Corona-Politik in Tschechien Rund 10.000 Infizierte pro Tag - bei nur 10,7 Millionen Einwohnern

Warten auf die Bahn in Prag: Seit Anfang Oktober gilt wieder der Notstand in Tschechien
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Die zweite Corona-Welle hat Europa erreicht. In vielen Ländern steigen die Zahlen, und die Regierungen sehen sich gezwungen, erneut strenge Maßnahmen im Kampf gegen das Virus zu erlassen. Auch in Tschechien greift die Politik wieder hart durch, dabei hatte das Land zu Beginn der Pandemie vorbildlich reagiert. Viele glaubten bereits, die Lage überwunden zu haben. Nun steigen die Zahlen jedoch dramatisch hoch. Was ist passiert?
Das Coronavirus hatte am 1. März offiziell Tschechien erreicht. Drei Urlaubsrückkehrer aus Norditalien hatten sich damals infiziert, es waren die ersten bekannten Fälle im Land. Die Regierung in Prag reagierte schneller als andere europäische Länder und erließ innerhalb weniger Tage strenge Maßnahmen, um die Verbreitung des Virus einzudämmen.
Bereits zehn Tage nach Bekanntwerden der ersten Fälle wurde die Schließung der Schulen verfügt und der Freizeitsektor weitgehend geschlossen. Während die Corona-Politik in Deutschland zur selben Zeit noch zögerlich vorangetrieben wurde, hatte Tschechien am 12. März den Notstand ausgerufen. Mitte des Monats waren die Grenzen zu den Nachbarländern dicht. Am 19. März führte das Land die Maskenpflicht ein - damals hatte selbst die Weltgesundheitsorganisation WHO den Nutzen eines Mund-Nasen-Schutzes im Kampf gegen Corona noch angezweifelt.
Für die strengen Maßnahmen wurde die tschechische Regierung zunächst belächelt und auch kritisiert, dann zogen andere Länder nach, und in Tschechien zeigten sich erste Erfolge. Die Infektionszahlen blieben niedrig, Prag lobte sich selbst für das Corona-Management und machte erste Pläne für die schrittweise Rückkehr in die Normalität.
Dramatischer Anstieg der Infektionszahlen
Bis Mitte Mai gab es in Tschechien 350 Corona-Tote, im Sommer sanken die Neuansteckungen auf durchschnittlich 100 Fälle am Tag, und ein Großteil der Beschränkungen wurde aufgehoben. Es wurde vielerorts wieder gefeiert, getrunken und verreist wie früher - ohne Maske und ohne Abstands- und Hygieneregeln. Nun sieht es allerdings so aus, als hätte Tschechien zu früh zu viel gelockert.
Am 21. August wurden erstmals mehr als 500 neue Corona-Fälle binnen 24 Stunden registriert - mehr als an jedem anderen Tag bis dahin. Die Pandemie verschärft sich seitdem stetig. Der einstige Corona-Musterschüler ist zum Problemfall geworden.
Zuletzt lagen die täglichen Neuinfektionen durchschnittlich bei mehr als 9500 Fällen - und das in einem Land mit nur rund 10,7 Millionen Einwohnern. Die Regierung hat bereits mit verschärften Maßnahmen im Kampf gegen das Virus reagiert. Anfang des Monats wurde erneut der Notstand verhängt.
Trotz verschärfter Maßnahmen steigen die Zahlen weiter an. Am Donnerstag wurden 9721 Neuinfektionen registriert - ein neuer Höchstwert. Allerdings ist auch die Testkapazität mittlerweile gestiegen.
Angesichts der Entwicklungen droht das Gesundheitssystem nun an seine Grenzen zu stoßen. Die Regierung kündigte an, rund 4000 Krankenhausbetten zu kaufen, um unter anderem in Messehallen Behelfseinrichtungen für einen möglichen Ansturm aufzubauen. "Die Zahlen sind katastrophal - es eilt wirklich sehr", sagte Ministerpräsident Andrej Babiš der Agentur CTK zufolge vor seinem Abflug zum EU-Gipfel in Brüssel.
Tschechien ruft seine Ärzte aus dem Ausland zurück
Er habe über mögliche Hilfen auch "mit der bayerischen Seite" gesprochen, man wolle die Situation aber möglichst allein meistern. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte bereits am Donnerstag in einer Pressekonferenz erklärt, Bayern habe sich auf Anfrage aus Tschechien bereit erklärt, Intensivpatienten aufzunehmen.
Tschechien hat seine im Ausland arbeitenden Ärzte aufgerufen, vorübergehend nach Hause zurückzukehren. Gesundheitsminister Roman Prymula begrüßte einen entsprechenden Aufruf der tschechischen Ärztekammer (CLK). "Wir sind dankbar für jede helfende Hand", sagte der 56-Jährige. Ärztekammerpräsident Milan Kubek appellierte in dem Schreiben an seine Landsleute im Ausland, "ihren ehemaligen Kollegen in unseren Krankenhäusern zu helfen".
Seit Mittwoch sind zudem alle Restaurants, Kneipen und Bars geschlossen. Der Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit ist verboten. Alle Schulen haben Fernunterricht eingeführt. Es dürfen sich sowohl drinnen als auch draußen nur noch maximal sechs Menschen treffen. Sport- und Kulturveranstaltungen sind untersagt. Die Maskenpflicht wurde ausgeweitet.
Gesundheitsminister Prymula hat nun angekündigt, dass die Tschechen sich auf komplizierte drei Wochen einstellen sollen - die außerdem alles andere als fröhlich werden würden.
Mit Material aus den Agenturen.