Eklat bei Gesprächen über Rüstungskontrolle Unter falscher Flagge

Der US-Diplomat Billingslea ließ bei Abrüstungsverhandlungen mit Russland chinesische Fähnchen auf den Tisch stellen - eine Provokation. In Peking ist man wütend. Was steckt dahinter?
Von Christian Esch, Moskau
Diplomat auf Abwegen: US-Unterhändler Marshall Billingslea

Diplomat auf Abwegen: US-Unterhändler Marshall Billingslea

Foto: LEONHARD FOEGER/ REUTERS

Diplomatie findet hinter verschlossenen Türen statt. Umso neugieriger ist die Öffentlichkeit auf alle Bilder von Verhandlungstischen, wenn die Türen einmal kurz offen stehen. Das dachte sich offenbar auch Marshall Billingslea, US-Chefunterhändler in Sachen Rüstungskontrolle, als er am Montag zu Verhandlungen nach Wien anreiste.

Es ging um den New-Start-Vertrag, der die strategischen Atomwaffen der Nuklearmächte Russland und USA begrenzt und 2021 ausläuft. Moskau will ihn verlängern, Washington will das vorerst nicht - weil es unzufrieden ist, dass China dem Vertrag nicht unterliegt.

Die Türen zum Verhandlungssaal im Palais Niederösterreich standen noch offen, da schickte Billingslea über Twitter ein Foto des Verhandlungstisches in die Welt. Man sah darauf groß chinesische Fähnchen vor leeren Stühlen. Im Hintergrund: amerikanische und russische Wimpel.

Dazu hatte Billingslea einen deftigen Kommentar verfasst: "Wiener Verhandlungen starten gleich. China fehlt. Peking versteckt sich immer noch hinter einer #GroßenMauerderGeheimnistuerei zu seiner Hauruck-Atom-Aufrüstung, und zu anderem mehr. Wir machen dennoch mit Russland weiter."

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Das Bild zeigte Washingtons Wünsche: Es hätte gern, dass China mit am Tisch säße. Es zeigte aber in keiner Weise die Wirklichkeit in Wien: Die Gespräche waren von Anfang an als bilaterale Gespräche zwischen Moskau und Washington angelegt, eine Teilnahme Pekings stand nie in Aussicht. Die chinesischen Wimpel befanden sich deshalb während der Gespräche gar nicht auf dem Tisch, wie andere Fotos  belegen.

China reagiert empört auf US-Aktion

Die US-Delegation hatte sie offenbar nur kurz aufgebaut, um Billingslea eine Twitter-Spitze gegen Peking zu ermöglichen. Dann wurden sie wieder abgeräumt. Wie ein Bühnenbildner, der mit seinen Kulissen die Zuschauer in eine fremde Wirklichkeit entführt, so hatte auch Billingslea den Verhandlungsort dekoriert und verfremdet.

Die Moskauer Tageszeitung Kommersant  machte zuerst auf Billingsleas Trick aufmerksam. Ihr zufolge hatte Billingslea die chinesischen Wimpel offenbar während der Gespräche aufstellen wollen, dagegen hatten die Russen Protest eingelegt. So behalf er sich mit einer schnellen Foto-Aktion vor Gesprächsbeginn.

Fu Cong, Leiter der Abteilung Rüstungskontrolle im chinesischen Außenministerium, reagierte empört  auf Billingslea Trick. Er twitterte als Antwort: "Was für eine seltsame Szene! Chinesische Fahnen auf einem Verhandlungstisch ohne Chinas Einverständnis! Viel Glück beim Verlängern von New Start! Ich frage mich, wie TIEF man sinken kann?" 

Dass China sich den Gesprächen nicht anschließen will, ist verständlich. Sein Atom-Arsenal ist zwanzig Mal kleiner  als das von Russland und der Vereinigten Staaten – rund 300 Sprengköpfe statt jeweils rund 6000.

Der New-Start-Vertrag wurde 2010 ausgehandelt, er gehört damit zum Erbe von Donald Trumps Vorgänger Barack Obama. Trump selbst hält wenig von bestehenden Formen nuklearer Rüstungskontrolle. Den INF-Vertrag über Mittelstreckenwaffen hat Washington 2019 aufgekündigt, unter Hinweis auf russische Verletzungen des Vertrags. Auch das Nuklearabkommen mit Iran und zuletzt den Open-Skies-Vertrag haben die Vereinigten Staaten verlassen.

Es ist unklar, wie Washington Peking an den Verhandlungstisch bringen will. Operationen unter falscher Flagge auf Billingsleas Twitter-Account werden dazu nicht ausreichen.

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