Angebliche Terrorpropaganda Türkisches Gericht verurteilt Kölnerin zu mehr als zehn Jahren Haft

Gönül Örs reiste 2019 in die Türkei, um ihre Mutter im Gefängnis zu besuchen. Dann wurde sie selbst festgenommen. Jetzt hat ein Gericht Örs verurteilt – wegen einer Protestaktion in Köln. Sie darf aber ausreisen.
Gönül Örs saß zwei Jahre lang in der Türkei fest. Sie weist die Vorwürfe zurück

Gönül Örs saß zwei Jahre lang in der Türkei fest. Sie weist die Vorwürfe zurück

Foto: Mirjam Schmitt/ dpa

Die Kölnerin Gönül Örs ist von einem Gericht in Istanbul unter anderem wegen Terrorvorwürfen zu mehr als zehn Jahren Gefängnis verurteilt worden. Eine Ausreisesperre gegen die Frau wurde allerdings aufgehoben. Örs nahm krankheitsbedingt nicht an der Verhandlung in Istanbul teil.

Die 39 Jahre alte Kölnerin sagte der Deutschen Presse-Agentur: »Ich bin wirklich sprachlos. Ich habe nichts verbrochen. Diese Ungerechtigkeit kann ich nicht in Worte fassen.« Das Land wolle sie so bald wie möglich verlassen. Gegen das Urteil wolle sie Berufung einlegen.

Hintergrund der Anklage ist eine Protestaktion im Jahr 2012 auf einem Schiff in Köln. Örs wurde Gerichtsakten zufolge vorgeworfen, mit neun weiteren Personen das Schiff besetzt, Banner aufgehängt und PKK-Slogans gerufen zu haben. Die PKK ist eine kurdische Arbeiterpartei, die in der Türkei, Europa und den USA als Terrororganisation gilt.

Ermittlungen in Deutschland wurden eingestellt

Örs weist die Vorwürfe zurück. In Deutschland wurden Ermittlungen gegen Örs in dem Fall nach Angaben ihrer Anwältin eingestellt.

Die Richter in der Türkei verurteilten Örs nun für Terrorpropaganda zu einem Jahr und acht Monaten, für Freiheitsberaubung unter Gewaltanwendung zu fünf Jahren und für »Entführung oder Beschlagnahmung« von Beförderungsmitteln zu drei Jahren und neun Monaten Haft. Sie sprachen Örs damit in allen Anklagepunkten schuldig.

Der Fall hatte auch für Kritik gesorgt, weil sich die türkische Ermittlungsakte auf Informationen eines Kontaktbeamten des Bundeskriminalamts stützte. Anwältin Ayşe Çelik hat im Laufe des Verfahrens immer wieder kritisiert, dass Beweise aus einer solchen Quelle unrechtmäßig seien. Es habe keine Voraussetzung für ein Verfahren in der Türkei gegeben, kritisierte sie vor Gericht und forderte Freispruch.

Die Kölnerin Örs war im Mai 2019 in die Türkei gereist, um ihre damals inhaftierte Mutter Hozan Canê (Künstlername) im Gefängnis zu besuchen. Örs wurde dann selbst festgenommen. Sie saß drei Monate in der Türkei in Untersuchungshaft und stand sechs Monate unter Hausarrest, seit Juni vergangenen Jahres galt eine Ausreisesperre.

»Politisch motiviert«

Hozan Canê, die an der Verhandlung ihrer Tochter teilnahm, ist ebenfalls in der Türkei unter Terrorvorwürfen angeklagt. Ihr Prozess wird im Juli fortgesetzt. Örs sagte, dass sie »mit dem Land abgeschlossen« habe. Erst wenn in der Türkei Rechtsstaatlichkeit herrsche, könne sie sich vorstellen, wieder dorthin zu reisen.

Der Bundestagsabgeordnete Frank Schwabe (SPD), der das Verfahren seit Langem beobachtet, kritisierte das Urteil auf Twitter und nannte es »politisch motiviert«. Er vermutete, dass die Türkei eine »gesichtswahrende Lösung« gesucht habe. Dadurch, dass die Ausreisesperre aufgehoben wurde, sei Örs aber bald wieder zu Hause in Köln.

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Im Jahr 2017 hatte eine ganze Serie von Festnahmen deutscher Staatsbürger aus »politischen Gründen« zu einer schweren Krise zwischen Berlin und Ankara geführt. Zurzeit befinden sich nach Angaben der Bundesregierung 62 deutsche Staatsangehörige in türkischer Haft. Aus »politischen Gründen« inhaftierte Deutsche werden nicht mehr gesondert aufgeführt. Der Bundesregierung sind zudem 54 Fälle von Deutschen bekannt, die aufgrund von Ausreisesperren die Türkei nicht verlassen können.

lau/dpa

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