Anschlag in Wien Das Netzwerk der jungen Radikalen

Der Attentäter von Wien unterhielt Kontakte zu Islamisten in Deutschland und der Schweiz. Nun durchleuchten die Ermittler das Netzwerk. Viele der Männer sind erschreckend jung.
Polizisten in der Wiener Innenstadt

Polizisten in der Wiener Innenstadt

Foto: Hans Punz / dpa

Bei Dschihadisten genießt Österreich seit Längerem einen ausgezeichneten Ruf. Das Land hat mehrere radikale Prediger hervorgebracht, die auch unter deutschen Islamisten glühende Anhänger fanden. Mirsad Omerovic zum Beispiel, der unter dem Namen Ebu Tejma offen zum bewaffneten Kampf aufrief. Oder Mohamed Mahmoud, dessen Islamistenkarriere von Wien über Solingen bis nach Syrien führte, wo er zu einem der wichtigsten deutschsprachigen Propagandisten der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) aufstieg.

Nachdem der eine Hassprediger zu 20 Jahren Haft verurteilt und der andere für tot erklärt wurde, war es stiller geworden um die Austro-Dschihadisten. Bis zum Montagabend, als der 20-jährige IS-Anhänger Kujtim F. in Wien mit einer Kalaschnikow, einer Pistole und einer Machete durch die Innenstadt zog und vier Menschen ermordete, darunter eine deutsche Studentin. Nach dem Anschlag reklamierte der IS die Tat für sich. Offenbar hatte der Attentäter der Terrorgruppe ein Video geschickt, in dem er dem IS die Treue schwor. Seit Freitag sitzen in Wien acht mögliche Helfer im Alter von 16 bis 24 Jahren in Untersuchungshaft.

Inzwischen ist klar: Es gibt auch in diesem Fall Verbindungen nach Deutschland. Zwar wird hierzulande kein Islamist beschuldigt, an dem Anschlag beteiligt gewesen zu sein. Doch die deutschen Ermittler wollen genau wissen, zu wem Kujtim F. Kontakt hatte. Gemeinsam mit den Österreichern und Schweizern durchleuchten sie ein länderübergreifendes Netzwerk junger Dschihad-Anhänger, von denen viele Wurzeln in Ländern des Balkan haben. Am Freitagmorgen durchsuchte das Bundeskriminalamt die Wohnungen von vier Islamisten, in Hessen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein.

Zwei der Männer, der 25-jährige G. aus Kassel und der 19-jährige Kosovare S. aus Osnabrück, sollen vom 16. bis zum 20. Juli zu Besuch in Österreich gewesen sein und sich nach SPIEGEL-Informationen mit dem späteren Attentäter Kujtim F. getroffen haben. Mindestens einer der Männer übernachtete offenbar auch bei ihm. Die deutschen Sicherheitsbehörden hatten ihren Kollegen in Österreich vorab einen Hinweis gegeben. Diese haben das Zusammentreffen der Islamisten in Wien auch beobachtet. Auch aus der Schweiz sollen damals Radikale in der Stadt gewesen sein.

Doch die heiklen Informationen versickerten offenbar im österreichischen Sicherheitsapparat. Am Freitag trat der Chef des Wiener Landesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung zurück.

Es ist bereits die zweite schwere Panne in dem Fall. Zuvor musste der österreichische Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) einräumen, dass Kujtim F. am 21. Juli in der Slowakei versucht hatte, Munition für ein Kalaschnikow-Sturmgewehr zu kaufen – und die Behörden dies seit Wochen wussten. Auch dieser Hinweis führte nicht dazu, dass die Österreicher den späteren Attentäter intensiv überwachten.

Ausflug zum Waffengeschäft

Nach bisherigem Stand der Ermittlungen war kein deutscher Islamist bei dem Ausflug zu dem Waffengeschäft in Bratislawa dabei. Der enge zeitliche Zusammenhang zwischen dem Besuch aus Deutschland und dem versuchten Munitionskauf allerdings macht auch die Ermittler hierzulande hellhörig.

Zumal es noch eine weitere Verbindung eines Deutschen zum Attentäter geben soll. Der einschlägig vorbestrafte Islamist W. alias "Mohammed der Tschetschene" wohnte bis vor wenigen Wochen im 20. Gemeindebezirk in Wien – bis ihn die österreichischen Behörden nach SPIEGEL-Informationen im Oktober nach Deutschland auswiesen. Zuletzt wohnte er im Hamburger Umland im Kreis Pinneberg. Der von der Polizei als Gefährder eingestufte 22-Jährige soll über den Messengerdienst Telegram mit Kujtim F. in Kontakt gestanden haben.

Bereits 2017 hatte W. erfolglos versucht, sich der Terrormiliz IS in Syrien anzuschließen. Er soll sich im Unterricht des berüchtigten Hasspredigers Abu Walaa in Hildesheim radikalisiert haben. Auch Anis Amri, der Attentäter vom Berliner Breitscheidplatz, hatte sich zeitweise in dessen Dunstkreis bewegt.

"Der radikal-islamistische Attentäter von Wien hat das Potenzial, zum österreichischen Amri zu werden", sagt der FDP-Innenpolitiker und Bundestagsabgeordnete Stephan Thomae. "Der hohe Vernetzungsgrad auch zu aktenkundigen Islamisten hier in Deutschland muss jetzt intensiv untersucht werden." Das geheim tagende Kontrollgremium des Bundestags, das die Arbeit der Nachrichtendienste überwacht, solle klären, wie der deutsch-österreichische Informationsaustausch gelaufen ist, "und ob es Lücken gab", fordert Thomae.

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