Pennsylvania vor der US-Wahl Waffenboom im Swing State
Heute schauen wir in den Nordosten der USA, nach Pennsylvania. In diesem "Battleground-State", wie die im Wahlkampf besonders umkämpften Staaten auch genannt werden, geht es um 20 Wahlmännerstimmen. Die größten Städte sind Pennsylvania und Pittsburgh. Von dort, Pittsburgh, stammt auch dieses Video einer "Black Lives Matter"- Demonstration, das allein am ersten Tag nach Veröffentlichung mehr als fünf Millionen Mal abgespielt wurde:
Teilnehmer eines Demonstrationszuges durch die Innenstadt von Pittsburgh schreien die Gäste eines Straßenlokals an. Es bleibt bei der verbalen Auseinandersetzung. Dennoch: Die Szene verbreitet sich rasend schnell über die sozialen Medien. Denn in den wenigen Sekunden aus Pittsburgh steckt auch ein Teil von dem, was das Land seit Monaten bewegt: Die Angst der weißen Mittelschicht, mit der Donald Trump in seinen Reden gerne spielt. Der weiße "Way of Life" sei bedroht durch schwarze, gewaltbereite Demonstranten, die sich nehmen, was sie haben wollen.
Angst vor Gewalt und Plünderungen - in Teilen der weißen US-Bevölkerung ist sie weit verbreitet. Gepaart mit der Verunsicherung durch die Corona-Pandemie hat sie zu einer typischen Reaktion in den USA geführt: dem Anstieg von Waffenkäufen. Im Juli dieses Jahres kauften die Amerikaner 1,2 Millionen Handfeuerwaffen. Eine Steigerung zum Vorjahresmonat um 152 Prozent. Pennsylvania ist da keine Ausnahme:
Pamela Burke besitzt einen Waffenladen im ländlichen Norden Pennsylvanias. Hier ist Trump-Land. 67 Prozent stimmten in Wyoming County 2016 für den Republikaner. Aus Erfahrung weiß Burke, dass Wahljahre immer gut fürs Geschäft sind. Denn offenbar befürchten viele Kunden schärfere Waffengesetze nach der Wahl und decken sich vorher ein.
Die Fotografen Mathias Braschler und Monika Fischer haben Pamela Burke porträtiert. Für ihren Bildband "Divided we stand" sind die beiden Schweizer 24.000 Kilometer durch die USA gefahren, um die Zerrissenheit des Landes abzubilden. Herausgekommen sind 82 faszinierende Porträts. Eines ist ihnen immer wieder begegnet, nicht nur im Waffengeschäft von Pamela Burke: Angst.
Mathias Braschler, Fotograf:
"Das Thema Angst grundsätzlich ist ein ganz, ganz großes Thema. Sei es die Angst vor den Migranten, die aus dem Süden kommen, für die man eine Mauer bauen muss. Das Thema kam immer wieder auf, sei's auch unterschwellig. Die Angst vor Leuten, die anders ausschauen. Auch in der White Middle Class ist das ein Thema. Es ist nicht offener Rassismus, aber es ist ganz klar spürbar. Man hat Angst vor Leuten mit anderer Hautfarbe. Das ist tief, tief drin in der Gesellschaft."
Die Fotos sind vor dem Tod von George Floyd und den anschließenden Massenprotesten entstanden. Doch die strukturelle Benachteiligung von Minderheiten war in den Gesprächen ein immer wiederkehrendes Thema.
Monika Fischer, Fotografin:
"Leute mit anderer Hautfarbe haben uns erzählt, dass sie Rassismus täglich erleben - auch Indigene: Isabella, eine 15-jährige Rodeo-Queen, hat erzählt: Rassismus gehört zu ihrem Alltag. Solange es verschiedene Hautfarben - Schwarze, Indigene, Asiaten - in Amerika gibt, wird es auch Rassismus geben."
Wirtschaftliche Unsicherheit, aufgeheizte Stimmung und ein Waffenboom. Das hat zur Folge, dass auch die Zahl der Toten und Verletzten durch Schusswaffen drastisch gestiegen ist. Die größte Stadt, Pennsylvanias, Philadelphia, macht da gerade Schlagzeilen. Allein im August gab es hier 275 Getötete oder Verletzte durch Schusswaffen. Das ist der höchste Wert seit 13 Jahren. Die Tötungsrate ist im Vergleich zum Vorjahr um 31 Prozent gestiegen. Ähnlich sieht das auch in anderen Metropolen aus, wie New York und Chicago.
Diese explodierende Gewalt und Kriminalität in den Großstädten, die traditionell ja eher von Demokraten regiert werden, so wie im Fall von Philadelphia - dazu spreche ich jetzt mit US-Experte Christian Lammert. Herr Lammert, gelingt es Trump, das im Wahlkampf für sich zu nutzen?
Christian Lammert, Politologe FU Berlin:
"Die Idee der Trump-Kampagne ist hier eben diese Angst zu schüren, dass die Kriminalität aus den Innenstädten auch in die Vororte überschwappen könnte und wir hier dann wieder einen Anstieg bei Einbrüchen sehen. Andere Gewaltverbrechen, wie Vergewaltigungen, die dann damit noch einhergehen können. Und diese Ängste sollen die Wähler verunsichern und in das Trump-Lager treiben. Der versucht, mit seinen "Law and Order"-Positionen hier den starken Mann zu machen."
Hat denn Joe Biden ein eigenes Konzept, um die Kriminalität in den Metropolen zu bekämpfen?
Christian Lammert, Politologe FU Berlin:
"Die Biden-Kampagne versucht momentan - und da reagiert sie ein bisschen auf die Trump-Kampagne - auch in Richtung Law and Order zu gehen. Man findet immer häufiger in seinen Reden auch die Verweise: Es müsse Sicherheit bestehen auf den Straßen in den USA. Wir müssen Kriminalität bekämpfen. Er setzt aber auch einen sehr starken ökonomischen Schwerpunkt in seiner Kampagne. Er will gezielt die Innenstädte mit ökonomischen Programmen ausstatten. Sodass es nicht zu dieser Bandenkriminalität kommt, dass wir einen regulären ökonomischen Prozess in den Städten haben. Und wir nicht diese Parallelwirtschaften, die illegalen, haben, die sich etablieren mit Drogenkrieg und auch Drogenhandel. Hier werden andere Prioritäten gesetzt."
Und welche Wähler sind in dem wichtigen Swing State Pennsylvania wahlentscheidend?
Christian Lammert, Politologe FU Berlin:
"Die politische, wahltaktische Auseinandersetzung momentan geht hauptsächlich um zwei Gruppen: Das sind einmal die Vorstädte, die Vororte, vor allem von Philadelphia, wo die Demokraten traditionell sehr stark sind und wo auch Hillary Clinton 2016 noch sehr stark war. Aber noch eine viel interessantere Wählergruppe sind die weißen Arbeiter, die ehemalige Stahlindustrie. Das ist, wenn man in die Region von Pittsburgh geht. Diese Wählergruppe, die traditionell eigentlich, gewerkschaftlich organisiert, der Demokratischen Partei sehr nahesteht, ist 2016 rübergewechselt zu Trump, weil er versprochen hat, die Stahlindustrie zu stärken. Und hier müssen die Demokraten Antworten finden, wie man diese Wählergruppe wieder ansprechen kann, um sie zurück in die demokratische Wählerkoalition zu holen."
Was Pennsylvania bei dieser Wahl noch besonders macht, sehen wir jetzt:
In seiner Eigenwerbung zeigt sich Pennsylvania als geschichtsträchtige Region mit viel Natur und modernen Unternehmen. Wirtschaftlich steht das frühere Zentrum für Kohle und Stahl heute solide im Mittelfeld der Bundesstaaten. Als Feinschmecker-Destination gilt Pennsylvania dagegen nicht. Aber eins können sie im Nordosten offenbar kulinarisch: Pizza. So erklärt sich auch, warum beide Kandidaten sich in Pennsylvania mit dem Thema beschäftigen.
Joe Biden tritt als Pizza-Lieferant in Pittsburgh auf und muss sich aus dem Hintergrund anschreien lassen. Der Amtsinhaber lässt sich natürlich bedienen und hat bei der Wahl des Pizza-Lokals den besseren Riecher. Denn das verschlafene Städtchen Old Forge, 8000 Einwohner im Nordosten Pennsylvanias, gilt als Geheimtipp. USA Today nannte Old Forge sogar mal Pizza-Hauptstadt Amerikas. In Sachen Fastfood kennt Trump sich eben aus. Besonders dürfte ihn gefreut haben, dass er sich nur wenige Meilen von Joe Bidens Geburtsort Scranton bejubeln lassen konnte. Nur zu gern würde Trump wohl den Staat gewinnen, in dem Biden seine Kindheit verbracht hat.
Im Moment sieht es nicht danach aus. Denn Biden hat in Pennsylvania weiterhin einen Vorsprung. Laut der Webseite Real Clear Politics führt der Herausforderer im Durchschnitt aller Umfragen für Pennsylvania mit 4,3 Prozentpunkten. In der nächsten Folge sehen wir uns Wisconsin an - ebenfalls ein Bundesstaat im sogenannten "Rust Belt" der USA. Zum Schluss noch ein schneller Überblick über die Lage in anderen wichtigen Swing States - und damit Auf Wiedersehen.