Das ist das Grab von Serhiy Pehyda. Er war 70, als er im Juni während eines russischen Angriffs getötet wurde. Nun wird der Mann exhumiert, damit die genaue Todesursache festgestellt werden kann. Seine Frau, eine ehemalige Lehrerin, ist dabei und erinnert an ihren Mann.
Tamila Pehyda, ehemalige Lehrerin:
»Er war ein sehr guter Mensch, als Vater, als Freund. Er war ein Vorbild für andere Lehrer, er hat anderen immer geholfen.«
Die ukrainischen Behörden haben die Exhumierung organisiert. Sie untersuchen Fälle getöteter Zivilisten, um mögliche Kriegsverbrechen durch die Kremltruppen aufzudecken, in diesem Fall in Wyssokopillja in der Region Cherson. Das ist auch im Sinne der Angehörigen.
Tamila Pehyda, ehemalige Lehrerin:
»Er hat meinem Leben Sinn gegeben. Er war mir sehr lieb und teuer. Das Wertvollste, das ich in meinem Leben hatte. Sie haben mir das weggenommen, was ich am meisten geschätzt habe, verstehen Sie? Sie müssen für all das zur Verantwortung gezogen werden, moralisch und körperlich. Sie müssen für ihre Taten bestraft werden. Wie viel Leid sie hierher gebracht haben… Für Kinder, für Enkelkinder…«
Während in anderen Teilen des Landes Gefechte toben, läuft also in befreiten Gebieten längst die Aufklärung.
So auch in der und um die Stadt Cherson. Vor etwa einem Monat haben die ukrainischen Streitkräfte die russischen Besatzer vertrieben. Jetzt geht ein Team von internationalen Juristen und ukrainischen Ermittlern auf Spurensuche – es geht um Folter, Mord und sexualisierte Gewalt. Und es gibt viel zu tun.
Anna Sosnovska, Ukrainische Einheit für Kriegsverbrechen und sexuelle Gewalt
»Überall, wo russische Soldaten stationiert waren, haben sie Kriegsverbrechen begangen. Sie haben konfliktbezogene sexuelle Gewalt verübt. Und sie haben gefoltert, gemordet. Und das ist die Hauptstrategie, denke ich. Wie eine Methode, Krieg gegen die Ukraine als Nation zu führen.«
Solche Anschuldigungen gibt es seit Kriegsausbruch am 24. Februar. Die ukrainische Staatsanwaltschaft spricht von 50.000 mutmaßlichen Fällen internationaler Verbrechen. Russland bestreitet all das.
Den ukrainischen Behörden in Cherson hilft aktuell die Gruppe Global Rights Compliance, sie sitzt in Den Haag und soll die örtlichen Ermittler unterstützen und entlasten.
Julian Elderfield, Global Rights Compliance:
»Es geht darum, die richtigen Fragen zu stellen und einzigartige oder andere Wege der Ermittlung zu verfolgen, die ansonsten von örtlichen Ermittlern nicht verfolgt worden wären.«
Gemeinsam sammeln die Ermittler Beweise, auch Videos und Fotos, sprechen mit Zeugen und mutmaßlichen Opfern.
Serhii Doroshyn, ukrainischer Ermittler:
»Wir selbst haben mit ungefähr 70 Menschen gesprochen. Es geht um unmenschliche Behandlung. Gesetze und Gebräuche des Krieges werden überhaupt nicht eingehalten, auch keine der Konventionen.«
Olha Kotlyarska, Global Rights Compliance:
»Unter den 70 Menschen, die Sie befragt haben. Gab es da Opfer von sexueller Gewalt?«
Serhii Doroshyn, ukrainischer Ermittler:
»Ja, die gab es.«
Olha Kotlyarska, Global Rights Compliance:
»Viele?«
Serhii Doroshyn, ukrainischer Ermittler:
»Etwa 60 Prozent.«
Einige Einwohner hätten erzählt, sie seien gefangen gehalten und gefoltert worden. Das passt zu Berichten aus anderen befreiten Gebieten der Ukraine. Dass die Arbeit der Ermittler aber erst so richtig losgehen kann, sobald die russischen Besatzer vertrieben wurden, bringt Probleme mit sich.
Julian Elderfield, Global Rights Compliance:
»Es ist ein zweischneidiger Prozess. Die Beweise müssen so schnell wie möglich gesammelt werden, nachdem sich die Verbrechen ereignen. Aber sobald sich die Situation vor Ort verbessert, sind Opfer von sexueller Gewalt eher bereit dazu, darüber zu sprechen.«
Und so bleibt es eine der großen Herausforderungen bei der Aufarbeitung dieses Krieges: Auf die Befreiung von Gebieten muss so schnell wie möglich die Aufklärung folgen.