USA nach der Wahl Zwischen Biden und Wahnsinn

Joe Biden hält eine präsidiale Siegesrede, Donald Trump kämpft verzweifelt und zunehmend einsam um sein Amt. Selbst alte Vertraute wenden sich ab. Kann er dem designierten Präsidenten noch in die Quere kommen?
Von René Pfister, Washington
Wahlsieger Biden: "Präsident aller Amerikaner"

Wahlsieger Biden: "Präsident aller Amerikaner"

Foto: REUTERS

Er sprintet auf die Bühne, im Gesicht eine schwarze Maske, allein das markiert den Unterschied zu dem Mann, den er besiegt hat. Es ist schon dunkel in seiner Heimatstadt Wilmington, als Joe Biden seine erste Rede als "President-elect" hält. Und er macht gleich klar, dass er ein anderes Amerika will.

"Ich verspreche, dass ich ein Präsident sein werde, der das Land einigt und nicht spaltet", sagt Biden. Er sei ein stolzer Demokrat, aber als Präsident werde er für alle Amerikaner da sein. "Es ist Zeit, die scharfen Worte hinter uns zu lassen und Amerika wieder mit sich selbst zu versöhnen."

Es ist eine Ansprache, die den Moment trifft. Biden ist auch deshalb gewählt worden, weil die Amerikaner die rüde und spalterische Rhetorik Donald Trumps satthatten. Er betrachte jene Amerikaner, die für den Präsidenten gestimmt haben, nicht als Feinde, sagt Biden. Er sehe es als seine Aufgabe an, die Hand auszustrecken und mit Republikanern zusammenzuarbeiten. Es sei kein Naturgesetz, dass sich die Parteien im Kongress feindlich gegenüberstünden, sagt Biden: "Lasst uns einander eine faire Chance geben."

Joe Biden will einen Neuanfang, so viel ist nach seiner knapp 20-minütigen Rede klar. "Lasst uns die Ära der gegenseitigen Verteufelung beenden", sagt er. Biden ist der Mann, für den mehr als 74 Millionen Amerikaner votierten; er hat damit so viele Stimmen auf sich vereint wie noch kein Kandidat vor ihm in der Geschichte der USA.

Es ist ein Sieg, der Euphorie auslöste im liberalen Amerika. In Washington, D.C. fuhren den ganzen Samstag über Autokorsos hupend durch die Straßen. In den Vororten der amerikanischen Hauptstadt wurden kleine Nachbarschaftsfeten organisiert, um den Machtwechsel zu feiern. Vor dem weiträumig abgeriegelten Weißen Haus trafen sich Tausende Menschen, die "Trump is over"- und "You are fired"-Schilder in die Höhe reckten. Der Times Square in New York glich einer Partymeile, die nur ein Thema kannte: das Ende der Präsidentschaft Donald Trumps.

"You're fired!": Siegesfeier vor dem Weißen Haus in Washington

"You're fired!": Siegesfeier vor dem Weißen Haus in Washington

Foto: MICHAEL REYNOLDS/EPA-EFE/Shutterstock

Dennoch machte der Präsident keine Anstalten, die Niederlage einzuräumen. An dem Tag, als alle Fernsehsender meldeten, dass Trump nach vier Jahren das Weiße Haus räumen müsse, verbreitete dieser eine Presseerklärung, in der es hieß: "Wir wissen alle, warum sich Joe Biden fälschlicherweise als Sieger darstellt und warum ihm die Medien dabei helfen. Sie wollen, dass die Wahrheit unter der Decke bleibt. Diese Wahl ist noch lange nicht vorbei."

Für eine Schlacht fehlen Trump die Truppen

Trump kündigte an, am Montag eine juristische Schlacht zu beginnen, die ihm das Amt retten soll. Allerdings machte der Präsident nicht den Eindruck, als glaube er selbst an einen Sieg. Statt sich auf den juristischen Kampf vorzubereiten, ging er erst einmal eine Runde Golf spielen. Während er in Virginia den Golfschläger schwang, gab sein Vertrauter, der ehemalige New Yorker Bürgermeister Rudy Giuliani, in Philadelphia eine Open-Air-Pressekonferenz, in der er behauptete , dass republikanische Wahlbeobachter systematisch davon abgehalten worden seien, ihren Job zu tun. Er verbreitete auch die Theorie, dass die Demokraten massenhaft Wahlbriefe gefälscht hätten, um Biden den Weg ins Weiße Haus zu ebnen.

Präsident Trump (nach einer Golfrunde am Samstag): Durch die Hintertür ins Weiße Haus

Präsident Trump (nach einer Golfrunde am Samstag): Durch die Hintertür ins Weiße Haus

Foto: Evan Vucci / AP

Das Problem ist nur: Bisher konnten Trump und sein Team dafür nicht den geringsten Beweis vorlegen. Selbst der konservative Sender Fox News, der in den vergangenen Jahren treu an der Seite des Präsidenten gestanden hatte, machte keinerlei Anstalten, Giulianis wilde Theorien zu untermauern, im Gegenteil.

Schon am Freitagabend hatte Laura Ingraham, einer der Stars des Senders, Trump recht unverhohlen dazu aufgerufen, im Falle einer Niederlage Großmut zu zeigen und seinem Nachfolger zu gratulieren. Ein Abgang in Würde, so Ingraham, würde Trump zum "Elder Statesman" und zum "Königsmacher" der republikanischen Partei befördern. Nur wenige Stunden später rief Fox News Joe Biden zum 46. Präsidenten der Vereinigten Staaten aus.

Trumps größtes Problem ist, dass ihm für eine Schlacht um das Weiße Haus schlicht und einfach die Truppen fehlen. Mitch McConnell, der Mehrheitsführer der Republikaner im US-Senat, hat sich in den vergangenen Tagen auffällig still verhalten. Auch andere einflussreiche Republikaner vermieden es, sich an die Seite des Präsidenten zu stellen, und die eher unabhängigen Köpfe im konservativen Lager zögerten nicht, Biden zum Wahlsieg zu gratulieren: Mitt Romney etwa, der Senator aus Utah. Oder der ehemalige Gouverneur von Florida, Jeb Bush.

Es spricht also wenig dafür, dass Trump in der Lage sein wird, den Wählerwillen zu ignorieren und sich im Amt festzukrallen. Bis zum Tag der Vereidigung Joe Bidens vergehen zwar noch mehr als 70 Tage, in denen Trump mit seiner Macht viel Unheil anrichten kann. Aber der Präsident hat die Stimmung in weiten Teilen des Landes gegen sich, ihm fehlt eine kraftvolle Unterstützung durch die eigene Partei – und auch international wenden sich die Regierungen von Trump ab: Neben Bundeskanzlerin Angela Merkel  und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron gratulierte auch der britische Premierminister Boris Johnson  dem Demokraten Biden zum Wahlsieg.

Bidens Herkulesaufgabe

Für den 77-Jährigen sind das alles gute Nachrichten. Trotz des Lärms, den Trump veranstaltet, kann sich Biden auf die Arbeit konzentrieren, die vor ihm liegt. Und die wird nicht einfach. In den USA sind mehr als zehn Millionen Menschen arbeitslos. Der "President-elect" muss das Vertrauen der alten Partner wiedergewinnen. Vor allem aber muss er schnell ein Team zusammenstellen, das entschlossen die Corona-Pandemie in den Vereinigten Staaten bekämpft. In den vergangenen Tagen eilte das Land bei den Infektionszahlen von einem Rekord zum nächsten, regelmäßig steckten sich 100.000 Menschen mit dem Virus an – pro Tag.

In seiner Rede in Wilmington kündigt Biden an, schon am Montag eine zwölfköpfige Arbeitsgruppe zu präsentieren, die sich dem Kampf gegen die Pandemie widmen wird. Dem Team steht eine Herkulesaufgabe bevor – vor allem, weil Trumps Stabschef Mark Meadows – der inzwischen selbst an Covid-19 erkrankt ist – vor wenigen Tagen zugab, dass die Trump-Regierung jeden Versuch eingestellt habe, das Virus unter Kontrolle zu halten.

Podcast Cover

Biden muss nun die Zeit bis zu seiner Amtseinführung am 20. Januar dafür nutzen, ein Regierungsteam zusammenzustellen. Er wird dabei auf erfahrene Leute setzen: Sein außenpolitischer Berater Tony Blinken könnte Nationaler Sicherheitsberater werden; als neue Pentagon-Chefin wird Michèle Flournoy gehandelt, die schon unter den Präsidenten Bill Clinton und Barack Obama im Verteidigungsministerium gedient hat. Eine interessante Frage wird sein, ob es Biden seinem früheren Chef Obama gleich tun und wie dieser einen Republikaner in sein Kabinett holen wird. Obama übernahm nach seinem Wahlsieg im November 2008 Verteidigungsminister Robert Gates von seinem Vorgänger George W. Bush.

Biden hatte im Wahlkampf kurz mit dem Gedanken gespielt, sich einen Republikaner als Kandidaten für das Amt des Vizepräsidenten an seine Seite zu holen, verwarf dann aber die Idee und nominierte Kamala Harris, die Senatorin aus Kalifornien. Sollte sich Biden nun durchringen und einem Republikaner einen prominenten Posten geben, wäre dies ein Zeichen der Versöhnung – und gleichzeitig das Eingeständnis, wie sehr er trotz seines Sieges die Partei Donald Trumps braucht. Denn nach Lage der Dinge werden die Republikaner wahrscheinlich auch weiter die Mehrheit im Senat halten – und damit die Macht haben, die Euphorie des Triumphs schnell platzen zu lassen.

Anmerkung: In einer früheren Version waren die Heimatstadt Joe Bidens und der Stabschef Donald Trumps falsch bezeichnet. Wir haben die Fehler korrigiert.

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