Oberster US-Gerichtshof Letzte Instanz der Vernunft

Wir bleiben: Siegreiche Einwanderer vor dem Supreme Court
Foto: Jonathan Ernst/ REUTERSSechs Jahre nach Zardas Tod gab ihm der Oberste Gerichtshof nun recht : Das US-Bürgerrechtsgesetz von 1964, bis dahin nur auf Hautfarbe, Herkunft und Religion angewandt, schütze auch vor Diskriminierung am Arbeitsplatz und Kündigung wegen sexueller Neigung und Gender-Identität.
Progressive bejubelten das bahnbrechende Grundsatzurteil, das erstmals auch Transmenschen ansprach. Zumal der als erzkonservativ geltende, von Präsident Donald Trump ernannte Richter Neil Gorsuch die Begründung verfasst hatte. Chefrichter John Roberts, ebenfalls ein Konservativer, und der liberale Flügel des Supreme Court schlossen sich an.

Jubel über ein bahnbrechendes Grundsatzurteil: LGBTQ-Aktivist vor dem Supreme Court
Foto: TOM BRENNER/ REUTERSDrei Tage später versetzten die Richter Trump den nächsten Schlag: Sie bewahrten den von ihm angefochtenen Schutz von rund 650.000 Immigranten, die als Kinder illegal ins Land gekommen waren ("Dreamers"). Erneut stimmte auch Roberts dafür .
Fast hatten die US-Demokraten den Supreme Court schon abgeschrieben, nachdem Trump ihn mit zwei neuen Richtern auf Lebenszeit nach rechts gedreht hatte. Nun verklären ihn manche zur unverhofften, neuen Bastion des Widerstands.
Trump dagegen tobt. Diese "furchtbaren & politisch brisanten Beschlüsse" seien "ein Schrotflintenschuss ins Gesicht" von Konservativen, twitterte er und versprach im Fall seiner Wiederwahl "neue Richter": Bis September werde er eine entsprechende "Liste" an rechten Kandidaten verkünden.
These horrible & politically charged decisions coming out of the Supreme Court are shotgun blasts into the face of people that are proud to call themselves Republicans or Conservatives. We need more Justices or we will lose our 2nd. Amendment & everything else. Vote Trump 2020!
— Donald J. Trump (@realDonaldTrump) June 18, 2020
Doch so geht das natürlich nicht. Die neun Toprichter - zurzeit fünf konservative und vier liberale - amtieren auf Lebenszeit, die kann er nicht so einfach austauschen.
Der Supreme Court hat indes klargestellt, dass seine Urteile trotz konservativer Mehrheit von Trump "nicht als selbstverständlich" erwartet werden können, wie Gerichtsexpertin Linda Greenhouse in der "New York Times" schreibt . Zugleich ist aber auch die Hoffnung der Linken verfehlt, in den Richtern auf einmal stille Vasallen gefunden zu haben.

"Schrotflintenschuss ins Gesicht": Trump mit Supreme-Court-Chef John Roberts
Foto: Leah Millis/ REUTERSAmerikas Oberstes Gericht dürfte sich stattdessen als die letzte noch unabhängige Institution im hyperpolarisierten Washington manifestieren.
Wie unabhängig es Recht spricht, wird sich nun auch in den noch anstehenden Urteilen dieser Sitzungsperiode zeigen, die wegen der Coronakrise über manchmal kuriose Telefonschaltungen abgewickelt wurde und Ende Juni ausläuft.
Am folgenschwersten: Die Richter entscheiden über bürokratische Auflagen, mit denen der Südstaat Louisiana Abtreibungsärzten die Arbeit erschwert oder verwehrt. Sollte diese Praxis durchkommen, könnte dies den Anfang vom Ende des US-Abtreibungsrechts bedeuten.
Mit zwei Klagen will Trump seine Steuerunterlagen weiter geheim halten. Ein Fall betrifft seine mysteriösen Konten bei der Deutschen Bank. Sollte das Gericht diese Informationen mitten im Wahlkampf freigeben, wäre das eine Sensation.
Ein weiterer Fall entscheidet, ob sich die Wahlmänner des Electoral College, das alle vier Jahre den US-Präsidenten bestimmt, an die Ergebnisse in den Bundesstaaten halten müssen. 2016 stimmten zehn der 270 Wahlmänner anders ab, als sie verpflichtet gewesen wären. Bei einem knappen Ergebnis im November wäre so etwas brisant.
Den Supreme Court zu deuten, ist ein populärer, doch müßiger Zeitvertreib. Die Richter gelten für viele als Statthalter der Parteien, ihre Nominierungen und Ausschussanhörungen im Senat sind stets großes Kino - wie zuletzt der Trump-Kandidat Brett Kavanaugh bewies, der sich durchsetzte, obwohl ihm mehrere Frauen sexuelle Übergriffe vorgeworfen hatten.

"Kava-Nein": Proteste gegen den damaligen Supreme-Court-Kandidaten Brett Kavanaugh (2018)
Foto: Scott Eisen/ AFPDie Richter orientieren sich an den Buchstaben des Rechts - das die Trump-Regierung oft sehr eigen auslegt - oder an gesellschaftlichen Langzeittrends, egal wohin das politisch führt. Am deutlichsten zeigte das der von George W. Bush bestellte Roberts: 2012 rettete er die Gesundheitsreform Obamacare, Anfang des Jahres präsidierte er emotionslos über Trumps Impeachment.
Als der moderate Richter Anthony Kennedy - der dafür gesorgt hatte, dass die gleichgeschlechtliche Ehe rechtmäßig wurde - in den Ruhestand ging, ersetzte Trump ihn mit Kavanaugh.
Zuvor hatte er Gorsuch bestellt, als Nachfolger des verstorbenen Antonin Scalia.
Ein dritter Nachrücker könnte sich ihm anbieten, falls die liberale Ruth Bader Ginsburg, mit 87 das älteste Gerichtsmitglied, in den Ruhestand geht.
Ihre Gesundheit ist eine nationale Obsession - und oft Gegenstand der Comedyshow "Saturday Night Live".
Die neue Trump-Mehrheit kam jetzt zum ersten Mal für eine volle Sitzungsperiode zusammen. Doch die Ausbeute ist bisher durchwachsen:
Zwar erlaubte das Gericht den Bau einer Gaspipeline ,
kassierte das Urteil in einem hochpolitischen Prozess und hielt Trumps Einschränkungen des Asylrechts aufrecht.
Andererseits urteilte es gegen eine kalifornische Kirche , die sich gegen Corona-Auflagen der Demokraten gewehrt hatte.
Der Doppelschlag in Sachen LGBTQ und "Dreamers" ist den Konservativen besonders übel aufgestoßen. Schließlich war ein Rechtsdrall des Court eines der Versprechen, mit denen Trump die Wahl gewann. Seither installierte er mithilfe der Republikaner 52 Berufungsrichter, zwei Drittel davon weiße Männer - etwa Jonathan Kobes, den der Juristenverband ABA als "nicht qualifiziert" befand , weil er nicht "klar" schreiben könne.
Dieses Langzeitprojekt wird nun durch die jüngsten Urteile gefährdet, die ein Wahlargument Trumps zerstören. Schon erklärte der republikanische Senator Josh Hawley nicht nur den "Deal" seiner Partei mit der religiösen Basis für "gescheitert" , sondern die gesamte "konservative Rechtsbewegung". Abwarten. Das nächste Urteil kommt bestimmt.