TV-Debatte Trump gegen Biden Der Schreikampf

Donald Trump und Joe Biden stritten bei ihrem TV-Duell heftig miteinander. Zu oft hilflos dazwischen: Moderator Chris Wallace
Foto: Olivier Douliery / APAls alles vorbei war, mussten Millionen Amerikaner erst mal tief Luft holen. Gebrüll, Beschimpfungen, Dauerunterbrechungen: Ein derartig desaströses TV-Duell zweier Präsidentschaftskandidaten hatten sie sicher noch nie erlebt.
"Das war die schlechteste Debatte, die ich je gesehen habe", seufzte CNN-Veteran Jake Tapper anschließend. "Ehrlich gesagt war das keine Debatte. Es war eine Schande."
Dabei hatten viele diesen Abend mit Spannung erwartet. Erstmals trafen US-Präsident Donald Trump und sein demokratischer Herausforderer Joe Biden live aufeinander, 90 Minuten lang. Monatelang hatte sich das Rennen nicht bewegt - würde dies eine Vorentscheidung bringen?
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Stattdessen versank die "Debatte" schnell im Chaos, vor allem wegen Trump, der immer lauter dazwischenrief und Biden unterbrach. Bald kam man sich vor wie auf einem Grundschulhof - bis Moderator Chris Wallace von Fox News, der sich streckenweise außerstande sah, den Präsidenten zu mäßigen, nach eineinhalb Stunden erschöpft feststellte: "Dies ist das Ende."
Wie war Trump?
Trump begann betont ruhig, doch das währte nicht lange. Dann polterte er gegen Biden, die Arme grimmig aufs Pult gestützt. Seine Attacken wurden immer aggressiver, absurder und persönlicher. Manchmal murrte er nur nebulöse Stich- und Schimpfworte: "Radikale Linke! Pocahontas! 3,5 Millionen Dollar von Moskau!"
Man merkte, dass Trump sonst in einer Blase sitzt, umgeben von Vasallen und Stichwortgebern in den konservativen Medien. Doch dies war nicht das Oval Office, wo nur er immer das Wort hat. "Lassen Sie mich meine Frage stellen", schimpfte Wallace nach einer rüden Unterbrechung durch Trump. "Mr President, der Moderator dieser Debatte bin ich." Allein, es nützte nichts.
Als könne er sein cholerisches Temperament nicht beherrschen, als sei es ihm unbegreiflich, kritisch hinterfragt statt gebauchpinselt zu werden, rastete Trump langsam aus, wurde erst defensiv, dann wütend, bis er innerlich kochte. Mal bellte er laut, mal murmelte er leise, wenn Biden redete.
"Hast du gerade das Wort 'schlau' benutzt?", fuhr er Biden an. "Du warst fast das Schlusslicht deiner Klasse. Nichts an dir ist schlau, Joe."
Trumps Antworten waren zusehends bizarr. Auf seine Gesundheitsreform angesprochen, die er seit Jahren für "in zwei Wochen" ankündigt, lobte er, es gebe nun in den USA "Insulin, so billig wie Wasser". Auf die Frage nach den 204.000 Corona-Toten im Land lobte er sich selbst für "einen phänomenalen Job" und behauptete, unter einem Präsidenten Biden wären "Millionen Menschen gestorben". Als der Klimawandel Thema war, behauptete er, die Demokraten hätten vor, "Flugzeuge abzuschaffen", Häuser abzureißen und Kühe umzubringen.
An anderer Stelle log er schlicht. Biden wolle wegen Corona "das ganze Land dicht machen". Anti-Rassismus-Training sei rassistisch. Er habe 2017 und 2018 "Millionen Dollar" an Einkommensteuer gezahlt, nicht je 750 Dollar, wie die "New York Times" enthüllt hat. Unter seinem Vorgänger Barack Obama seien die USA "viel gewalttätiger" gewesen. Typisch Trump eben.
Wie war Biden?
Noch kurz vor der Debatte hatten Trump und seine Leute Joe Biden wieder als "Sleepy Joe", "Schläfriger Joe", verspottet. Auch spekulierten sie darüber, Biden müsse Aufputschmittel nehmen und einen Ohrhörer benutzen, um die Debatte zu überstehen. Damit haben Trump und Co. Biden womöglich einen Gefallen getan: Die Erwartungen, dass er einen guten Auftritt haben würde, waren bei vielen Zuschauern so gering, dass es für ihn leicht war, sie positiv zu überraschen.
Das tat er dann auch: Zwar verfiel Biden gelegentlich in seine alte Gewohnheit, sich zu verhaspeln, doch insgesamt konnte er in dem allgemeinen Chaos doch einige gute Punkte gegen Trump setzen. Er präsentierte sich als Verfechter einer modernen Klimaschutzpolitik, er nannte Trump einen Rassisten, einen Clown und attackierte immer wieder den Umgang des Präsidenten mit der Corona-Pandemie: "Dieser Mann weiß nicht, wovon er redet. Er hat keinen Plan", stellte Biden fest.
Die jüngsten Enthüllungen der "New York Times" zu Trumps Finanzen nutzte Biden, um Trump als reichen, abgehobenen Trickser und Täuscher darzustellen, der die wahren Sorgen und Nöte der einfachen Amerikaner nicht kenne. Trump und seinesgleichen schauten auf die meisten Menschen "doch nur herab", meinte Biden. Einmal mehr forderte er Trump dazu auf, endlich seine Steuererklärung zu veröffentlichen.
Zugleich nutzte Biden seine Redezeiten, um sich immer wieder als Versöhner zu präsentieren. Trump hingegen lüge und spalte das Land, warnte Biden. "Statt Menschen zusammenzubringen, gießt er noch Benzin ins Feuer." Auf keinen Fall dürfte Trump mit seinen Lügen noch vier Jahre weiterregieren, so Biden.
Insgesamt war Bidens Auftritt sicher nicht großartig. Er wirkte auch kaum charismatisch. Aber Biden ließ sich von Trumps pausenlosen Attacken nicht aus der Ruhe bringen und machte so am Ende doch eine gute Figur.
Über welchen Moment reden jetzt alle?
Der schlagzeilenträchtigste Moment kam nach einer Stunde. Moderator Wallace lenkte das Gespräch - wenn man es so nennen kann - auf Trumps Relativierung der Neonazi-Aufmärsche von Charlottesville im August 2017 und rief ihn mehrmals dazu auf, rechtsextreme und rassistische Gewalt zu verurteilen und sich von solchen militanten Gruppen zu distanzieren. Trump tat das aber nicht.
"Wen soll ich verurteilen?", schimpfte er. "Fast alles, was ich sehe, kommt vom linken Flügel." Er schimpfte gegen die "gefährliche radikale Gruppe" Antifa - obwohl FBI-Direktor Christopher Wray erst kürzlich rechte Gewalt als eine der größten Terrorgefahren dieser Zeiten beschrieben hatte.
Schließlich sprach Trump die Proud Boys an, eine ihm freundlich gesinnte neofaschistische Miliz, die in letzter Zeit viele Black-Lives-Matter-Demos gestört hat. Was er an diese Gruppe gerichtet sagte, war bestenfalls vieldeutig: "Stand back and stand by." Will heißen: Tretet weg und steht bereit. Wallace ließ dies leider unwidersprochen so stehen, statt Trump erneut zu einer klaren Distanzierung aufzufordern.
Prompt präsentierten die Proud Boys ein stolzes Logo: "Stand back, stand by."
The Proud Boys are now sharing the group's logo with the president's words emblazoned like a slogan. pic.twitter.com/T3tp286YRa
— Mike Baker (@ByMikeBaker) September 30, 2020
Dem schloss sich ominöserweise die Frage an, ob Trump und Biden eine Wahlniederlage akzeptieren und an ihre Anhänger appellieren würden, das Gleiche zu tun. Nach der erneuten Lüge, dass die US-Briefwahl automatisch zu Betrug führen würde, rief Trump seine Fans auf, die Demokraten in den Wahlkabinen zu beschatten: "Sie schummeln."
Biden hingegen konnte hier punkten, sich als aufrechter Demokrat zeigen: Er versprach, auch bei einer Niederlage das Ergebnis der Wahl zu akzeptieren und rief die Zuschauer mehrfach dazu auf, wählen zu gehen.
Wer hat gewonnen?
Es darf bezweifelt werden, dass dieses Schreiduell am Stand des Rennens um das Weiße Haus substanziell etwas ändert. Wer vorher Trump gut fand, wird dabei bleiben - das Gleiche gilt für die Biden-Unterstützer. Die wenigen unentschlossenen Wähler, die es überhaupt noch gibt, sind vermutlich nach dem Duell genauso unsicher, wem sie ihre Stimme geben sollen, wie vorher.
Das Unentschieden ist eine gute Nachricht für Biden und eine schlechte Nachricht für Trump. Der Präsident liegt in den Umfragen deutlich zurück, er muss eigentlich dringend in den verbleibenden Wochen bis zur Wahl neue Wähler auf seine Seite ziehen. Die TV-Debatte wäre dazu eine Chance gewesen. Er hätte hier durch einen gelungenen Auftritt den Rückstand zu Biden wettmachen können.
Aber Trump hat seine Chance nicht genutzt.