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Roland Nelles

Die Lage: USA 2020 Mit dieser Strategie wollen die Demokraten siegen

Roland Nelles
Von Roland Nelles, US-Korrespondent

Liebe Leserin, lieber Leser,

heute geht es um die Strategie der Demokraten bei ihrem ersten Onlineparteitag, um den von Donald Trump angezettelten Briefwahl-Streit - und um den Einfluss der Familie Obama.

Donald Trump hat die USA in der Coronakrise so sehr in die Grütze gefahren, es wäre ein Wunder, wenn er doch noch einmal wiedergewählt werden sollte. Oder anders gesagt: Die Demokraten und ihr Kandidat Joe Biden müssten sich in den verbleibenden Wochen bis zur Wahl schon extrem dusselig anstellen, um am 3. November nicht einen großen Sieg davonzutragen.

So gesehen nimmt Biden gerade erfolgreich eine weitere Hürde: Der Onlineparteitag der Partei verläuft - zumindest bislang - besser als erwartet. Die Demokraten präsentierten sich einig und siegesgewiss wie lange nicht. Selbst die streitlustige linke Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez verzichtete bei ihrem kurzen Auftritt am Dienstag darauf, aus der Reihe zu tanzen. Obwohl sie keine große Anhängerin von Joe Biden ist, verkniff sie sich jede Kritik an dem Kandidaten.

Der Parteitag, der in den meisten wichtigen TV-Sendern und im Netz übertragen wird, erscheint wie eine Dauerwerbesendung für Biden. Alles ist nahezu perfekt durchchoreografiert.

Nach Bidens offizieller Nominierung durfte am zweiten Abend seine Frau Jill in einer langen Rede die Führungsqualitäten ihres Mannes loben. Auch frühere Größen der Republikaner wie Ex-Außenminister Colin Powell sprachen sich für Biden als Präsident aus. Und: In einem achtminütigen Film wurde ausführlich die Männerfreundschaft zwischen Joe Biden und dem verstorbenen republikanischen Senator John McCain gewürdigt.

Immer wieder kamen zudem ganz normale Amerikaner zu Wort, die sich für Biden als Präsident starkmachen. Familien, Senioren, junge Leute, Arbeiter, Angestellte.

Mit diesen "Testimonials" wird deutlich, was die Demokraten vorhaben. Sie bauen eine möglichst breite Koalition gegen Trump. Es geht darum, die linken Bernie-Sanders-Leute an Bord zu holen. Zugleich müht man sich darum, Wechselwähler und wankelmütige Anhänger der Republikaner zu gewinnen.

Colin Powell sprach sich beim Parteitag für Joe Biden als Präsident aus. Er war unter dem Republikaner George W. Bush Verteidigungsminister.

Colin Powell sprach sich beim Parteitag für Joe Biden als Präsident aus. Er war unter dem Republikaner George W. Bush Verteidigungsminister.

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Die Strategie hat auch einen Namen: Beobachter in den USA, wie der frühere Berater von Barack Obama, Van Jones, sprechen vom Aufbau einer "Permission Structure". Es ist ein Buzzword, das in Washington schon länger kursiert. Ins Deutsche übersetzt bedeutet es so viel wie "Erlaubnis- oder Berechtigungsstruktur".

Linken Bernie-Fans, aber auch den bisherigen Wählern der Republikaner soll der Schritt hin zu Biden leichter gemacht werden. Wenn sie im TV sehen, dass andere Menschen, die so sind wie sie selbst, Biden gut finden, sind sie auch eher bereit, ihn zu wählen. Sie müssen sich nicht schämen oder vor Freunden rechtfertigen. Es ist ihnen "erlaubt".

So könnte Joe Biden mithilfe der Erlaubnisstruktur tatsächlich gewinnen. In der Theorie. Jetzt muss nur noch die Realität folgen.

Die leidige Sache mit der Briefwahl

Donald Trumps Angriffe auf die amerikanische Post und seine anhaltende Kritik am Briefwahlverfahren sorgen im Wahlkampf weiter für Debatten. Die Sache ist eigentlich relativ leicht durchschaubar. Das Wahlverfahren per Post ist seit Jahren in den USA eingeübt, und es gibt praktisch kaum Fälle von Betrug . Wenn Trump nun etwas anderes behauptet, will er den Boden dafür bereiten, dass er bei einem ungünstigen Ausgang nach der Wahl behaupten kann, die Wahl sei gefälscht. In der Folge würde er einen langen Kampf im Kongress und vor den Gerichten anzetteln, von dem er sich wohl erhofft, dass er doch noch irgendwie im Weißen Haus bleiben kann.

Zentrale der US-Post in Washington DC: Wer gewinnt den Kampf um die Briefwahl?

Zentrale der US-Post in Washington DC: Wer gewinnt den Kampf um die Briefwahl?

Foto: JIM LO SCALZO/EPA-EFE/Shutterstock

Es gibt aber noch ein mögliches anderes Motiv bei Trump. Es wird gern übersehen. Mit der Warnung vor der angeblich gefälschten Wahl wiederholt er eine Melodie aus seinem erfolgreichen Wahlkampf von 2016: Trump, der tapfere Außenseiter, soll vom "Washingtoner Sumpf" und von anderen dunklen Mächten mit fiesen Methoden daran gehindert werden, das Land "großartig" zu machen. Bei Trumps eingefleischten Fans hat diese Erzählung beim letzten Mal gut funktioniert. Sie strömten in Scharen an die Wahlurnen, um ihrem "Helden" zu helfen. Die Mobilisierung funktionierte. So soll es wieder sein.

Was Trump diesmal übersehen könnte: Umgekehrt funktioniert das natürlich auch. Die Warnung davor, dass Trump die Legitimität der Wahl unterminieren wolle, ist für die Demokraten schon jetzt ein echter Wahlkampfhit. Auch ihre Anhänger dürfte das maximal motivieren, zu wählen - per Post und persönlich an der Wahlurne.

Eine Schockumfrage für die Demokraten

Für große Aufregung sorgt in diesen Tagen eine Umfrage des Senders CNN: Sie stellt fest, dass Donald Trump und Joe Biden bei der Wählergunst nur noch wenige Prozentpunkte auseinanderliegen. 50 Prozent der Befragten sagten demnach, sie würden für Biden und seine Vizekandidatin Kamala Harris stimmen. 46 Prozent wollen derweil Trump und dessen Vize Mike Pence ihre Stimme geben.

Das überrascht: In den meisten Umfragen liegt Biden fast zweistellig in Führung vor Donald Trump. Fast zum selben Zeitpunkt, zu dem die CNN-Umfrage veröffentlicht wurde, kam zum Beispiel eine Umfrage des Senders ABC und der Washington Post zu dem Ergebnis, dass Biden zehn Punkte vor Trump liegt.

Einmal mehr zeigt sich so, dass eine einzelne Umfrage eine wackelige Angelegenheit ist. Es wird in diesem Wahlkampf noch viel Lärm um Befragungen geben. Manch einem ist der Wirbel längst zu viel. Ein geflügeltes Wort in Washington lautet inzwischen: "Ich gehe jetzt schlafen, weckt mich wieder am Abend des 3. November."

Die Wahlkampffiguren der Woche...

…sind die frühere First Lady Michelle Obama und ihr Ehemann, der frühere Präsident Barack Obama. Amerika spricht immer noch über Michelle Obamas furiosen Auftritt beim Demokraten-Parteitag. Sie hat viele Punkte angeführt, warum die Wähler für Joe Biden und nicht für Donald Trump stimmen sollten. Am Mittwochabend ist nun Ehemann Barack an der Reihe, der ebenfalls eine leidenschaftliche Rede für Joe Biden und gegen Donald Trump halten dürfte. Das kann den Demokraten kurzfristig helfen, in der Wählergunst zu steigen. Zugleich ist aber auch klar: Auf dem Wahlzettel stehen am Ende nicht die Obamas, sondern Joe Biden. Der Kandidat muss überzeugen.

Michelle und Barack Obama sind wichtige Wahlhelfer für Joe Biden.

Michelle und Barack Obama sind wichtige Wahlhelfer für Joe Biden.

Foto: Ashlee Rezin Garcia/ Chicago Sun-Times/ AP/ DPA

In diesem Zusammenhang ist eine Geschichte aus dem Magazin "Politico"  interessant, die in Washington seit einigen Tagen schon die Runde macht. Demnach war Barack Obama nicht immer nur der beste Freund von Biden. Und er war wohl auch nicht immer fest davon überzeugt, dass Biden der beste Kandidat wäre, um Donald Trump zu schlagen. Laut dem Bericht warnte Obama seine Parteifreunde vor einer möglichen Niederlage des Seniors: "Unterschätzt nicht Joes Fähigkeit, Dinge zu versauen."

Unsere US-Storys der Woche

Diese beiden Geschichten zum US-Wahlkampf der letzten Tage möchte ich Ihnen ans Herz legen:

Ich wünsche Ihnen eine gute Woche!

Herzlich

Ihr

Roland Nelles

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