Arizona und die US-Wahl Junge Latinos könnten Trump den Wahlsieg kosten
Swing States sind in den USA die Bundesstaaten, die die Wahl entscheiden. Sie haben in den vergangenen Jahrzehnten mal für den republikanischen, mal für den demokratischen Kandidaten gestimmt. In diesen Staaten fällt die Entscheidung, wer US-Präsident wird.
Arizona ist eigentlich kein klassischer Swing State, denn der Staat wählte in den vergangenen Jahrzehnten fast immer republikanisch. Umfrageinstitute sehen Arizona dennoch bei dieser Wahl als Swing State. Wir schauen uns an, woran das liegt:
Proteste in Phoenix, Arizona, im Jahr 2010: Die Menschen demonstrieren hier gegen den Sheriff der Stadt und gegen die republikanische Abschiebungspolitik in dem Bundesstaat, die sich vor allem gegen mexikanische Einwanderer richtet.
Demonstrantin:
"Keine einzige mehr! Keine weitere Mutter soll von ihren Kindern getrennt werden."
Die harte Hand in Maricopa County: Sheriff Joe Arpaio. 24 Jahre lang inszenierte er sich als der starke Mann im Wilden Westen. Er ließ Häftlinge und Einwanderer ohne Papiere bei glühender Hitze in Zeltlagern unterbringen, propagierte "Law and Order”. Bis zum Jahr 2016, da wurde er abgewählt.
Auch in diesem Jahr versuchte der 88-jährige Trump-Anhänger, sich zum Sheriff wählen zu lassen - und scheiterte.
Die strenge Einwanderungspolitik der Republikaner – verliert sie an Beliebtheit? Eine wichtige Veränderung in Arizona deutet darauf hin: Die Zahl der Wählerinnen und Wähler mit lateinamerikanischem Hintergrund steigt. Schätzungen zufolge wird die Gruppe der Latinos in den USA zum ersten Mal die größte ethnische Minderheit bei einer Präsidentschaftswahl bilden. Ihr Anteil steigt auf 13,3 Prozent, sie überholen damit sogar die Gruppe der schwarzen Wähler in den USA.
Auch in Arizona nimmt die Zahl der wahlberechtigten Bürger und Bürgerinnen mit einem lateinamerikanischen Hintergrund zu: Ihr Anteil ist seit der Präsidentschaftswahl 2016 um 2 Prozent auf insgesamt 24 Prozent gestiegen. Arizona landet damit auf Platz vier aller Bundesstaaten. Allein in New Mexico, Kalifornien und Texas sind die Anteile höher.
Viele Latinos haben Angehörige, die unter der republikanischen Einwanderungspolitik gelitten haben. Oder sie sind selbst betroffen. Und: Der Großteil von ihnen wählt tendenziell demokratisch - so wie bei den Midterm-Wahlen 2018: Dort stimmten landesweit 69 Prozent für die demokratischen Kandidaten und Kandidatinnen - in Arizona waren es 75 Prozent.
Vor allem junge Menschen mit einem Latino-Hintergrund werden zu einer wichtigen Wählergruppe in Arizona. Rund 100.000 von ihnen sind seit den Midterm-Wahlen 18 Jahre alt geworden und dürfen dieses Jahr zum ersten Mal wählen.
Wir haben mit einer Erstwählerin aus Phoenix gesprochen und sie gefragt: Wie fühlt es sich an, zum ersten Mal den Präsidenten zu wählen?
Priscila Romero, Studentin:
"Endlich darf ich als Erstwählerin wählen und dann auch noch bei so einer wichtigen Wahl, in der es um so viel geht. Ich freue mich sehr darauf! Aber ich freue mich auch, weil ich viele Familien vertrete, die so sind wie meine. Ich bin Erstwählerin, das bedeutet auch: Meine Eltern können nicht wählen. Das heißt, ich vertrete sie und stehe ein für ihre Bedürfnisse."
Wie und warum kamen Ihre Eltern in die USA?
Priscila Romero, Studentin:
"Sie kamen 1999 über die Grenze. Es war ein 15-tägiger Fußmarsch von Mexiko über die Grenze bis hierher. Sie hatten Hilfe von einem sogenannten "Kojoten". Das ist jemand, der ihnen hilft, über die Grenze zu kommen, und der weiß, wie man hier reinkommt. Für meine Eltern war es eine tragische und traumatisierende Reise. Sie wurden häufig ausgeraubt, angegriffen und schikaniert von der Grenzpatrouille.
Welche politischen Themen liegen Ihnen und Ihrer Familie besonders am Herzen?
Priscila Romero, Studentin:
"Besonders wichtig ist das Thema der gesundheitlichen Versorgung. Menschen ohne gültige Papiere haben in den USA kaum Zugang zu medizinischer Versorgung. Und das gerade in dieser Zeit, in der Covid-19 unsere Gemeinde besonders hart getroffen hat. Meine Eltern haben sich beide mit dem Coronavirus infiziert. Mein Vater musste ins Krankenhaus. Aber er hatte solche Angst aufgrund seines Aufenthaltsstatus, dass er sich weigerte, ins Krankenhaus zu gehen. Wir mussten ihn überzeugen, damit er auch die Therapie in Anspruch nimmt, die er brauchte.
Worüber Priscila Romero sich außerdem Gedanken macht, ist die Wahlbeteiligung in ihrer Community. Denn obwohl diese Wählerinnen und Wähler das Potenzial haben, eine entscheidende Gruppe zu sein, ist noch nicht klar, ob sie es auch nutzen werden. In Arizona arbeiten viele verschiedene Initiativen daran, die Wahlbeteiligung von People of Colour zu erhöhen. Wir haben eine davon kontaktiert und gefragt, was die Herausforderungen dabei sind. Und sie hat uns von einem US-amerikanischen Phänomen erzählt: "Voter Suppression" - so sagt man in den USA, wenn bestimmte Gruppen, vor allem Minderheiten, vom Wählen abgehalten werden.
Maico Olivares, Initiative CASE Action Fund:
"Würde man wirklich wollen, dass mehr Menschen wählen gehen, würde man mehr Wahllokale errichten und es den Menschen deutlich leichter machen zu wählen. Allein die Tatsache, dass man so viele Hürden nehmen muss, nur um sich für das Wählen zu registrieren, ist verrückt."
Wie erreichen Sie insbesondere junge Menschen?
Maico Olivares, Initiative CASE Action Fund:
"Es gibt viele junge Menschen, die sehr desillusioniert sind seit der Wahl 2016. Manche sagen sich: 'Hillary Clinton hatte die meisten Stimmen, aber Donald Trump hat trotzdem gewonnen. Das zeigt, wie kaputt unser Wahlsystem ist.' Manche kann ich auch nach einem 30-minütigen Gespräch nicht dazu bewegen, sich für die Wahl zu registrieren. Aber es gibt diejenigen, deren Meinung ich sehr wohl nach einem Gespräch ändern konnte.
Und was berichten Ihnen Menschen, die nach Arizona eingewandert sind?
Maico Olivares, Initiative CASE Action Fund:
"Ich habe mit einer Frau gesprochen, eine Geflüchtete aus Somalia. Sie erzählte mir, wie sie nach 19 Jahren in den USA, einen Tag nachdem Trump Präsident wurde, auf dem Weg zum Supermarkt beschimpft wurde: Die Person rollte das Autofenster herunter und rief: 'Fuck you, Mohammed! Geh wieder dahin, wo du herkommst!' Sie sagte, sie hatte während ihrer ganzen Zeit in den USA nie rassistische Diskriminierung erlebt. Bis zu diesem Moment, 16 Jahre nach ihrer Ankunft."
Wie wir gerade gehört haben, sind Rassismus und Hass gegenüber Migranten auch in Arizona ein Problem. Wir haben US-Experte Christian Lammert gefragt, welche Rolle Trump und seine Politik dabei spielen.
Christian Lammert, Politologe, FU Berlin:
"Die rassistischen Übergriffe, die wir in Arizona sehen, kann man, glaube ich, aus zwei Perspektiven begründen: Das eine ist schon etwas längerfristig, dass Einwanderungspolitik den Staat Arizona in den letzten zehn Jahren massiv gespalten hat. Das hat dann auch zu einer Art Politisierung der Hispanics in dem Staat geführt, was auch dazu geführt hat, dass sich mehr für Wahlen registriert haben. Und auf der anderen Seite haben wir natürlich jetzt die Rhetorik dieser Administration Trump, die extrem gegen Einwanderung aus Mexiko ist. Da wird über den Mauerbau immer noch diskutiert. Das wird alles ein bisschen genutzt für die politische Mobilisierung, und das führt dann auf den Straßen zu rassistischen Übergriffen.
Die Republikaner sind sich natürlich durchaus bewusst, dass es diese demografischen Verschiebungen und Veränderungsprozesse gibt. Wie steuern Sie denn jetzt dagegen?
"Die Republikaner und auch die Trump-Kampagne zeigen sich momentan eigentlich ein bisschen hilflos, wie sie mit diesen Veränderungen in Arizona klarkommen und vielleicht auch wieder einen Vorteil daraus ziehen können."
Konservative Republikaner oder Latino-Erstwähler - wer die Wahl in Arizona entscheidet, werden wir im November erfahren. Was in dem Staat sonst noch wichtig ist, sehen wir jetzt:
Arizona ist der am heißesten umkämpfte Staat an der Südgrenze der USA, elf Stimmen im Electoral College sind hier zu holen. Für Trump ist hier das Thema Nummer eins seine Grenzmauer, eines seiner großen Wahlversprechen.
Donald Trump, US-Präsident:
"Mexico wird für die Mauer bezahlen!”
Die gleiche Behauptung wie vor vier Jahren. Gezahlt hat Mexiko bislang nichts. Und wie sieht es überhaupt mit dem Bau der Mauer aus? Definitionssache. NEUE Grenzanlagen kann Trump kaum vorweisen, nur rund acht Kilometer hat er in vier Jahren geschafft. Rund 500 Kilometer schon bestehender Anlagen wurden allerdings verstärkt. Für mehr fehlt das Geld im Haushalt. Trumps neuer Versuch: die Grenzpendler zur Kasse bitten.
Donald Trump, US-Präsident:
"Wir werden sie einen kleinen Betrag an der Grenze zahlen lassen, wir haben da ja Zollhäuschen!”
Die Mexikaner in der Grenzregion reagieren auf solche Pläne belustigt bis genervt.
"Trump ist doch verrückt! Mal sagt er das eine, dann wieder was ganz anderes. Ich glaube kaum, dass Mexiko den ganzen Preis für diese Mauer bezahlen wird."
"Jetzt versucht er wieder, geradezu verzweifelt, mit diesem Thema dieselben Stimmen wie beim letzten Mal zu holen."
Wie beim letzten Mal gerät Trump auch in diesem Wahlkampf ins Schwärmen, wenn es um die Unüberwindbarkeit seines handsignierten Prestigeprojekts geht.
Donald Trump, US-Präsident:
"Vielleicht kommt man mit einer extrem langen Leiter hoch, aber das ist schon sehr hoch …"
Unerklimmbar vielleicht. Doch das heißt nicht, dass man nicht auf die andere Seite kommt - zumindest behauptet das dieser äußerst schlanke Zauberkünstler ...
Ein Blick auf die aktuellen Umfragen für Arizona zeigt: Jede Stimme zählt. Laut dem Umfrageinstitut Real Clear Politics führt Joe Biden zwar vor Donald Trump - allerdings mit einem wackeligen Abstand: Ende Juli lag der Herausforderer mit 4 Prozentpunkten vor Trump, Ende August mit 2 Punkten, Anfang September wieder mit 5 Punkten. Zuletzt gaben 49 Prozent der Wähler und Wählerinnen in Arizona an, für Biden stimmen zu wollen, 44 Prozent würden Trump ihre Stimme geben.
In anderen Swing States, wie beispielsweise Michigan, hat sich Bidens Vorsprung stark minimiert. Dort lag er Ende Juli mit 8 Prozentpunkten vorne. Jetzt sind es nur noch 2,6 Punkte. Im ganzen Land führt Biden in den Umfragen: 49,6 Prozent würden den Demokraten wählen, 42,4 Prozent den Präsidenten.
Nächstes Mal schauen wir auf einen Staat, in dem das Rennen ebenfalls knapp wird. Und Trump braucht ihn dringend, um die Wahl zu gewinnen: Es geht um Pennsylvania, im Nordosten der USA. Also - bis zur nächsten Folge.