Demokraten nach der Wahl Die uneinige Partei

Die Demokraten haben die Präsidentschaftswahl gewonnen, nicht aber den Senat, im Repräsentantenhaus haben sie Sitze verloren. Wer ist schuld? Der Partei droht ein Richtungsstreit.
Aus Washington berichtet Valerie Höhne
Alexandria Ocasio-Cortez mit "Krankenversicherung für alle"-Maske: "Und jetzt geben sie uns die Schuld dafür"

Alexandria Ocasio-Cortez mit "Krankenversicherung für alle"-Maske: "Und jetzt geben sie uns die Schuld dafür"

Foto: John Angelillo / imago images/UPI Photo

Es ist ein schonungsloses Interview, das die Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez am Wochenende der "New York Times " gab. Die Demokratin ist die berühmteste Vertreterin des linken Flügels ihrer Partei, und sie ist sauer. Sauer, dass moderate Demokraten dem linken Flügel die Schuld dafür geben, dass sie die Mehrheit im Senat nicht gewonnen und Sitze im Repräsentantenhaus verloren haben, sauer, dass es nicht um Versäumnisse einzelner Kandidaten geht, sondern um linke Sprüche wie "Defund the Police", was so viel bedeutet wie "Entzieht der Polizei die Finanzierung".

Ocasio-Cortez sagt, einige in der Parteiführung seien durch die "antiaktivistische Stimmung" so geblendet, dass sie blind seien für die Gewinne, die Aktivisten brächten. Sie habe die Partei angefleht, ihr helfen zu dürfen. Sie habe allen Kandidaten in Wahlkreisen, die auf der Kippe standen, ihre Hilfe angeboten – außer fünf hätten alle abgelehnt. Diese fünf seien gewählt worden, die anderen hätten verloren. "Und jetzt geben sie uns die Schuld dafür", sagte sie.

Burgfrieden ist vorbei

Vor der Wahl gab es bei den Demokraten einen Burgfrieden. Nicht einmal eine Woche danach ist der abgeräumt. Die USA sind ein gespaltenes Land, und die Demokraten sind eine gespaltene Partei. Vereint waren sie im Kampf gegen Donald Trump. Nun, da er gewonnen ist, scheint es wenig zu geben, das die Partei zusammenhält.

Die Demokraten sind eine Volkspartei im klassischen Sinne. Es gibt konservative Mitglieder, die sich der klassischen Arbeiter- und Mittelschicht verbunden fühlen. Es gibt einen moderaten Wirtschaftsflügel. Und: Es gibt linke Abgeordnete, wie Ocasio-Cortez, die für Universitäten ohne Studiengebühren sind, für eine universelle Krankenversicherung, eine Vermögensteuer und für ambitionierten Klimaschutz.  

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Weil die USA ein Zwei-Parteien-System haben, mussten Demokraten und Republikaner schon immer einen weiten Bogen spannen. Doch die Polarisierung der Bevölkerung überträgt sich auch auf die gewählten Vertreter. Ocasio-Cortez sagte der "New York Times": "Meine Kolleginnen und Kollegen müssen verstehen, dass wir nicht der Feind sind. Dass ihre Basis nicht der Feind ist. Dass die Bewegung für schwarze Leben nicht der Feind ist. Dass die Krankenversicherung für alle nicht der Feind ist."

Vier Demokratinnen als Schreckensbild

Ocasio-Cortez und drei andere linke Demokratinnen, Ilhan Omar aus Minnesota, Rashida Tlaib aus Michigan und Ayanna Pressley aus Massachusetts, werden unter anderem von Donald Trump "The Squad" genannt. Sie stehen für eine neue Generation in der demokratischen Partei, alle außer Pressley bezeichnen sich als demokratische Sozialistinnen und haben während der Vorwahlen den linken Senator Bernie Sanders unterstützt.

Das politische Establishment der Demokraten und die vier Abgeordneten befinden sich in einer Art Dauerstreit. Im Sommer 2019 sagte die Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, die vier hätten zwar eine Öffentlichkeit und die Twitter-Welt. Aber: "Es sind vier Menschen, und sie haben vier Stimmen." Die Angst der demokratischen Führung ist, dass Ocasio-Cortez, Omar, Tlaib und Pressley das Außenbild der Demokraten bestimmen. Auch, weil Fox News  und andere konservative Medien sie als Schreckensbild nutzen, um ihren Zuschauerinnen und Zuschauern zu zeigen, wie radikal die Demokraten seien.

Einen Tag nach der Wahl gab es laut CNN  und "Washington Post " eine Schalte, in der moderate Demokraten linke Repräsentanten scharf kritisierten. "Wir dürfen das Wort "Sozialist" oder "Sozialismus nie wieder verwenden", sagte demnach die Abgeordnete im Repräsentantenhaus, Abigail Spanberger, die ihren Wahlkreis in Virginia nur knapp wiedergewonnen hat. "Wenn wir Dienstag als Erfolg verbuchen, werden wir im Jahr 2022 verdammt noch mal zerrissen werden", sagte sie. Ähnlich äußerte sich laut "Washington Post" Conor Lamb, ein Demokrat aus Pennsylvania, der ebenfalls nur knapp wiedergewählt wurde. "Wir zahlen den Preis für unprofessionelle und unrealistische Kommentare in vielen Bereichen, sei es zur Polizei oder zu Fracking", sagte er.

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Ocasio-Cortez findet, Digitalpräsenz der Partei fehle

Ocasio-Cortez sieht das anders. "Progressive Politik schadet Kandidaten nicht", sagte sie der "New York Times". Beispiel Krankenversicherung für alle: Die Kandidaten, die sich dafür ausgesprochen hätten, hätten ihren Sitz behalten. Für Ocasio-Cortez sind die Gründe für das schlechte Abschneiden ihrer Partei nicht rein ideologischer Natur.

Lamb zum Beispiel habe keinen guten Wahlkampf gemacht. Er habe nur 2000 Dollar in der letzten Woche vor der Wahl für Facebook-Werbung ausgegeben. Dabei müsse man um die 200.000 Dollar für Werbung auf Facebook ausgeben. "Wenn ich meine Wahl verlieren würde und sagen würde, es sei die Schuld der Moderaten, weil sie keine Abstimmung über die Krankenversicherung für alle erlaubt haben, und sich die Partei dann meinen Wahlkampf anschauen würde und finden würde, dass ich nur 5000 Dollar für Fernsehwerbung ausgegeben hätte, was würde passieren? Sie würden lachen." Ocasio-Cortez sagte, in den vergangenen Jahren habe es innerhalb der Partei eine "feindliche Stimmung" gegen alles gegeben, was nur ein wenig progressiv gerochen hätte.

"Ich kann nicht einmal beschreiben, wie gefährlich das ist"

Alexandria Ocasio-Cortez

Für Biden ist es kein gutes Zeichen, dass die Partei schon jetzt in aller Öffentlichkeit streitet. Er ist kompromissbereit und hat während seiner ganzen Karriere auch mit Republikanern zusammengearbeitet. Als sich die Partei für ihn entschied, entschied sie sich für einen Wahlkampf der Mitte. Trotzdem machte Biden progressive Wahlkampfversprechen. Viele wird er ohne die Mehrheit im Senat nicht einlösen können. Bei linken Demokraten dürfte das für weiteren Unmut sorgen.

DER SPIEGEL

Es gibt Gerüchte, dass Biden möglicherweise moderate Republikaner wie John Kasich, der eine Wahlempfehlung für Biden ausgesprochen hatte, ins Kabinett berufen könnte. Davor warnte Ocasio-Cortez. "Nachdem 94 Prozent der Detroiter für Biden gestimmt haben, nachdem schwarze Aktivisten die Wahlbeteiligung in Georgia verdoppelt und verdreifacht haben, nachdem so viele Menschen sich in Philadelphia engagiert haben, wenn die Partei danach das Signal sendet, dass die John Kasichs für uns die Wahl gewonnen hätten? Ich kann nicht einmal beschreiben, wie gefährlich das ist", sagte sie. Dann, glaubt sie, würden die Demokraten bei den Zwischenwahlen im Jahr 2022 verlieren.

Der Konflikt zwischen linken und moderaten Demokraten könnte zum grundsätzlichen Streit über die Ausrichtung der Partei werden. Joe Biden will das Land einen. Doch derzeit scheint es fraglich, ob er seine Partei zusammenhalten kann.

Anmerkung: In einer früheren Version des Textes wurde die Abgeordnete Abigail Spanberger versehentlich als Abigail Spencer bezeichnet. Wir haben den Fehler korrigiert.

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