Donbass-Konflikt Worüber Russland und die Ukraine in Paris verhandeln

Demonstration für die nationale Einheit im Januar in Kiew
Foto: Sean Gallup / Getty ImagesDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Während Russland seine Truppen nahe den ukrainischen Grenzen zusammenzieht, kommen an diesem Mittwoch in Paris ranghohe ukrainische und russische Vertreter zu Verhandlungen zusammen. Sie treffen sich im sogenannten Normandie-Format, um über eine friedliche Beilegung des Donbass-Konflikts zu beraten. Mit dabei: Vertreter aus Deutschland und Frankreich.
Mitten in der gegenwärtigen Krise ist das eine gute Nachricht. Aber was kann das Treffen bewirken?
Es ist die erste Zusammenkunft seit vergangenem Sommer, das allein ist schon ein Erfolg. Bei den Normandie-Treffen geht es um die Umsetzung jener Minsker Vereinbarungen, mit denen 2015 die Kampfhandlungen in der Ostukraine beigelegt wurden. Es gab in der Vergangenheit Treffen auf Ebene der Staats- und Regierungschefs – zuletzt in Paris 2019 – und auf Ministerebene. Diesmal treffen sich nur Berater. Russland sieht keinen Sinn in ranghohen Verhandlungen, solange die Regierung in Kiew keine Zugeständnisse macht.
Kiew ruft Gesetzesvorhaben zurück
Dabei kam ein solches Zugeständnis in dieser Woche tatsächlich aus Kiew: Am Montag hat die Regierung ein Gesetzesprojekt aus dem Parlament zurückgerufen, das nach Aussagen Russlands – aber offenbar auch nach Ansicht Deutschlands und Frankreichs – mit den Minsker Vereinbarungen nicht in Einklang stand.
Das neue »Gesetz über die Grundlagen staatlicher Politik in der Übergangszeit« sollte juristisch regeln, wie die von Russland annektierte Krim und die Separatistengebiete nach einer Wiedergewinnung durch den ukrainischen Staat zu verwalten seien. Darin enthalten: Vorgaben für eine Übergangsjustiz, die zurückliegende Straftaten der Separatisten betreffen. In Minsk war eine Amnestie vereinbart worden.
Eine Annahme des Gesetzes bedeute »den Ausstieg der Ukraine aus den Minsker Vereinbarungen«, kritisierte Russlands Außenminister Lawrow im November 2021. Moskau veröffentlichte im selben Monat sogar die Korrespondenz mit den anderen Normandie-Staaten – und beging damit einen diplomatischen Tabubruch –, um zu verdeutlichen, dass Berlin und Paris seiner Meinung nach zu wenig Druck auf Kiew in dieser Sache ausübten. Bundeskanzlerin Angela Merkel und Präsident Emmanuel Macron hätten im Oktober Wladimir Putin in einem Telefongespräch versichert, sie würden auf Kiew einwirken, damit es das Gesetzesprojekt zurückziehe, monierte Lawrow.
Ukrainischen Medienberichten zufolge war der Rückruf des Gesetzesprojekts eine Vorbedingung für das Treffen am Mittwoch.
Schwierig umzusetzen
Ungelöst ist dagegen das größere Problem: Dass die Minsker Vereinbarungen von 2015 sich kaum umsetzen lassen. Strittig ist vor allem die Reihenfolge der Maßnahmen, aber auch die Rolle Russlands. Moskau sieht sich als Vermittler in einem ukrainischen Bürgerkrieg und leugnet seine unmittelbare Beteiligung am Konflikt – obwohl es faktisch bis heute die Separatistengebiete kontrolliert und dort sogar russische Pässe verteilt hat.
Kiew wiederum möchte die Reihenfolge der vereinbarten Punkte ändern. Es geht unter anderem um die Frage, wie Neuwahlen in den Separatistengebieten und deren Wiedereingliederung zeitlich aufeinander abgestimmt werden. Da die Minsker Vereinbarungen 2015 zum Zeitpunkt einer Niederlage der ukrainischen Armee abgeschlossen wurden und das damalige Kräfteverhältnis abbilden, ist ihre Umsetzung in der ukrainischen Politik extrem unpopulär und für Präsident Wolodymyr Selenskyj mit hohen Risiken behaftet. Sprechen könnte man in Paris vor allem über eine Festigung des brüchigen Waffenstillstands sowie humanitäre Fragen.
»Raum für Deeskalation«
Fraglich ist, ob allfällige kleine Fortschritte im Normandie-Format auf Moskaus weitere Pläne einwirken können. Es geht dem Kreml derzeit nach eigener Aussage nicht darum, seine Vorstellungen zum Donbass umzusetzen, sondern die ganze Sicherheitsarchitektur Europas zu verändern und den Einfluss der Nato zurückzudrängen. Und er setzt dabei auf Eskalation.
»Wenn Präsident Putin sich entschließt, auf maximale Spannung zu setzen, wird es schwer, im Normandie-Format etwas zu erreichen«, räumt ein Berater des französischen Präsidenten Emmanuel Macron ein. Er warnt vor einer »extrem veränderlichen Lage« und dem »selbsterfüllenden Charakter der Krise«, den es zu verhindern gelte. »Der Präsident glaubt, dass es Raum für Diplomatie, Raum für Deeskalation gibt.«
Immerhin bietet das Normandie-Format den Europäern die Gelegenheit, sich in der derzeitigen Krise als eigenständige Kraft zu beweisen. Die Vereinigten Staaten sind nicht Teil der Gespräche, auch wenn die Kiewer Führung sich ihre Teilnahme wünschen würde.