Taiwan in der Coronakrise Der Mann mit den Masken

Taiwan feiert am 16. April die Reduzierung der Neuinfektionen auf null
Foto: Ann Wang/ REUTERSIn der Nacht bevor das Flugzeug mit den Masken landet, steht Jhy-Wey Shieh in einem Zimmer des Steigenberger Hotels am Frankfurter Flughafen und macht Kung Fu. Er ist aufgeregt. Gegen sechs Uhr soll er am nächsten Morgen, dem 9. April, eine Million Atemschutzmasken aus der taiwanischen Hauptstadt Taipeh in Empfang nehmen, ein Geschenk der Regierung an Deutschland. Shieh kann nicht einschlafen und normalerweise hilft ihm Kung Fu, müde zu werden, so erzählt er es später. Trotzdem bleibt er bis drei Uhr wach.

Jhy-Wey Shieh
Foto: Nicky Loh/ REUTERSShieh ist der Repräsentant von Taiwan in Deutschland. Er darf in der Nähe der Landebahn am Flughafen Frankfurt warten, von dort sieht er das Flugzeug näher kommen. "Das hat mir fast die Tränen in die Augen getrieben", erzählt Shieh zwei Wochen später in der taiwanischen Repräsentanz am Berliner Gendarmenmarkt, wo er sich an die Nacht in Frankfurt erinnert. "Es war so eine innere Spannung."
Taiwan ist dank schnell ergriffener Maßnahmen in der Coronakrise eines der Länder mit der niedrigsten Infektionsrate. Mitte April startete die Baseball-Liga auf der Insel, wenn auch ohne Zuschauer. Jetzt versucht das Land mit den 23 Millionen Einwohnern, international mehr Einfluss und Macht gegenüber dem großen Gegner China zu gewinnen. China sieht das demokratische Taiwan als Teil des eigenen Territoriums an und blockiert die Anerkennung des Landes. Auch Deutschland erkennt Taiwan nicht an, weil die Beziehung zur Volksrepublik zu wichtig ist. Die Masken, die Taiwan auch an die USA, nach Italien und an weitere Länder gesendet hat, sind mehr als eine nette Geste. Sie sind ein diplomatisches Signal.
Taiwans Repräsentant Jhy-Wey Shieh
Deshalb war Shieh persönlich an die Landebahn in Frankfurt gereist. Shieh, 65, ist kein Berufsdiplomat. Er hat in den Achtzigerjahren in Bochum über Theodor Fontane promoviert, danach arbeitete er in Taipeh als Professor für Germanistik an der Soochow Universität. 2005 schickte ihn der damalige Präsident Taiwans erstmals als Repräsentant nach Deutschland, dann kehrte er für einige Jahre nach Taiwan zurück, um im Fernsehen eine politische Talkshow zu moderieren. Seit vier Jahren ist er zurück in Berlin. Weil Deutschland zu Taiwan keine offiziellen Beziehungen unterhält, trägt Shieh nicht den Titel eines "Botschafters", sondern eines "Repräsentanten". Er hat einen Weg gefunden, damit umzugehen. "Inzwischen nenne ich mich Bootschafter, mit zwei o, weil wir alle in einem Boot sitzen."
Durch das Coronavirus hat sich Shiehs Arbeit verändert. Verabredungen mit Abgeordneten fallen weg, stattdessen arbeitet der Vater von zwei Töchtern die Hälfte der Woche von zu Hause aus. Sein Handy habe er dabei immer an. "Wir sind zu jeder Zeit erreichbar", sagt Shieh. Erst in der Nacht zuvor habe er mit dem taiwanischen Außenminister geschrieben, weil sich Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) offiziell für die Masken bei Taiwan bedankt hatte. Der Dank war für die Bundesregierung heikel. Als Regierungssprecher Steffen Seibert in einer Pressekonferenz einige Tage zuvor zu den Maskenspenden gefragt wurde, wich er aus und vermied den Namen "Taiwan".
"Es war, ehrlich gesagt, eine kuriose Szene", sagt Shieh. Bis sich Spahn dann bedankte, dauerte es 14 Tage. Trotz der langen Wartezeit ist es ein kleiner Erfolg für Taiwan, ein Gefühl der Anerkennung, das selten ist.
Sonst erhält Shieh oft Zuspruch aus Kreisen, die sehr konservativ sind. Anfang des Jahres wurde er in die "Bibliothek des Konservatismus" in Berlin eingeladen, wo er einen Vortrag über den Konflikt mit China hielt. Die Bibliothek gilt als Denkfabrik rechter Kreise, einige Wochen zuvor war Hans-Georg Maaßen als Redner zu Gast. Ende März erschien ein Interview mit Shieh im rechtspopulistischen Magazin "Compact". Shieh distanziert sich zwar deutlich von Rechtsextremismus. Anfragen zum Thema Taiwan würde die Repräsentanz aber immer beantworten, unabhängig davon, von wem sie kommen.
Eine Anerkennung, die sich Shieh derzeit besonders wünscht, ist die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Auch hier blockiert China den Zutritt von Taiwan. Shieh wird laut, wenn er darüber redet. "Die WHO hat sich bedauerlicherweise zu der Rolle des Handlangers des chinesischen kommunistischen Regimes degradiert", sagt er. Mittlerweile fordern mehrere deutsche Abgeordnete, Taiwan wegen des klugen Handelns in der Coronakrise immerhin den Status eines Beobachters in der Organisation zu geben.
Profitiert Taiwan von der Coronakrise? "Es wäre zu grausam, das zu sagen", sagt Jhy-Wey Shieh. "Im Endeffekt müsste ich zustimmen, aber dieses Ergebnis geht auf die Kosten von Menschen. Ich bringe es nicht übers Herz, das so zu sehen."
Neben Atemschutzmasken zählen auch Schutzanzüge zu den Mangelwaren. 100 Anzüge spendete Shieh am vergangenen Freitag an das städtische Klinikum in Brandenburg an der Havel. Die Bundestagsabgeordnete Dietlind Tiemann habe ihn um Hilfe gebeten, "wir kennen uns". Shieh versuchte, aus Taiwan Schutzkleidung zu bestellen, doch das hätte mehrere Tage gedauert. Also bestellte er online 100 Einwegkittel, 14,99 Euro das Stück, nahm 500 Atemschutzmasken aus dem Vorrat seiner Repräsentanz und fuhr nach Brandenburg. "Ich wollte sagen: Wir sind mit unserem Herzen dabei." Weitere solcher Aktionen habe er vorerst nicht geplant.