
Edel Rodriguez/ DER SPIEGEL

Die Lage: USA 2020 Wie Amerikas rechte Richter Schwarze am Wählen hindern

Liebe Leserinnen und Leser,
heute erklären wir Ihnen, welche Frage wir Amy Coney Barrett gern stellen würden und warum Donald Trump alles tut, um die letzten unentschiedenen Wähler zu verprellen.
Zunächst eine Nachricht in eigener Sache: Meine SPIEGEL-Kollegen und ich haben in den vergangenen Tagen deutliche Verstärkung bekommen. Jetzt, wo es im Wahlkampf richtig ernst wird, verstärkt der SPIEGEL sein Team in den USA mit fünf weiteren Reporterinnen und Reportern. Gemeinsam werden wir Sie in den kommenden Wochen mit Reportagen, Analysen und Videos informieren - wir sind für Sie im ganzen Land unterwegs, natürlich insbesondere in den sogenannten Swing States wie Pennsylvania, Florida oder Arizona, in denen die Wahl am Ende entschieden wird.
Denn die Umfragen sind das eine (hier finden Sie laufend aktualisierte Daten) - aber was sagen die Menschen? Dieses Land kann man nicht nur von Washington oder New York aus verstehen. Deshalb begeben wir uns für Sie zu den Wählerinnen und Wählern - wir wollen wissen, wie sie auf Donald Trump und Joe Biden schauen und welche Themen sie am meisten bewegen.

Das SPIEGEL-Team, das für Sie über die Wahl in den USA berichten wird
In der vergangenen Woche habe ich mir bei einer Rundreise durch den Süden der USA das Bürgerrechtsinstitut in Birmingham, Alabama, angeschaut. Es gibt dort eine beeindruckende Ausstellung über den Kampf der Schwarzen in den USA um Gleichberechtigung.
Man sieht unter anderem die Tür der Zelle, in der Martin Luther King 1963 seinen berühmten "Brief aus einem Gefängnis in Birmingham" schrieb und eine Originalrobe des Ku-Klux-Klan. Und Besucher werden an die Worte erinnert, die der damalige Gouverneur George Wallace 1963 bei seiner Amtseinführung sprach: "Rassentrennung heute, Rassentrennung morgen, Rassentrennung für immer."
Ich musste an das Museum denken, als ich die Anhörung von Amy Coney Barrett verfolgte, jener Frau, die nach dem Willen der Republikaner der verstorbenen Ruth Bader Ginsburg am Supreme Court nachfolgen soll.
Die Bürgerrechte spielen keine Rolle
Es ist im Vorfeld viel über Barretts Haltung zur Abtreibung, zur Gesundheitspolitik und über ihre religiösen Überzeugungen gesprochen worden. Ein Thema spielt aber kaum eine Rolle: ihre Haltung zu Bürgerrechten.

Amy Coney Barrett bei ihrer Anhörung im Kongress
Foto: HILARY SWIFT / AFPDer Supreme Court hatte eine entscheidende Rolle bei der Abschaffung der Rassentrennung gespielt. Ohne die Richter, auch das lernt man in Birmingham, hätte es vermutlich deutlich länger getrennte Schulen, Restaurants und Busabteile für Schwarze und Weiße gegeben.
Leider hat der von konservativen Richtern dominierte Supreme Court in den vergangenen zehn Jahren auch entscheidend dazu beigetragen, ein Herzstück der Bürgerrechtsreformen der Sechzigerjahre auszuhöhlen - den sogenannten Voting Rights Act von 1965.
Dieser sollte sicherstellen, dass Afroamerikaner und andere Minderheiten gleichen Zugang zu Wahlen haben wie ihre weißen Mitbürger. Ein wesentliches Element war die Vorschrift, dass Bezirke und Staaten, die sich bei der Wählerdiskriminierung besonders hervorgetan hatten, jede Änderung des Wahlrechts vom Supreme Court oder einem Bundesgericht in Washington genehmigen lassen mussten.
Im Jahr 2013 erklärten die fünf von den Republikanern ernannten Richter am obersten Gericht diese Vorschrift für verfassungswidrig. Sie begründeten das, neben juristischen Argumenten, auch mit der Behauptung, die Situation in den Südstaaten habe sich geändert.
Ohne Regenschirm im Gewitter
Ein absurdes Argument, wie Bader Ginsburg damals zu Recht feststellte. Das Wohlverhalten der südlichen US-Staaten Änderung war ja gerade eine Folge der nun verworfenen Regelung. Das sei so, als werfe man bei Gewitter den Regenschirm weg, weil man nicht nass werde, schrieb Bader Ginsburg im Minderheitenvotum der vier liberalen Richter.
Dass sie recht hatte, zeigte sich unmittelbar nach der Urteilsverkündung: Nur Stunden später setzten die Republikaner in Texas ein Gesetz um, das nur noch bestimmte Ausweise zur Wählerregistrierung erlaubte - und damit gegen potenzielle Wähler der Demokraten gerichtet war. Andere Staaten wie North Carolina folgten.
Das Wahlrecht ist nicht der einzige Bereich des demokratischen Wahlprozesses, in dem konservative Richter in den vergangenen Jahren im Sinne der Partei urteilten, der sie ihre Posten verdanken.
2019 entschied die konservative Mehrheit am Supreme Court, dass der rein parteipolitisch motivierte Zuschnitt von Wahlkreisen, das sogenannte Gerrymandering, nicht vom Verfassungsgericht überprüft werden könne. Gerrymandering wird vor allem von den Republikanern seit etwa zehn Jahren systematisch genutzt, um ihre Macht zu sichern.
Freibrief für Einschüchterungen
Die Zahl der Beispiele lässt sich fortsetzen. Ein Bundesgericht in New Jersey entschied Anfang 2018, dass die Republikaner erstmals seit Jahrzehnten wieder sogenannte Beobachter vor Wahllokale schicken dürfen. Das ist ein Freibrief für die Art von Wählereinschüchterung, den die Partei bereits in der Vergangenheit praktiziert hat.
Am Dienstag erlaubte der Supreme Court der Regierung, die Volkszählung, die für die Aufteilung der Wahlbezirke für das Repräsentantenhaus maßgeblich ist, vorzeitig zu beenden. Das begünstigt ebenfalls die Republikaner.
Die konservativen Richter des Landes haben es den Republikaner wieder leichter gemacht, Afroamerikaner und Vertreter anderer Minderheiten am Wählen zu hindern. Ich würde gern Amy Coney Barrett fragen, wie sie dazu steht. Aber ich fürchte, die Antwort würde mich nicht überraschen.
Was diese Woche wichtig wird
Donald Trump tritt in dieser Woche wieder bei Wahlkampfveranstaltungen auf, in Florida Pennsylvania, Iowa und North Carolina. Ob der Präsident vollständig genesen ist, weiß man nicht. Man kann ja selbst seinem Arzt nicht glauben.
Klar ist nur, dass Trump nichts gelernt hat. Auf seinen Kundgebungen drängen sich die Menschen wieder auf engem Raum ohne Masken, getreu der Devise des Präsidenten: Lasst das Virus nicht euer Leben dominieren.
Dass er dabei gleich womöglich die nächsten Superspreader-Ereignisse schafft und auch die letzten noch unentschiedenen Wähler verprellt, scheint Trump nicht zu kümmern. Er setzt nur noch auf die Mobilisierung der eigenen Basis. An eine Mehrheit der Stimmen scheint er nicht mehr zu glauben. Den Wahlsieg sollen ihm die Gerichte sichern. Womit wir wieder beim Supreme Court wären.
Was die Umfragen sagen
Laut der Website FiveThirtyEight , die Umfragen aggregiert, liegt Biden landesweit nach wie vor stabil rund zehn Prozentpunkte vor Trump. Auch in den wahlentscheidenden Staaten wie Pennsylvania, Wisconsin oder Florida liegt er deutlich vorn. Seit Juni lag Biden nie weniger als sechs Prozentpunkte vor Trump. Insgesamt ist Bidens Vorsprung deutlich größer und stabiler, als es der von Hillary Clinton vor vier Jahren jemals war.
Aber: Gewonnen hat Biden deshalb noch nicht, in drei Wochen kann viel passieren. Wegen der Blamage im Jahr 2016 traut sich ohnehin kein seriöser Wahlforscher, schon endgültige Voraussagen zu machen. Und wer kann sicher sagen, dass diesmal allein die Wähler über den Ausgang der Wahl entscheiden - und ob nicht vielleicht die Unwägbarkeiten der Briefwahl alle Umfragen auf den Kopf stellen?
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Ich wünsche Ihnen eine gute Woche!
Herzlich
Ihr Ralf Neukirch