Pandemie in Ostafrika Tansania versteckt seine Corona-Toten

Gläubige bei einem Gottesdienst in Dar es Salaam
Foto: ERICKY BONIPHACE/ AFP
In Reportagen, Analysen, Fotos, Videos und Podcasts berichten wir weltweit über soziale Ungerechtigkeiten, gesellschaftliche Entwicklungen und vielversprechende Ansätze für die Lösung globaler Probleme.
John Magufuli, der Präsident von Tansania, hat sein Land für "Coronavirus-frei" erklärt. Die Infektionskrankheit sei "dank Gott eliminiert" worden, sagte Magufuli, 60, zu Gläubigen in einer Kirche der Hauptstadt Dodoma. Bei einer Konferenz soll er die Teilnehmer angewiesen haben, ihre Masken abzunehmen.
Gesundheitsexpertinnen und Aktivistinnen bezweifeln jedoch, dass die Verbreitung des Coronavirus in Tansania tatsächlich gestoppt wurde. Sie halten die Erklärungen des Präsidenten für gefährlich.
Magufuli wird seit Längerem vorgeworfen, die Anzahl der Corona-Infektionen und Toten in Tansania zu verschleiern. Am 29. April wurden die letzten Fallzahlen von der Regierung veröffentlicht. Zu diesem Zeitpunkt sollen 509 Menschen infiziert und 21 gestorben sein. Offizielle Angaben, wie viele Menschen getestet wurden, gibt es nicht.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat die Regierung für ihre mangelhafte Kooperation und Transparenz gerügt. Nahezu alle anderen afrikanischen Staaten melden stetig aktuelle Zahlen von Infizierten, Toten und Genesenen.

Präsident John Magufuli
Foto:Khalfan Said/ AP
Auf dem afrikanischen Kontinent waren am 9. Juni 201.725 Corona-Fälle und 5516 Tote registriert. Das genaue Ausmaß der Virusverbreitung ist trotzdem kaum einzuschätzen, unter anderem weil es in ländlichen Regionen schwer ist, Infektions- und Todeszahlen zu ermitteln. In einigen Ländern gibt es zudem kaum Testmöglichkeiten. Laut WHO ist es klar , dass sich das Coronavirus auf dem afrikanischen Kontinent schnell ausbreitet.
Tansanias Präsident Magufuli hat die Sinnhaftigkeit von Tests grundsätzlich infrage gestellt, kaum Präventionsmaßnahmen etabliert und auch keinen strickten Lockdown angeordnet. Schulen und Universitäten wurden geschlossen, Kirchen hingegen nicht. Das Volk sollte gemeinsam beten, denn das "teuflische" Virus, so der Präsident, könne in den Körpern von Gläubigen keinen Schaden anrichten.
Mitte Mai warnte die US-Botschaft in Dar es Salaam, mit mehr als fünf Millionen Einwohnern die größte Stadt Tansanias, dass das Risiko für eine Ansteckung mit Covid-19 "extrem hoch" sei. Das Statement ist ungewöhnlich undiplomatisch: Entgegen den eingeschränkten Informationen, die von der Regierung zur Verfügung gestellt worden seien, sei ein exponentielles Wachstum der Infektionszahlen zu vermuten. Viele Krankenhäuser seien dem Ansturm von Patienten kaum noch gewachsen, es könne zu "lebensgefährlichen Verzögerungen bei der medizinischen Versorgung" kommen.

Menschen auf einer Fußgängerbrücke in Dar es Salaam
Foto:ERICKY BONIPHACE/ AFP
Oppositionsführer Zitto Kabwe zitierte im Mai Aufzeichnungen von Ärzten, die zu diesem Zeitpunkt weitaus höhere Infektionszahlen gezeigt haben sollen als die von der Regierung vermeldeten Statistiken. Die Opposition ging von allein 400 Toten in Dar es Salaam und bis zu 20.000 Infektionsfällen im gesamten Land aus. Kabwe kritisierte, dass sich Präsident Magufuli für Wochen in seinem Heimatort Chato am Victoriasee "versteckt" habe, statt sein Land aus der Pandemie zu führen. Nachdem die ersten 480 Menschen in Tansania positiv auf das Coronavirus getestet waren, wurde die Direktorin des Nationallabors, Nyambura Moremi, suspendiert .
In vielen Teilen des Landes sollen nachts heimlich Tote vergraben worden sein. Videos nächtlicher Beerdigungen verbreiteten sich über Social Media. Medizinisches Fachpersonal und Ärzte gaben laut Medienberichten an, es herrschten unhaltbare Zustände.
Ist es möglich, Tausende Tote geheim zu halten?
"Der Regierung von Tansania ist nicht zu glauben", sagt Khalifa Said, 28, ein investigativer Journalist aus Dar es Salaam, am Telefon. "Ich fürchte, viele Menschen in unserem Land sterben am Coronavirus, ohne dass je jemand davon erfährt. Das scheint zumindest die Strategie unseres Präsidenten zu sein."
Aber ist es tatsächlich möglich, Hunderte oder gar Tausende Tote geheim zu halten? Regierungssprecher Hassan Abbas beteuerte, es sei unmöglich, einen Corona-Ausbruch zu vertuschen. Die Beerdigungen in der Nacht wurden in Tansania anscheinend eingestellt.
"Der Präsident hat nächtliche Bestattungen nun untersagt, dafür aber Angehörigen erlaubt, ihre Toten selbst zu beerdigen. Für ihn eine Win-win-Situation", sagt Journalist Khalifa Said. "Die Menschen freut das, denn sie wollen sich angemessen verabschieden. Magufuli freut es, denn die Toten füllen so nicht die Friedhöfe. Viele werden traditionell beigesetzt: in ihrem Dorf oder nahe ihrem eigenen Haus."
Auch Regierungsmitarbeiter blieben in Tansania nicht von der Seuche verschont. Drei Mitglieder des Parlaments, bei denen eine Covid-Erkrankung vermutet wird, sind bereits im April innerhalb weniger Tage gestorben. Darunter der Justizminister Augustine Mahiga*. Die Oppositionspartei Chadema riet ihren Vertretern, den Regierungsgebäuden fernzubleiben und an keinen Sitzungen mehr teilzunehmen.
Magufuli herrscht seit 2015 in Tansania. Sein autoritärer Regierungsstil hat ihm beim Volk den Spitznamen "Bulldozer" eingebracht. Magufuli manipulierte Wahlen, beschnitt Bürgerrechte und Pressefreiheit.
Der Journalist Khalifa Said ist einer der wenigen, die sich öffentlich zu der aktuellen Situation im Land äußern wollen. "Es ist ein Regime der Angst. Freie Meinungsäußerung ist kaum noch möglich", sagt Said. Einige Reporter, die in den vergangenen Wochen über Covid-19 berichteten, wurden verhaftet , andere suspendiert . Auf regierungskritische Berichterstattung, als "Fake News" bezeichnet, stehen Strafen.
Khalifa Said
Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International warnen vor der politischen Unterdrückung im Land. "Magufuli duldet keine Widerrede. Er will ein Präsident sein, der für Entwicklung steht. Corona soll ihm da keinen Strich durch die Rechnung machen", sagt Said.
Der Lockdown hat in vielen afrikanischen Ländern zu erheblichen Problemen geführt, unter anderem weil ein Großteil der Bevölkerung von dem täglichen Verdienst abhängig ist. Wer nicht arbeiten kann, kann sich auch nichts zu essen kaufen.
Magufuli hat in einer Ansprache am internationalen Tag der Arbeit verkündet, dass sein Volk sich nicht vom Coronavirus stoppen lassen soll. Soziale Isolation würde die Wirtschaft schädigen. Märkte und Geschäfte in dem Land mit 56 Millionen Einwohnern blieben offen.
Auch die Präsidentschaftswahlen im Oktober werden von Beobachtern in Tansania als möglicher Grund für den Kurs des Präsidenten genannt. "Wir haben mit einem zerstörten Gesundheitssystem und massiver Arbeitslosigkeit zu kämpfen, staatliche Hilfe für die Armen ist nahezu nicht existent", sagt Journalist Said. "All das verschlechtert sich durch die aktuelle Krise noch." Hohe Infektionszahlen und viele Tote würden dem Image der Regierung schaden.
Angst der Nachbarländer
Sambia hat seine Grenzen zu Tansania geschlossen. Kenia hat nach einem Tag mit 50 positiv auf Covid-19 getesteten Lkw-Fahrern an der Grenze zu Tansania strikte Kontrollen etabliert. In Burundi, das ebenfalls an Tansania grenzt, ist der Präsident Pierre Nkurunziza mit 55 Jahren am 8. Juni gerstorben. Die offizielle Todesursache ist Herzversagen. Im Land wird jedoch über eine Covid-19-Erkrankung spekuliert.
Burundische Radiosender, die im Ausland stationiert sind, melden, dass mehrere Familienmitglieder des verstorbenen Präsidenten mit Corona infiziert sein sollen, unter anderem seine Frau. Experten hatten vor einer rasanten Ausbreitung des Coronavirus im Land gewarnt.
Dieser Beitrag gehört zum Projekt Globale Gesellschaft
Unter dem Titel »Globale Gesellschaft« berichten Reporterinnen und Reporter aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Europa – über Ungerechtigkeiten in einer globalisierten Welt, gesellschaftspolitische Herausforderungen und nachhaltige Entwicklung. Die Reportagen, Analysen, Fotostrecken, Videos und Podcasts erscheinen in einer eigenen Sektion im Auslandsressort des SPIEGEL. Das Projekt ist langfristig angelegt und wird von der Bill & Melinda Gates Foundation (BMGF) unterstützt.
Ein ausführliches FAQ mit Fragen und Antworten zum Projekt finden Sie hier.
*In einer früheren Version dieses Textes wurde Augustine Mahiga als Finanzministerin bezeichnet. Es handelt sich aber um einen Mann.