Wahlwoche in Pennsylvania "Daddy, wer ist Präsident?"
Der Champagner wird um 12:20 Uhr geköpft - der Wahlkrimi hat ein Ende: Nahe Harrisburg, Pennsylvania feiert Chris Brennan, ein leidenschaftlicher Republikaner, dass Joe Biden gewonnen hat.
Chris Brennan
"Ich werde endlich schlafen, ich werde heiß duschen, einfach 45 Minuten unter der Dusche sitzen. Und ich werde meiner Tochter die größte Umarmung geben. Meine Frau umarmen. Denn dies ist ein großartiger Tag für Amerika."
Es waren fünf nervenaufreibende Tage – für Chris Brennan und die Welt. Ein Rückblick.
Bereits in den frühen Morgenstunden des 4. November ist klar, dass die Wahl zur Zitterpartie wird – und Donald Trump das Weiße Haus wohl nicht kampflos verlassen will.
Donald Trump, US-Präsident
"Das ist ein Betrug an der amerikanischen Öffentlichkeit und beschämend für unser Land. Wir waren bereit, diese Wahl zu gewinnen. Offen gestanden: Wir haben sie schon gewonnen."
Während im Laufe des Tages in den Bundesstaaten fieberhaft ausgezählt wird, stehen sich die beiden politischen Lager unversöhnlich gegenüber. In Philadelphia demonstrieren Biden-Anhänger gegen den US-Präsidenten. Am Folgetag marschieren in Harrisburg Trump-Unterstützer auf. Je mehr Staaten der US-Präsident verliert, desto haltloser werden die Vorwürfe.
Trump-Unterstützer
"Sie versuchen Stimmen zu klauen. Korruption, Lügen, über Lügen. Es reicht!"
"Joe Biden ist ein Stück Dreck. Auf wundersame Weise tauchen plötzlich willkürliche Stimmzettel auf. Da bin ich dagegen."
"Ich finde das eine Schande, was die Demokraten mit dieser Wahl gemacht haben. Mit der Briefwahl und dem Betrug, der daraus entstanden ist."
Pennsylvania nimmt in diesen Tagen eine Schlüsselrolle ein: Hier führt Trump am Mittwochmorgen nach der Wahl mit 600.000 Stimmen. Doch fast zwei Millionen Briefwahlzettel sind zu diesem Zeitpunkt noch nicht ausgezählt. Am Freitag dann schrumpft der Vorsprung auf weniger als 80.000 Stimmen – und Chris Brennans Nerven sind zum Zerreißen gespannt.
Brennan ist Mitglied der republikanischen Partei seit er fünf Jahre alt war. Doch Trump wollte der studierte Historiker von Anfang an nicht unterstützen. Vor vier Jahren stimmte er für Hillary Clinton, dieses Mal wählte er Joe Biden.
Chris Brennan
"Ich bin für Waffen, für den zweiten Verfassungszusatz. Ich bin für den Schutz des ungeborenen Lebens. Ich unterstütze einen schlanken Regierungsapparat und niedrige Steuern. Aber als Konservativer unterstütze ich auch Institutionen und schätze Traditionen wert. Und diese Person hat die Traditionen nicht respektiert, die wir seit 244 Jahren über alle Parteigrenzen hinweg schätzen. Ich habe noch nie für einen Demokraten in irgendeinem Amt gestimmt. Egal ob Bürgermeister, in der Kommune oder im Kongress. Ich war mein ganzes Leben lang ein strammer Republikaner – bis Mr. Trump ins Amt kam. Für mich ist er kein echter Republikaner."
Es gibt Pizza und Brownies bei den Brennans als Trump nach 40 Stunden Sendepause erstmals wieder vor die Presse tritt. Ehefrau Amy, Tochter Marion und Jane, der Hund, haben sich vor dem Fernseher versammelt. Chris Brennans Puls scheint mittlerweile auf 180.
Chris Brennan
"Wenn Sie nichts dagegen haben, kommentiere ich die Rede, das macht mich wahnsinnig. Und meine Frau macht es wahnsinnig, dass ich Trump nicht zuhören kann, ohne etwas einzuwerfen."
Donald Trump
"Sie zählen Wahlzettel ohne Poststempel"
Chris Brennan
"Nein. Stimmt nicht. Sie müssen einen Poststempel haben."
Donald Trump
"Es gibt keinen Poststempel."
Chris Brennan
"Doch, sie haben einen."
Donald Trump
"Es gab ein paar verstörende Unregelmäßigkeiten im ganzen Land."
Chris Brennan
"Verstörend. Die sind doch alle auf Drogen, diese Spinner. Sorry."
Chris Brennan
"Mögen Sie James Brown? Von dem stammt dieser großartige Song: "Talking loud and saying nothing". Genau das war das eben: Laut reden und nichts sagen. (….)
Amy Brennan
"Wenn Biden Präsident wird, dann haben Trumps Leute im Kopf: Das war Betrug."
Chris Brennan
"Genau. Das ist sehr enttäuschend. Und es geht schon wieder nicht um Beweise oder Fakten oder irgendetwas Konkretes. Es läuft eher nach dem Motto: 'Ein Typ, den ich kenne, hat einen Freund, und dessen Schwester hat eine Cousine, deren Tante einen Neffen hat, und dessen Mitbewohner an der Uni hat einen Cousin, der mir das erzählt hat.' Ich meine, da ist nichts. Zeig mir den Beweis."
Tag drei endet mit den haltlosen Behauptungen von Trump. Einen Gewinner gibt es nicht.
24 Stunden später sitzt Familie Brennan wieder vor dem Fernseher.
In Pennsylvania wächst Joe Bidens Vorsprung im Laufe des Tages auf 22.000 Stimmen – gewinnt er den Staat, ist er Präsident. Doch noch immer sind nicht alle Briefwahlzettel ausgezählt. Trotzdem tritt der Demokrat gegen 22:00 Uhr vor die Presse.
Joe Biden, demokratischer Präsidentschaftskandidat
"Liebe Amerikaner, noch steht kein endgültiger Sieger fest, aber die Zahlen sprechen eine klare und überzeugende Sprache: Wir werden dieses Rennen gewinnen.
Chris Brennan
"Komm näher, Amy."
Joe Biden, demokratischer Präsidentschaftskandidat
"Wir wissen alle, dass die Anspannung groß ist, das ist normal nach einer zähen Wahl wie dieser. Aber wir müssen ruhig bleiben. Geduldig. Wir müssen dem Verfahren vertrauen und alle Stimmen auszählen."
Chris Brennan
"Er hat gemacht, was ein Anführer machen muss: Er hat Ruhe vermittelt und Geduld. Er hat über Geschlossenheit geredet. Das ist genau das, was wir nach einem harten Wahlkampf brauchen. Wir möchten zusammenkommen. Und ich meine – was für ein Kontrast zu der Rede gestern von Donald Trump."
Amy Brennan
"Ich bin so bereit."
Chris Brennan
"Ich bin müde und bereit. Es ist witzig, jeden Morgen fragt mich Marion: 'Daddy, wer ist Präsident? Was ist passiert?' Ja, es ist ein langer Prozess. Aber ich glaube, dieses Wochenende werden wir, so oder so, eine genauere Vorstellung bekommen. Auch wenn Mr. Trump daran noch nicht glaubt, der Rest im Land weiß, worauf es hinausläuft. Aber ja, wir werden gut schlafen, wenn es geschafft ist."
Die Erlösung kommt an Tag fünf: Joe Biden sammelt die entscheidenden Stimmen in Pennsylvania ein. Um 11:25 Uhr erklärt der Nachrichtensender CNN ihn zum nächsten US-Präsidenten.
CNN
"Wir können nun den Gewinner der Präsidentenwahl ausrufen: Es ist Joe Biden."
Donald Trump spielt zu diesem Zeitpunkt Golf – die Niederlage erkennt er nicht an.
Chris Brennan kann nun in seinem Wohnzimmer durchatmen: Trump ist Geschichte. Der Republikaner wagt es, nach vorne zu blicken.
Chris Brennan
"Ich bin ein Konservativer. Es wird sicherlich Dinge geben, die Joe Biden macht, sobald Donald Trump nur noch im Rückspiegel zu sehen ist, mit denen ich nicht einverstanden bin. Und ich freue mich ehrlich gesagt darauf, als Konservativer im März oder April dann zu sagen: Oh, das finde ich nicht gut! Das wird sich wieder gut anfühlen, ein Republikaner zu sein."
Um um 20:45 Uhr hält Joe Biden in Wilmington, Delaware seine Siegesrede.
Joe Biden, designierter US-Präsident
"Leute, ich bin ein stolzer Demokrat. Aber ich werde als amerikanischer Präsident regieren. Ich werde genauso hart für die Menschen arbeiten, die mich gewählt haben, wie für die, die es nicht getan haben."
Damit beginnt ein neues Kapitel in der US-amerikanischen Geschichte.