Früherer Selenskyj-Unterstützer im Visier Neue Razzien im Kampf gegen Korruption in der Ukraine

Kiew treibt den Kampf gegen Korruption voran. Sicherheitsbeamte durchsuchten das Haus des einflussreichen Oligarchen Ihor Kolomoisky. Für Präsident Selenskyj geht es dabei auch um ein Zeichen in Richtung EU.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj

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Efrem Lukatsky / AP

In der Ukraine haben Ermittler am Mittwoch bei Razzien in mehreren Korruptionsfällen unter anderem das Wohnhaus des einflussreichen Oligarchen Ihor Kolomojsky durchsucht. »Jeder Kriminelle, der die Dreistigkeit besitzt, der Ukraine gerade in Kriegszeiten zu schaden, muss verstehen, dass wir ihm Handschellen anlegen werden«, hieß es auf dem Telegram-Kanal des ukrainischen Inlandsgeheimdienstes SBU.

Der SBU veröffentlichte Bilder von der Hausdurchsuchung bei Kolomojsky. Demnach soll es um Veruntreuung von 40 Milliarden ukrainischen Hrywnja (umgerechnet rund eine Milliarde Euro) in der Ölbranche gehen. Kolomoisky, der ein Fehlverhalten zurückgewiesen hat, hielt einst Anteile an zwei unter Verdacht stehenden Großkonzernen. Eine Stellungnahme des 59-Jährigen gab es auch zu den aktuellen Vorwürfen zunächst nicht.

Kolomojsky, einer der reichsten Männer der Ukraine, steht seit 2021 auf einer Sanktionsliste der USA und genießt seit Jahren einen zweifelhaften Ruf. Er besitzt eine ganze Reihe von Unternehmen, unter anderem einen der einflussreichsten Fernsehsender des Landes. 2019 unterstützte Kolomoisky bei der Präsidentenwahl den Wahlkampf des heutigen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Die beiden blieben eine Zeit lang eng befreundet, später ging Selenskyj auf Distanz zu Kolomojsky .

Ende 2021 und damit wenige Monate vor dem Einmarsch der russischen Streitkräfte ging die Regierung Selenskyjs gegen einflussreiche Oligarchen in der Ukraine vor. Selenskyj wurde jedoch vorgeworfen, nicht entschlossen genug Maßnahmen gegen seinen ehemaligen Unterstützer ergreifen zu können. Die aktuellen Korruptionsermittlungen laufen seit vergangenem Jahr. Im Zuge dessen wurden bei dem 59-Jährigen auch Hausdurchsuchungen vorgenommen.

Leitung der Zollbehörde entlassen

Der Vorsitzende von Selenskyjs Partei »Diener des Volkes«, Dawyd Arachamija, schrieb in Onlinediensten, dass auch Büros der Steuerbehörden in der Hauptstadt Kiew sowie das Haus von Arsen Awakow durchsucht worden seien, der von 2014 bis 2021 Innenminister der Ukraine war. Zudem sei die Leitung der Zollbehörde entlassen worden. Auch hohe Vertreter des Verteidigungsministeriums hätten Besuch von Ermittlern erhalten.

Die Ermittlungen gegen Ex-Innenminister Awakow sollen sich um den Hubschrauberabsturz Mitte Januar drehen, bei dem Awakows Nachfolger im Amt des Innenministers, Denys Monastyrsky, ums Leben kam. Bei der Durchsuchung seien »die Verträge mit Airbus von vor sechs Jahren angeschaut« worden, sagte Awakow der »Ukrajinska Prawda«. Der Unglückshubschrauber stammt vom französischen Hersteller Airbus. Die Verträge über den Kauf waren unter Awakow abgeschlossen worden.

Vor Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine vor fast einem Jahr war das Land regelmäßig von Korruptionsskandalen erschüttert worden. Auf dem Korruptionsindex der Organisation Transparency International rangierte das Land vor Beginn des Krieges auf Platz 122 von 180.

Bereits in der vergangenen Woche waren infolge eines mutmaßlichen Korruptionsskandals in der ukrainischen Armee mehrere Vizeminister, Gouverneure und hochrangige Beamte zurückgetreten oder entlassen worden. Den Ausschlag für die Entlassungswelle gab unter anderem der in ukrainischen Medienberichten vorgebrachte Vorwurf, das ukrainische Verteidigungsministerium habe für die Soldaten im Hinterland Lebensmittel zu deutlich überhöhten Preisen eingekauft.

Hoffnung auf EU-Beitritt

Zu den neuerlichen Razzien kam es wenige Tage vor dem EU-Gipfel, bei dem die Ukraine um konkrete Perspektiven für eine Mitgliedschaft bitten dürfte. Die Bekämpfung der Korruption im Land ist eine der wichtigsten Forderungen Brüssels für den von Kiew angestrebten Beitritt. Mit Blick auf den Gipfel am Freitag kündigte Präsident Selenskyj in seiner abendlichen Ansprache weitere Anti-Korruptionsmaßnahmen an: »Wir bereiten neue Reformen in der Ukraine vor«, sagte er. »Reformen, die die soziale, juristische und politische Realität in vielerlei Hinsicht verändern werden, sie menschlicher, transparenter und effektiver machen werden.«

sak/AFP/Reuters
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