Abzug nach Südrussland Darum verlegt Russland seine U-Boote

Ein russisches U-Boot der Klasse »Improved Kilo« im Hafen von Sewastopol
Foto:Alexey Pavlishak / REUTERS
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Die Meldung über die Umstationierung russischer U-Boote im Ukrainekrieg sorgte am Dienstagmorgen für Aufsehen. Wie aus dem regelmäßigen Geheimdienstupdate des britischen Verteidigungsministeriums hervorgeht, sind die Schiffe von der annektierten Krim in die südrussische Hafenstadt Noworossijsk verlegt worden. Demnach sei wohl die Gefahr ukrainischer Angriffe auf die Schwarzmeerflotte zu groß geworden.
Seit jeher hat die Schwarzmeerflotte ihr Hauptquartier in Sewastopol auf der Krim. Das änderte sich auch nach dem Zerfall der Sowjetunion nicht. Bereits vor der Annexion der Krim im Jahr 2014 sorgte das für Spannungen zwischen der Ukraine und Russland. Die Sicherung des Marinestützpunktes war laut dem britischen Geheimdienst einer der Beweggründe für Wladimir Putin, die Halbinsel zu annektieren. Ausgerechnet die russischen Aggressionen gegenüber der Ukraine sollen diese Sicherheit nun untergraben.
Nach den überraschenden Erfolgen der ukrainischen Gegenoffensive könnte der Bericht ein weiteres Zeichen für ein angeschlagenes russisches Militär sein. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach bereits davon, die »gesamte Ukraine« befreien zu wollen. Auch die Krim. Aber wie sind die Berichte zu deuten? Antworten auf die wichtigsten Fragen:
Was ist über die U-Boote bekannt?
Die Nachrichtenlage ist – vorsichtig gesagt – dünn. Dass die Verlegung überhaupt an die breite Öffentlichkeit gelangt, ist dem britischen Verteidigungsministerium zu verdanken, das durch seine bei Social Media einmaligen Geheimdienstinformationen versucht, ein Gegengewicht zur russischen Propaganda zu schaffen. Moskau hingegen wirft London eine Desinformationskampagne vor.
Doch das britische Ministerium veröffentlichte die Information nicht als Erstes. Der Marineexperte H. I. Sutton schrieb bereits in der vergangenen Woche einen Artikel auf dem Portal Naval News , in dem er den Abzug der U-Boote erklärt. Zwar sollen noch immer U-Boote Sewastopol anfahren, die Boote der Klasse »Improved Kilo« seien jedoch nun im viel weiter von der Ukraine entfernten Marinestützpunkt Noworossisjk konzentriert.
Die »Improved Kilos« sind dieselelektrische, also konventionell betriebene Boote, sagt Militärexperte Johannes Peters, Leiter der Abteilung maritime Strategie und Sicherheit am Institut für Sicherheitspolitik Kiel, dem SPIEGEL. Eine Dieselmaschine der U-Boote lädt während der Überwasserfahrt eine Batterie, die wiederum in der Tauchphase einen Elektromotor antreibt. Die »Improved Kilos« sind eine grundüberarbeitete U-Boot-Klasse des Designs aus den Zeiten des Kalten Kriegs. Sie seien mit das Modernste, was die russische Marine hat, und vor allem: deutlich leiser. Dadurch können sie nicht so leicht aufgespürt werden.
Warum verlegt Russland seine U-Boote?
Neben Städten in den Regionen Charkiw und Cherson rückt auch die Krim ins Visier der ukrainischen Gegenoffensive. Seit Wochen mehren sich Berichte über Drohnenangriffe auf den russischen Marinestützpunkt Sewastopol im Südwesten der Halbinsel. Russland dürfte mit der Verlegung versuchen, seine U-Boote in Sicherheit zu bringen, die es zu Beginn der Invasion extra nach Sewastopol verlegt hatte.
Die Zerstörung eines U-Boots hätte Folgen, die über den militärischen Wert hinausgehen, sagt Militärexperte Peters dem SPIEGEL. »Der Verlust eines U-Boots wäre für Russland eine wirkliche Katastrophe«, nicht nur, weil Russland immer weniger über die industrielle Basis verfüge, diese Einheiten zeitnah zu ersetzen. »Es wäre ein gigantischer Propagandaerfolg für die Ukraine und eine weitere extreme Demütigung für Wladimir Putin – auch innenpolitisch.«
Peters weist darauf hin, dass bereits in den vergangenen Wochen aufgefallen sei, dass Russland seine Flotte kaum noch außerhalb des Hafens operieren lässt. Russland könnte mit der Verlegung versuchen, diese Schiffe aus der Reichweite von Präzisionswaffen zu schaffen. Die Entscheidung sei bemerkenswert: »Es ist sicherlich ein Zeichen dafür, dass Russland sich nicht mehr sicher ist, diese Einheiten in Sewastopol adäquat schützen zu können. Das ist indirekt ein Eingeständnis, dass man sich seiner Überlegenheit auch im Süden und auf der Krim nicht mehr sicher ist.«
Warum sind die U-Boote für Russland so wichtig?
Das Problem der russischen Marine: Eigene Kriegsschiffe können sich dem ukrainischen Festland nicht mehr nähern, um mögliche Angriffe durchzuführen. Das liegt an den Antischiffsraketen Neptun, mit denen wohl auch die »Moskwa« abgeschossen wurde . U-Boote hingegen sind von Natur aus immun gegen derartige Geschosse – solange sie unter Wasser sind. Außerdem können die U-Boote auch Landziele erreichen.
»Spätestens seit der Versenkung der ›Moskwa‹ hat Russland die U-Boote genutzt, um Präzisionsflugkörper, also ›Kalibr Cruise-Missiles‹, auf Ziele in der Ukraine abzufeuern«, sagt Peters. U-Boote seien ein veritables Mittel dafür, weil sie die Marschflugkörper tauchend abfeuern können. Und darauf konnte sich die russische Marine auch konzentrieren: Die Ukraine ist auf Wasser nicht nur kein ebenbürtiger, sondern gar kein Gegner. Sie verfügt weder über U-Boote noch andere Schiffe, die technisch auf dem Stand der russischen Marine sind.
Die russischen U-Boote haben laut Peters jedoch einen Stellenwert, der über den militärischen Nutzen hinausgeht. »U-Boote haben traditionell in der russischen Marine einen extrem hohen Stellenwert, weil sie schon im Kalten Krieg das waren, womit man in der eigenen Wahrnehmung und auch im Narrativ gegenüber der eigenen Bevölkerung den Westen das Fürchten gelehrt hat«, sagt er.
Verliert die russische Marine dadurch an Schlagkraft?
Noworossijsk in der Oblast Krasnodar liegt zwischen Sotschi und der Krim, nur etwas mehr als 100 Kilometer Luftlinie von der Straße von Kertsch entfernt. Der Weg ins Asowsche Meer vor der Ukraine dürfte durch die Umstationierung also nicht länger werden. Dennoch verliere Russland im direkten Konfliktgebiet an Schlagkraft, sagt Peters. Es sei vor dem Hintergrund der laufenden ukrainischen Gegenoffensive im Süden ein Verlust an weitreichender Präzisionsschlagfähigkeit. Theoretisch könnten die Marschflugkörper der U-Boote auch aus Noworossijsk ukrainische Ziele treffen.
»Theoretische Reichweite ist aber nicht gleich Gefechtsreichweite«, erklärt Peters. »Die Marschflugkörper benötigen Zieldaten, welche sie dann selbstständig anfliegen. Je dynamischer das Gefechtsumfeld, umso schwieriger sind diese zu generieren.« Und im Bereich der präzisen Zieldatengenerierung habe Russland große Defizite offenbart. »Es ist durchaus ein taktischer Nachteil für die russische Seite, wenn sie gezwungen ist, diese Flugkörper aus mehreren Hundert Kilometern Entfernung abzufeuern.«
Ein weiteres Problem: Präzisionsflugkörper sind sehr teuer, können also nicht nach Belieben verschossen werden. »Es ist anzunehmen, dass Russland nicht mehr über große Bestände verfügt«, sagt Peters. »Vor Wochen ist Russland dazu übergegangen, konventionelle Artillerie in Masse einzusetzen.« Die russischen Streitkräfte seien eine gigantische Blackbox, sagt Peters. »Viele Fähigkeiten, die man den Russen im Vorfeld zugesprochen hat, haben sich inzwischen als offensichtlich nicht in dem Maße existent herausgestellt.«