Trumps enttäuschte Fans Machtlos, ratlos, schwer bewaffnet

Das konservative Arizona ist gekippt. Jetzt bleibt Trumps Anhängern nur noch eines – wütend gegen den Wahlausgang zu protestieren.
Aus Phoenix, Arizona, berichtet Marc Pitzke
Letzter Aufmarsch: Trump-Fans in Phoenix, Arizona

Letzter Aufmarsch: Trump-Fans in Phoenix, Arizona

Foto: EDGARD GARRIDO / REUTERS

Vanessa Horabuena sieht sich als Opfer des Filzstiftkomplotts. "Meine Stimme taucht nirgends auf", sagt sie und zeigt auf dem Handy eine digitale Liste, die sie als ihre Wählerkartei beschreibt. Und unter "2020" steht da nichts.

Warum? "Filzstifte!", sagt sie voller Überzeugung. Mit denen hätten die Demokraten ihr Wahllokal nämlich absichtlich bestückt, "die standen da alle in so einem Becher". Damit die Tinte auf der Wahlkarte verwische und ihre Stimme nicht mitgezählt werde. "Wahlbetrug!", empört sich Horabuena.

Die absurde sogenannte Sharpie-Verschwörungstheorie kursiert seit Tagen bei Donald Trumps treuesten Fans, vor allem in Phoenix, der Hauptstadt von Arizona, wo Joe Biden den noch amtierenden US-Präsidenten schon in der Wahlnacht überholt hatte und wo sie trotzdem noch auf ein Wunder warten. Die These ist zwar längst offiziell widerlegt, von einem Gericht und dem Heimatschutzministerium. Doch das stört diese Leute nicht.

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Im Maricopa County Elections Department, dem Wahlzentrum von Phoenix, werden hinter verspiegelten Fenstern immer noch die Stimmen ausgezählt. Dutzende Trump-Fans versammeln sich seit Tagen auf einem Parkplatz vor dieser Halle, mit Fahnen, Plakaten und halb automatischen Gewehren, um ihrem Missfallen über den Wahlverlauf Ausdruck zu geben.

Es ist der letzte Aufmarsch der Trump-Armee. Doch ihr Versuch, die armen Wahlhelfer drinnen einzuschüchtern, die zum Mindestlohn rund um die Uhr Stimmen auszählen, und die Stimmung der Trump-Kundgebungen noch einmal wiederzubeleben, ist nichts weiter als müdes Protesttheater.

"Zählt unsere Stimmen": Protest vor dem Wahlzentrum von Phoenix

"Zählt unsere Stimmen": Protest vor dem Wahlzentrum von Phoenix

Foto: CHENEY ORR / REUTERS

Horabuena hat sich auf dem Asphalt aufgebaut, auch, um am unausweichlichen Ende der Trump-Ära vielleicht noch etwas Geld zu machen. Sie ist Künstlerin, und Trump ist ihr Lieblingsmotiv: Auf monumentalen Ölbildern hat sie ihn als mythischen Helden porträtiert, sein grimmig-stoisches Konterfei vor dunklen Gewitterwolken. Die kleine Version kostet 20 Dollar (laminiert), die flaggengroße 300 Dollar.

"Ich bin sein größter Fan", sagt sie. Trump habe die Wahl klar gewonnen, doch die Demokraten hätten Wahlbetrug begangen, nicht nur mit besagten Sharpies, sondern mit einer landesweiten "Deep State"-Verschwörung, an der auch Tausende Republikaner und, ja, Fox News beteiligt seien.

"Wir werden Joe Biden nicht erlauben, diese Wahl zu gewinnen", sagt Horabuena, eine zierliche, freundliche Frau. "Niemals." Doch auf die Frage, was sie noch tun könnten, so das Resultat offiziell ist, hat sie keine Antwort.

"Q hat mich geschickt": Demonstrant vor dem Wahlzentrum in Phoenix

"Q hat mich geschickt": Demonstrant vor dem Wahlzentrum in Phoenix

Foto: OLIVIER TOURON / AFP

Ein maskierter Mann in Tarnuniform dagegen findet eine Antwort. "Ich bin Amerikaner und werde Amerika beschützen." Dafür ist er hochgerüstet, Feuerwaffe, Klappmesser, Armeebrille, schusssichere Weste. Seine blitzsaubere AR-15 baumelt im Schritt wie ein Phallussymbol. "She's my girl", sagt er.

Beim zweiten Hinsehen merkt man, dass sein Outfit noch steif ist, wie frisch gekauft, und viel zu groß, sein schlaksiger Körper verschwindet darin. Er sei 23, sagt er, aber mehr verrät er nicht, auch nicht, wie er heißt. "In God We Trust" prangt an der Stelle der Uniform, wo sonst der Name steht.

Warum er hier so aufkreuzt, wo doch alle Straßen zum Wahlzentrum sowieso von schwer bewaffneten Polizisten abgesperrt sind? Er traue denen nicht – und den Politikern sowieso nicht, "die wollen uns alle die Waffen wegnehmen".

Wirklich? Arizona ist ein Open-Carry-Staat, wo man offen mit seiner Knarre herumlaufen kann. "Ich bin mit dem Gewehr aufgewachsen", sagt er. "Und niemand wird es mir stehlen." Vor allem nicht Joe Biden, doch das bleibt unausgesprochen.

"Sie wollen den Präsidenten umbringen!" Verschwörungstheoretiker Alex Jones in Phoenix

"Sie wollen den Präsidenten umbringen!" Verschwörungstheoretiker Alex Jones in Phoenix

Foto: JIM URQUHART / REUTERS

Eine Handvoll dieser Hobbysoldaten sind gekommen, sie marschieren wichtigtuerisch durch die Volksfestmenge. Sie haben ihre Ausrüstung auf Pick-up-Trucks geladen, während ihre Frauen und Freundinnen in engen Trump-T-Shirts die Kühltaschen gepackt haben für dieses Wahlprotestpicknick.

Tagsüber ist es relativ ruhig. Viele hocken auf Gartenstühlen, Bier in der Hand. Jemand erklimmt unter lautem Jubel einen Laternenmast. Andere haben sich Trump-Flaggen umgehängt und Pappschilder aufgestellt: "Wir lassen uns nicht betrügen." Ein Mann schimpft, man hindere ihn daran, die Auszählung in der Halle zu sehen: "Die verbergen was!"

Neben ihm weist ein großes Schild der Wahlbehörde auf den Livestream hin, mit dem man auch auf seinem Smartphone alles mitverfolgen kann, was hinter den Fenstern geschieht.

Ab und zu greift sich einer ein Megafon und brüllt wütend gegen Biden, George Soros, Bill Gates, die WHO, China, die Medien. Es ist wie eine Ortsversammlung von QAnon, der Trump-affinen Verschwörungserzählung.

Plötzlich Aufregung. Ein Truck liefert etwas an den Eingang des Wahlzentrums. "Das sind gefälschte Wahlzettel!", schreit jemand. "Die schieben Stimmen für Biden nach!" Wütend schwappt die Menge gegen den Maschendrahtzaun, mit dem das Gebäude abgesichert ist.

In dem Truck befindet sich das Material eines Kameramanns.

Abends, wenn ein neuer Schwung an Resultaten verkündet wird, wird es dann voll. Hunderte drängen sich nun, viele mit Waffen, das Flaggenmeer wird unübersichtlich, die Luft knistert.

Alex Jones taucht auf, der Ex-Radiotalker, Impfgegner und Klimakrisenleugner, der gern wilde Verschwörungstheorien verbreitet. Umringt von begeisterten Fans, greift er sich das Megafon. "Sie wollen uns die Wahl stehlen!", schreit er. "Sie wollen das Weiße Haus angreifen und den Präsidenten umbringen!" Zum Schluss lässt er seinen bekannten Urschrei los: "Yeaaaaaaah!" Begeistert stimmt die Menge ein.

Dann verschwindet Jones wieder. Der Aufruhr legt sich, die Leute verkrümeln sich, es wird kühl, das Abendessen wartet.

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