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Ralf Neukirch

Die Lage: USA 2020 Von Geld und Macht

Ralf Neukirch
Von Ralf Neukirch, US-Korrespondent

Liebe Leserin, lieber Leser,

kann man in den USA Wahlen kaufen? Um diese Frage zerfleischen sich gerade die Demokraten. Es ist ein Streit, der die Partei am Ende die Wahl kosten könnte. Präsident Donald Trump zeigt sich derweil von seiner großmütigen Seite.

Vor einigen Tagen erhielt ich eine E-Mail von der Highschool meines Sohnes. Die Direktorin beklagte darin, dass Lehrer zunehmend durch Eltern angefeindet, beleidigt und bedroht würden. Sie habe ihre eigene Theorie, warum Aggression die vorherrschende Emotion geworden sei. "Ich kann nur vermuten", schrieb die Direktorin, "dass es mit dem Mangel an zivilem Dialog, Empathie und Verständnis zu tun hat, der in der Politik vorherrscht."

Ich musste sofort an Trump denken, aber was sich derzeit bei den Demokraten abspielt, ist von bürgerlichen Umgangsformen ebenfalls weit entfernt. Es geht um Michael Bloomberg. Der frühere Bürgermeister von New York will Kandidat der Demokraten bei der Präsidentschaftswahl werden. In der jüngsten landesweiten Umfrage des Marist-Instituts liegt er bereits auf Platz zwei, obwohl er bislang noch an keiner Vorwahl teilgenommen hat. Bloombergs Aufstieg könnte die Chancen der Demokraten, Trump abzulösen, entscheidend verringern. Das liegt nicht an ihm, sondern an seinem schärfsten Widersacher.

Sozialist gegen Milliardär

Bernie Sanders, der selbst erklärte demokratische Sozialist aus Vermont, liegt derzeit in den landesweiten Umfragen auf Platz eins. Er scheint in Bloomberg seinen größten Konkurrenten zu sehen. "Ich habe Neuigkeiten für Mr Bloomberg", sagte er bei einem Wahlkampfauftritt. "Das amerikanische Volk hat die Nase voll von Milliardären, die die Wahlen kaufen." Damit ist der Ton für die weitere Debatte gesetzt. Sanders insinuiert mit seiner Äußerung, dass ein Sieg Bloombergs demokratisch fragwürdig wäre. Wenn Sanders verliert, dann nicht, weil die Wähler es wollen, sondern weil sie gekauft sind. So sehen Sanders und seine Anhänger das.

Bernie Sanders bei der Vorwahl in New Hampshire

Bernie Sanders bei der Vorwahl in New Hampshire

Foto: Mike Segar/ REUTERS

Dabei hat der 78-Jährige selbst eine volle Wahlkampfkasse. Allein im Januar hat er 25 Millionen Dollar an Spenden gesammelt. Im vergangenen Jahr waren es nach Angaben der Website opensecrets.org fast 108 Millionen. Mehr hat keiner seiner demokratischen Konkurrenten um die Präsidentschaftskandidatur eingeworben. Die Millionen stammen fast ausschließlich von Kleinspendern.

Bloomberg verfügt als Einziger über mehr Geld als Sanders. Er wirbt nicht um Spenden, er finanziert seinen Wahlkampf selbst. Allein bis Ende vergangenen Jahres hat er nach Recherchen der "New York Times" 200 Millionen Dollar seines Privatvermögens investiert, vor allem für TV- und Onlinewerbung. Man kann keine halbe Stunde Fernsehen schauen, ohne Bloomberg zu sehen.

Bloombergs Reichtum ist Sanders Hauptargument gegen ihn. Dabei bietet Bloomberg genug inhaltliche Angriffspunkte. In New York hat er die Politik des "Stop and Frisk" erlaubt, die es den Beamten ermöglichte, Personen nach eigenem Ermessen anzuhalten, zu durchsuchen und festzunehmen. Davon waren weit überwiegend Schwarze und Latinos betroffen. Die "Washington Post" hat zudem zahlreiche Fälle dokumentiert, in denen Bloomberg abfällige Bemerkungen zu oder über Mitarbeiterinnen gemacht haben soll.

Doch Sanders hat die demokratische Vorwahl zu einer moralischen Entscheidung umdeklariert. Seine Frage lautet: Wollen wir einen demokratisch gewählten Kandidaten oder einen, der sich die Wahl kauft? Dabei hat er nicht nur Bloomberg im Visier. Er findet auch, dass seine Konkurrenten Biden und Buttigieg sich disqualifiziert haben, weil unter ihren Spendern Milliardäre sind.

Bloomberg könnte enttäuschte Republikaner ansprechen

Ich habe Bloomberg bislang bei zwei Wahlkampfauftritten erlebt. Er wirkte souveräner als seine aussichtsreichsten Widersacher aus dem moderaten Lager. Er ist 78 Jahre alt, ein Jahr älter als der frühere Vizepräsident Joe Biden, aber deutlich wacher und fitter als dieser. Er war Bürgermeister der größten Stadt der USA - anders als sein Konkurrent Pete Buttigieg, ehemals Bürgermeister von South Bend, der viertgrößten Stadt von Indiana, mit weniger Einwohnern als Bergisch-Gladbach. Bloomberg könnte der Kandidat sein, der am ehesten von Trump enttäuschte Republikaner und Wechselwähler ansprechen kann.

Michael Bloomberg wirkt souveräner und wacher als einige seiner Konkurrenten

Michael Bloomberg wirkt souveräner und wacher als einige seiner Konkurrenten

Foto: Jonathan Drake/ REUTERS

Doch um diese Frage geht es derzeit nicht. Es geht um die Milliardäre. Was aber, wenn die Demokraten eine Frau oder einen Mann nominieren, der gegen das sandersche Reinheitsgebot für Wahlkampfspenden verstößt, sei es Blomberg, Biden oder Buttigieg? In der Welt von Sanders und seinen Anhängern kämpfen schon bei den Vorwahlen Hell gegen Dunkel, Gut gegen Böse. Wie will Sanders seine Anhänger dazu bringen, einen anderen Kandidaten zu unterstützen, wenn er dessen Sieg von vornherein für illegitim erklärt? Es gibt nur einen, der davon profitieren wird, und das ist Trump.

Der ist übrigens in dieser Frage ganz bei Sanders. Was "Mini Mike" mache, sei nichts anderes als illegale Wahlkampffinanzierung im großen Stil, schrieb der Präsident auf Twitter. "Sie nehmen es Bernie schon wieder weg", schrieb er, eine Anspielung auf den Vorwurf von Sanders, die demokratische Parteiführung habe ihn 2016 benachteiligt, um die Kandidatur für Hillary Clinton zu sichern. In manchen Fragen sind Sanders und Trump recht nah beieinander.

Trump ist gnädig

Wenn es nicht um seine Gegner geht, zeigt sich der Präsident in diesen Tagen großherzig. Er begnadigte sieben Straftäter, darunter den Finanzbetrüger Michael Milken und den ehemaligen Chef der New Yorker Polizeiverwaltung, Bernard Kerik. Der frühere Gouverneur von Illinois, Rod Blagojevich, durfte sich wie drei andere Straftäter darüber freuen, dass seine Haft verkürzt wurde. Blagojevich war 2011 zu 14 Jahren Gefängnis verurteilt worden, weil er versucht hatte, den nach der Wahl Barack Obamas zum Präsidenten frei gewordenen Senatssitz zu verkaufen.

Es ist möglich, dass der Akt der Barmherzigkeit nicht ganz uneigennützig ist. Trump erwägt nach Medienberichten, seinen langjährigen Freund und Vertrauten Roger Stone ebenfalls zu begnadigen. Stone wurde für schuldig befunden, vor dem Kongress gelogen zu haben. Die Staatsanwaltschaft hatte sieben bis neun Jahre Haft gefordert. Nach einem Tweet von Trump hatte Justizminister William Barr angeordnet, die Strafforderung herunterzusetzen, was zu einem Sturm der Entrüstung geführt hatte. Trump mag hoffen, dass eine Begnadigung Stones weniger empörend wirkt, wenn sie in einer Reihe mit anderen Begnadigungen erfolgt. Das Recht des Präsidenten, Straftäter zu begnadigen, ist übrigens anders als andere Einmischungen Trumps juristisch unumstritten.

Was wichtig wird:

TV-Debatte und Vorwahlen in Nevada: Die verbliebenen demokratischen Präsidentschaftskandidaten treffen an diesem Mittwoch in Las Vegas zum neunten Fernsehduell aufeinander. Die Debatten können ermüdend sein, das haben sie mit deutschen Fernsehduellen gemein. Diesmal dürfte es spannend werden, weil erstmals Bloomberg dabei ist. Nicht nur Sanders, alle Kandidaten werden sich auf ihn einschießen. Es könnte entscheidend für seine weiteren Wahlchancen sein, wie er sich gegen die Angriffe zur Wehr setzt.

Dass Fernsehdebatten wichtig sind, hat die vergangene Runde in New Hampshire gezeigt. Die moderate Senatorin Amy Klobuchar hatte dort einen starken Auftritt. Sie holte in der anschließenden Vorwahl überraschend den dritten Platz. Vielleicht gelingt ihr in Las Vegas eine ähnlich fulminante Vorstellung.

Wie die Wähler das sehen, wird sich drei Tage später zeigen, wenn in Nevada die Vorwahl stattfindet. Eine Woche später ist South Carolina an der Reihe. Die Bevölkerung in beiden Staaten ist deutlich gemischter als in New Hampshire oder Iowa, wo vor allem Weiße leben. Dann kann man erkennen, wer unter Schwarzen und Latinos eine Mehrheit hat.

Was die Umfragen sagen:

Die Website FiveThirtyEight  aggregiert die landesweiten Befragungen: Danach liegt Sanders mit durchschnittlich 24,2 Prozent vorn. Biden hat seinen zweiten Platz an Bloomberg verloren. Sollte dem früheren Vizepräsidenten nicht bald ein Sieg bei einer Vorwahl gelingen, dürfte seine Kandidatur gescheitert sein. Gleiches gilt für Elisabeth Warren, die Senatorin aus Massachusetts. Auch sie braucht schnell ein gutes Ergebnis, um glaubhaft machen zu können, dass sie und nicht Sanders den linken Flügel am besten repräsentiert.

Was in den sozialen Medien passiert:

Wer immer noch glaubt, Sanders könne die Demokraten hinter sich vereinen, dem seien die Tweets seiner Sprecherin Briahna Joy Gray  ans Herz gelegt. Dort wird Bloomberg als rassistischer, autoritärer Politiker bezeichnet. Außerdem findet Gray, dass Trump in der Kriminalitätsbekämpfung eine bessere Bilanz hat als Bloomberg. Der Präsident wird sich fragen, warum er eigentlich noch Wahlkampf führen soll.

Unsere US-Story der Woche:

Diese Geschichte von unserem US-Wahlkampfteam aus den letzten Tagen möchte ich Ihnen ans Herz legen:

Ich wünsche Ihnen eine angenehme Woche!

Herzlich,

Ihr Ralf Neukirch

Seine Arbeiten erregen Aufsehen, seine Illustrationen sind weltbekannt: Edel Rodriguez' Kunst ist immer wieder auf SPIEGEL-Titelbildern zu sehen, auch das Logo für diesen Newsletter hat er gezeichnet. Ein Interview mit dem Illustrator aus dem Jahr 2017 finden Sie hier.

Seine Arbeiten erregen Aufsehen, seine Illustrationen sind weltbekannt: Edel Rodriguez' Kunst ist immer wieder auf SPIEGEL-Titelbildern zu sehen, auch das Logo für diesen Newsletter hat er gezeichnet. Ein Interview mit dem Illustrator aus dem Jahr 2017 finden Sie hier.

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