Unruhen im Libanon Christliches Oberhaupt predigt Gewaltverzicht

Der maronitische Patriarch Bechara Boutros Al-Rai
Foto: Handout . / via REUTERSNach den Feuergefechten während einer Demonstration in Beirut mit insgesamt sieben Toten hat der höchste christliche Würdenträger des Landes zu Friedfertigkeit und Achtung der Justiz aufgerufen. »Wir müssen die Justiz von politischer Einmischung und sektiererischem Aktivismus befreien und ihre Unabhängigkeit nach den Prinzipien der Gewaltenteilung respektieren«, sagte der maronitische Patriarch Bechara Boutros Al-Rai in seiner Sonntagspredigt. Gewalt oder Drohungen seien keine Handlungsoption in einer Demokratie.
Hintergrund sind Streitigkeiten über die Aufklärung der verheerenden Explosion im Beiruter Hafen im August 2020 mit mehr als 200 Toten und Tausenden Verletzten. Bei einer Demonstration gegen den mit den Ermittlungen beauftragten Richter Tarek Bitar hatten am Donnerstag Scharfschützen auf die Menschen geschossen. Es kam auch zu einem Feuergefecht zwischen Unterstützern der von den schiitischen Bewegungen Hisbollah und Amal organisierten Kundgebung und den Heckenschützen. Die genauen Hintergründe des Gewaltausbruchs sind jedoch unklar.
Libanons Verteidigungsminister Maurice Selim hatte am Samstag mitgeteilt, eine Massenpanik und Zusammenstöße entlang der Demonstrationsroute an der Grenze zwischen einem christlichen und einem schiitischen Viertel hätten zu Schüssen beider Seiten geführt. Erst danach hätten die bislang unbekannten Scharfschützen das Feuer eröffnet.
Ein Vertreter der Hisbollah, Hassan Fadallah, verlangte am Sonntag die Aufklärung des tödlichen Zusammenstoßes. »Wer den Angriff geplant und ausgeführt hat, muss bis ganz nach oben zur Verantwortung gezogen werden«, sagte Fadallah im proiranischen TV-Sender al Mayadeen.
Die Hisbollah fordert wie die Amal-Bewegung die Entlassung des Richters Tarek Bitar, ein Christ. Der Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah nannte den Chefermittler voreingenommen und parteiisch. Die beiden schiitischen Bewegungen machen die libanesischen Kräfte, eine christliche Bewegung, für die tödlichen Unruhen am Donnerstag verantwortlich. Diese weist die Vorwürfe jedoch zurück.
Die Einmischung des maronitischen Patriarchen Rai soll nun deeskalierend wirken. Als religiöser Führer der größten christlichen Gemeinschaft des Landes hat er großen Einfluss; als ein Vermächtnis der französischen Kolonialherrschaft muss die libanesische Regierung alle im Land vertretenen Konfessionen einbinden. Zu den größten Religionsgemeinschaften zählen Schiiten, Sunniten, Maroniten und andere christliche Gemeinschaften sowie Drusen.
»Die seit einiger Zeit zunehmenden Zweifel an der Integrität der Justiz untergraben nicht nur das Rechtssystem, sondern auch das Ansehen Libanons«, sagte Rai daher in Richtung seiner zerstrittenen Landsleute.