Uno-Bericht 71 Millionen Menschen innerhalb von drei Monaten in Armut abgerutscht

Die steigende Inflation treibt weltweit mehr Menschen in die Armut als die Coronapandemie, warnt die Uno. In ihrem Bericht analysiert die Organisation auch, welche Hilfen funktionieren – und welche nicht.
Demo gegen steigende Telekommunikationspreise im Libanon am 5. Juli

Demo gegen steigende Telekommunikationspreise im Libanon am 5. Juli

Foto: Bilal Hussein / AP
Globale Gesellschaft

In Reportagen, Analysen, Fotos, Videos und Podcasts berichten wir weltweit über soziale Ungerechtigkeiten, gesellschaftliche Entwicklungen und vielversprechende Ansätze für die Lösung globaler Probleme.

Alle Artikel

Steigende Preise, steigende Armut: Der weltweite Preisanstieg bei Lebensmitteln und Energie hat laut einem Uno-Bericht innerhalb von nur drei Monaten weltweit 71 Millionen Menschen in die Armut abrutschen lassen. Betroffen sind vorwiegend Menschen aus armen Ländern. Sie müssen mit weniger als knapp vier Euro pro Tag und Person auskommen, heißt es in dem Bericht des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP). Demnach nehme die Armut schneller zu als unter dem Schock der Coronapandemie.

»Die beispiellosen Preisanstiege bedeuten, dass für viele Menschen auf der Welt Lebensmittel, die sie sich gestern noch leisten konnten, heute nicht mehr bezahlbar sind«, erklärte UNDP-Chef Achim Steiner. Er warnte vor Hungersnöten und einer Zunahme sozialer Unruhen.

Geldtransfers statt Subventionen

Laut dem Uno-Programm sind zur Lösung des Problems gezielte Geldtransfers an Haushalte effizienter und gerechter als Steuersenkungen oder pauschale Energiesubventionen. Hilfe nach dem Gießkannenprinzip sei weniger effektiv als Direktzahlungen an die am stärksten Betroffenen, um Menschen vor Armut zu bewahren.

Autoschlange an einer Tankstelle in Addis Abeba, Äthiopien, nach einem rasanten Preisanstieg Anfang Juli

Autoschlange an einer Tankstelle in Addis Abeba, Äthiopien, nach einem rasanten Preisanstieg Anfang Juli

Foto: Amanuel Sileshi / AFP

Zu pauschalen Subventionen zählt etwa eine vorübergehende Senkung der Energiesteuer zur Verbilligung des Benzins wie in Deutschland. Das helfe zwar kurzfristig, verschlimmere aber die Ungleichheit und verschärfe bei Energiesubventionen langfristig auch die Klimakrise, weil Menschen, die es sich leisten könnten, bei billigeren Benzinpreisen mehr Auto führen. Nach Angaben des UNDP profitieren von Energiesubventionen vor allem die reichsten 20 Prozent einer Bevölkerung. Gezielte finanzielle Unterstützung würde dagegen vor allem den 40 Prozent der Ärmsten zugutekommen.

Arme Länder sind auf multilaterale Hilfe angewiesen

Gleichzeitig seien die betroffenen Länder auf multilaterale Hilfe angewiesen, um »über die Runden zu kommen«. Es bestehe zudem die Gefahr, dass durch eine Erhöhung von Zinssätzen zur Bekämpfung der Inflation weitere Menschen in die Armut getrieben würden und die Armut in aller Welt noch verschärft werde, warnte das UNDP.

Bauernprotest Anfang Juli in Sri Lanka

Bauernprotest Anfang Juli in Sri Lanka

Foto: Thilina Katulothage / NurPhoto / IMAGO

Mit dem Anstieg der Zinsen infolge der Inflation laufen nach UNDP-Angaben außerdem Dutzende Länder Gefahr, zahlungsunfähig zu werden. Wenn sie keine Nahrungsmittel- oder Energieimporte mehr bezahlen könnten, drohten Unruhen, wie die Situation in Sri Lanka jüngst gezeigt habe, sagte UNDP-Chef Achim Steiner. Das UNDP fordert, dass die Zinszahlungen der Länder auf Staatsschulden für zwei Jahre ausgesetzt werden.

Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine verschärft die Situation

Ursachen der derzeitigen Krise sind nach UNDP-Angaben unter anderem die verheerenden wirtschaftlichen Auswirkungen der Coronapandemie sowie der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und die russische Blockade ukrainischer Häfen, über die kein Getreide exportiert werden kann.

Das UNDP betrachtet in dem Bericht die Situation in 159 Ländern. Am kritischsten ist die Lage demnach in den Balkanländern, am Kaspischen Meer sowie in Subsahara-Afrika, insbesondere in der Sahelzone. Zu den besonders stark von Preisanstiegen betroffenen Ländern zählen laut Uno Armenien, Usbekistan, Burkina Faso, Kenia, Ruanda, der Sudan, Haiti, Pakistan, Sri Lanka, Äthiopien, Mali, Nigeria, Sierra Leone, Tansania und der Jemen.

Dieser Beitrag gehört zum Projekt Globale Gesellschaft

Unter dem Titel »Globale Gesellschaft« berichten Reporterinnen und Reporter aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Europa – über Ungerechtigkeiten in einer globalisierten Welt, gesellschaftspolitische Herausforderungen und nachhaltige Entwicklung. Die Reportagen, Analysen, Fotostrecken, Videos und Podcasts erscheinen in einer eigenen Sektion im Auslandsressort des SPIEGEL. Das Projekt ist langfristig angelegt und wird von der Bill & Melinda Gates Foundation (BMGF) unterstützt.

Ein ausführliches FAQ mit Fragen und Antworten zum Projekt finden Sie hier.

col/AFP/dpa
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren