sagt Tim Bull, der ehemalige Streifenpolizist. »Doch sie spielen uns lieber gegeneinander aus. Also übernehmen wir die integrative Rolle.« Mehrere Protestmärsche in Richtung Rathaus hat er bereits gemeinsam mit Ayanda Kota organisiert. Der frühere Bürgermeister habe einmal gesagt, es sei schön, die Menschen aus Makhanda East und West gemeinsam versammelt zu sehen. »Dass sich der Protest gegen ihn richtete, war ihm offenbar egal«, sagt Bull kopfschüttelnd.
Selbst die Richter verlieren in Makhanda die übliche Zurückhaltung. In zwei Instanzen haben sie Tim Bull und Ayanda Kota bereits recht gegeben, die Stadtverwaltung habe in der Tat versagt. »Die Politiker sollten vor Scham ihre Köpfe senken«, heißt es in einer Urteilsbegründung.

Eine Stadt am Abgrund - in Makhanda funktioniert nur noch wenig
Doch wenn die Bürger das Gerichtsverfahren auch in letzter Instanz gewinnen und sich der Stadtrat wegen Inkompetenz auflösen muss, was dann? Zunächst würde für knapp drei Monate ein Notverwalter die Geschäfte führen. Dann gäbe es Neuwahlen. Wieder mit einem Sieg des ANC, wie der Bürgermeister glaubt?
Kota und seine Mitstreiter sind derzeit im Gespräch darüber, eigene Kandidaten aufzustellen. »Zumindest wären wir dann nicht mehr einer Partei, sondern den Bürgern Rechenschaft schuldig«, sagt der Anführer des Unemployed People's Movement. Es wäre eine kleine Revolution in Südafrika. Eine Revolution, die selbst innerhalb der südafrikanischen Regierungspartei einige begrüßen. Ein ANC-Stadtrat von Makhanda sagte im Gespräch mit dem SPIEGEL: »Wir brauchen diesen Druck, sonst werden die inkompetenten Leute nie ersetzt.«

Immerhin den Humor haben sie nicht verloren: »Pothole and Donkey« hat Euegene Ripenz seine Kneipe genannt – Schlagloch und Esel
Foto: Sandy Coffey / DER SPIEGELEugene Ripenz hat derweil aus der Not eine Tugend gemacht. Er besitzt eine große Cocktailbar in Makhanda, direkt auf der langsam verfallenden High Street. Die Kneipe heißt »Pothole and Donkey«, Schlagloch und Esel. Benannt nach den berühmtesten Merkmalen Makhandas.
Direkt nach der Einweihung seien Leute aus der Stadtverwaltung zu ihm gekommen und hätten sich beschwert, erzählt Barbesitzer Ripenz. Der Name sei schlecht für den Ruf der Stadt. »Da habe ich geantwortet: kein Problem. Wenn ihr die Straße repariert, dann benenne ich die Kneipe sofort um.« Ihren Namen trägt sie bis heute. Noch.
Dieser Beitrag gehört zum Projekt Globale Gesellschaft
Unter dem Titel »Globale Gesellschaft« berichten Reporterinnen und Reporter aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Europa – über Ungerechtigkeiten in einer globalisierten Welt, gesellschaftspolitische Herausforderungen und nachhaltige Entwicklung. Die Reportagen, Analysen, Fotostrecken, Videos und Podcasts erscheinen in einer eigenen Sektion im Auslandsressort des SPIEGEL. Das Projekt ist langfristig angelegt und wird von der Bill & Melinda Gates Foundation (BMGF) unterstützt.
Ein ausführliches FAQ mit Fragen und Antworten zum Projekt finden Sie hier.