Griechenland setzt Menschen auf dem Meer aus Uno-Flüchtlingshilfswerk zählt Hunderte mutmaßliche Pushbacks

Das Uno-Flüchtlingshilfswerk hat den griechischen Behörden nach SPIEGEL-Informationen Hinweise auf »mehrere Hundert« mutmaßliche Pushbacks übergeben. Die Organisation warnt: Das Recht auf Asyl sei in Gefahr.
Afghanische Geflüchtete in einem der Rettungsflöße, die griechische Grenzbeamte für die Pushbacks verwenden

Afghanische Geflüchtete in einem der Rettungsflöße, die griechische Grenzbeamte für die Pushbacks verwenden

Foto: Emrah Gurel / AP

Das Uno-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) erhöht wegen der Rechtsverletzungen in der Ägäis den Druck auf die griechische Regierung. Seit Beginn des vergangenen Jahres habe man »mehrere Hundert Fälle« von mutmaßlichen Pushbacks registriert, sagte die UNHCR-Repräsentantin in Griechenland, Mireille Girard, dem SPIEGEL.

Das UNHCR habe den Behörden die entsprechenden Hinweise übergeben. In allen Fällen lägen der Organisation eigene Informationen vor, die auf illegale Pushbacks an Land oder auf See hindeuten. »Wir erwarten, dass die griechischen Behörden diese Vorfälle untersuchen«, sagte Girard. »Das Recht auf Asyl wird in Europa angegriffen.«

Pushbacks verstoßen gegen internationales Recht

Der SPIEGEL hat seit Juni 2020 in gemeinsamen Recherchen mit »Report Mainz« und Lighthouse Reports gezeigt, dass die griechische Küstenwache Flüchtlingsboote in der Ägäis stoppt, den Motor der Schlauchboote kaputt macht und die Menschen wieder in türkische Gewässer zieht. Anschließend setzen die griechischen Beamten die Migrantinnen und Migranten auf manövrierunfähigen Schlauchbooten auf dem Meer aus. Manchmal benutzen sie auch aufblasbare orange Rettungsflöße. Am griechisch-türkischen Grenzfluss Evros kommt es zu ähnlichen Aktionen.

DER SPIEGEL

Diese sogenannten Pushbacks verstoßen gegen internationales und europäisches Recht – unter anderem, weil den Schutzsuchenden kein Zugang zu einem Asylverfahren gewährt wird. Griechenland bestreitet die Anschuldigungen pauschal, bei den Augenzeugenberichten und geolokalisierten Videos handele es sich um »Fake News«.

Auch die europäische Grenzschutzagentur Frontex ist in die Pushbacks verwickelt, sie führt in der Ägäis gemeinsame Operationen mit der griechischen Küstenwache durch. In mindestens sieben Fällen befanden sich Frontex-Einheiten in der Nähe von Pushbacks, in einigen Fällen übergaben die europäischen Grenzschützer den Griechen die Flüchtlinge sogar, diese übernahmen dann den Pushback. Ein deutscher Bundespolizist im Frontex-Einsatz verweigerte deswegen den Dienst.

Sonstige / nicht nicht zuzuordnen

Die EU-Antibetrugsbehörde Olaf, das EU-Parlament und die Ombudsfrau der EU untersuchen derzeit die Pushbacks. Eine interne Frontex-Untersuchung konnte nicht alle Vorfälle aufklären.

Die griechischen Behörden schleppen selbst Geflüchtete zurück aufs Meer, die bereits europäischen Boden erreichen konnten. Der SPIEGEL konnte zwei dieser Fälle zweifelsfrei nachweisen. Im April 2020 war eine Gruppe Asylsuchender auf Samos angekommen, im November eine auf Lesbos.

UNHCR dokumentierte Pushback von Lesbos

Das UNHCR hat nun ebenfalls einen solchen Fall aufgezeichnet. Am 17. Februar 2021 seien 13 Asylsuchende auf Lesbos angelandet, sagte Girard. Griechische Inselbewohner hätten das UNHCR alarmiert, die Organisation habe dann den lokalen Behörden Bescheid gegeben.

»Besonders die Kinder haben damit noch jahrelang zu kämpfen.«

Mireille Girard

Die griechische Polizei habe die Geflüchteten in einen Container in einem Quarantänecamp im Norden der Insel geführt. Dann seien vermummte Männer gekommen, hätten die Migrantinnen und Migranten, darunter Frauen und Kinder, zum Hafen gefahren und die Menschen in einem aufblasbaren Rettungsfloß antriebslos auf dem Meer zurückgelassen. Später wurden sie von der türkischen Küstenwache gerettet.

Das UNHCR habe den Fall detailliert rekonstruiert sowie Zeugen und die Überlebenden interviewt. Es bestehe kein Zweifel, dass die Menschen auf Lesbos angekommen und illegal in die Türkei zurückgeführt worden seien, sagt Girard. Solche Aktionen seien illegal. »Der Vorfall muss untersucht werden und Konsequenzen haben.«

Die teilweise gewalttätigen Aktionen führten dazu, dass Geflüchtete sich inzwischen oft vor den Behörden versteckten, so Girard weiter. »Die Asylsuchenden sind ohnehin schon traumatisiert, wenn ihnen nun in Europa wieder Gewalt angetan wird, retraumatisiert sie das«, sagt Girard. »Besonders die Kinder haben damit noch jahrelang zu kämpfen.«

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