Am 3. November wählen die USA ihren Präsidenten. Sollte heißen: Wenn Donald Trump dann weniger Stimmen erhält als Joe Biden, muss er das Weiße Haus verlassen. Heißt es aber nicht. Das amerikanische Wahlsystem ist komplizierter. Und viele sagen: weniger demokratisch.
So gewann Trump vor vier Jahren, obwohl knapp drei Millionen mehr Menschen für Hillary Clinton gestimmt hatten. Wie geht das? Es gibt drei Probleme.
Problem 1: Das Electoral College
Die US-Bürger wählen den Präsidenten nicht direkt. Jeder Bundesstaat stimmt über ein Gremium aus Wahlmännern und -frauen ab. Aber das Verhältnis zwischen Wahlmännern und Einwohnern ist nicht proportional, kleinere Bundesstaaten sind überrepräsentiert, damit sie überhaupt eine Rolle spielen. Und: In allen Bundesstaaten außer Maine und Nebraska gilt das Prinzip "The Winner-Takes-It-All". Welcher Präsidentschaftskandidat in einem Bundesstaat mehr Stimmen erhält, gewinnt alle Wahlmänner - egal mit welchem Vorsprung.
Julia Lange, DER SPIEGEL, Dokumentation:
"Wenn Biden - ähnlich wie Hillary Clinton, die ja 2016 im Bundesstaat Kalifornien mit 30 Prozentpunkten Vorsprung auf Trump gewann – wenn Biden diesen Bundesstaat, sagen wir, mit 40 Prozentpunkten Vorsprung gewinnt, dann wird es auf die Anzahl der Wahlmännerstimmen, die in diesem Bundesstaat erhält, keinerlei Auswirkungen haben. Er erhält nach wie vor nur die 55 Delegiertenstimmen, die für diesen Bundesstaat veranschlagt sind."
Problem 2: Das Gerrymandering
Alle zehn Jahre werden in den USA die Wahlkreise neu gezogen. Wie – das entscheidet in den meisten Fällen die vor Ort regierende Partei. Und die nutzt das zu ihrem eigenen Vorteil. Im vergangenen Jahrzehnt galt das vor allem für die Republikaner.
Julia Lange, DER SPIEGEL, Dokumentation:
"Das Gerrymandering führt dazu, dass ein zentrales demokratisches Grundprinzip letztlich auf den Kopf gestellt wird. Denn beim Gerrymandering wählen nicht mehr die Wählerinnen und Wähler ihre Abgeordnete, sondern es ist genau umgekehrt. Die Abgeordneten wählen sich letztlich ihre Wähler."
Es gibt zwei Wege, das Gerrymandering – also die Wahlkreisverschiebung - anzuwenden. Zunächst das Cracking.
Julia Lange, DER SPIEGEL, Dokumentation:
"Stellen wir uns z.B. einen Wahlkreis vor, in dem die afroamerikanische Bevölkerung den Ausschlag gibt. Was könnten die Republikaner machen? Sie könnten den Wahlbezirk so zuschneiden, dass afroamerikanische Viertel nicht mehr enthalten sind. Diese würden anderen Wahlbezirken zugeschlagen werden, in denen die Republikaner ohnehin eine solide Mehrheit haben. Die Stimmen würden somit verpuffen und den Republikanern keinen Schaden verursachen."
Beim Packing läuft es andersherum.
Julia Lange, DER SPIEGEL, Dokumentation:
"Alternativ könnten die Republikaner einen Wahlbezirk so zuschneiden, dass afroamerikanische Wohnviertel zusammen mit lateinamerikanischen und studentischen Wohnvierteln zusammengelegt werden. Das würde dazu führen, dass die Demokraten einen Wahlbezirk mit einem sehr hohen Stimmenvorsprung gewinnen, letztlich mit einem unnötig hohen Stimmenvorteil. Diese Stimmen würden jedoch an anderer Stelle fehlen, nämlich in den angrenzenden Wahlbezirken, die dann theoretisch an die Republikaner gehen könnten."
Das Gerrymandering betrifft die Präsidentschaftswahl nur indirekt. Die Bundesstaatsgrenzen und damit die Wahlkreise sind klar gezogen. Allerdings nutzen es die Parteien bei den Wahlen der Parlamente in den einzelnen Bundesstaaten. Und wer dort die Mehrheit gewinnt, kann Einfluss auf den Ablauf der Präsidentschaftswahl nehmen.
Problem 3: Die niedrige Wahlbeteiligung
Die Wahlbeteiligung in den USA ist grundsätzlich gering, vor vier Jahren lag sie bei rund 60 Prozent. Und die Regierungen der Bundesstaaten können die Stimmabgabe für einzelne Wählergruppen erschweren. Zum Beispiel, indem sie strenge Regeln für die Briefwahl aufstellen – in Coronazeiten kann das viel ausmachen. Trump kriminalisiert die Briefwahl schon seit Monaten.
Donald Trump, US-Präsident:
"And there's been tremendous corruption, tremendous corruption on mail-in ballots. "
"Es gab enorme Korruption, enorme Korruption bei der Briefwahl."
Mehr Briefwahl – mehr Wahlbetrug? Stimmt das?
Julia Lange, DER SPIEGEL, Dokumentation:
"Trumps Behauptung ist faktisch falsch. Zahlreiche Studien belegen, dass der Wahlbetrug bei Briefwahl statistisch gesehen verschwindend gering ausfällt. Zudem ist noch nicht einmal ausgemacht, dass eine Ausweitung der Briefwahl per se einer der beiden großen Parteien zugute kommen würde. Zahlreiche Studien widerlegen das."
Trumps Aussagen verfolgen zwei Ziele. Er erhofft sich, durch eine Einschränkung der Briefwahl die Wahlbeteiligung zu drücken. Gerade demokratisch tendierende Wähler wie ethnische Minderheiten und junge Wähler, die den Gang in die Wahllokale eher meiden als ältere weiße Amerikaner, könnten sich durch die Briefwahl animiert fühlen, ihre Stimme doch abzugeben. So Trumps Sorge. Ein zweiter Grund:
Julia Lange, DER SPIEGEL, Dokumentation:
"Er bereitet damit letztlich argumentativ den Boden für eine mögliche Wahlniederlage im November. Denn sollte er im Herbst diesen Jahres verlieren, könnte er sich darauf berufen, dass die Briefwahlstimmen ohnehin manipuliert gewesen seien und sich letztlich einfach weigern, das Wahlergebnis anzuerkennen."
Die Bundesstaaten legen auch fest, wann und wie sich ihre Einwohner für die Wahl registrieren müssen – und wie sie sich vor Ort auszuweisen haben. Das Problem: Rund elf Prozent der Gesamtbevölkerung haben keinen amtlichen Lichtbildausweis. Auch das betrifft häufig ethnische Minderheiten. Ein Grund: Die Angst vor Autoritäten. Und diese Angst nutzen die Republikaner in diesem Jahr besonders, indem sie Zehntausende freiwillige Helfer in die Wahllokale schicken.
Julia Lange:
"Die Republikaner bedienen sich also eines altbekannten Narrativs, nämlich der Eindämmung des Wahlbetrugs, um letztlich die Wahlbeteiligung zu senken und die Wahl strategisch zu ihren Gunsten zu manipulieren."
Ob das reicht? In aktuellen Umfragen liegt Trump klar hinter seinem Herausforderer Biden. Zuletzt brachte er sogar eine Verschiebung der Wahl ins Spiel. Diese Macht hat allerdings nicht der Präsident, sondern der Kongress. So viel Demokratie muss sein.