Neue Coronaregeln in den USA Joe Biden sagt Ungeimpften den Kampf an

Der US-Präsident muss die Pandemie endlich eindämmen – und greift durch: mit verordneten Impfungen, drastischen Strafen für Verweigerer und noch mehr Tests. Die Republikaner geben sich empört und wollen klagen.
Von Roland Nelles, Washington
US-Präsident Joe Biden möchte mehr Amerikanerinnen und Amerikaner zur Impfung verpflichten

US-Präsident Joe Biden möchte mehr Amerikanerinnen und Amerikaner zur Impfung verpflichten

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Andrew Harnik / AP

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Der Präsident zeigte sich sichtlich genervt. »Wir haben große Fortschritte gemacht im Kampf gegen das Coronavirus«, verkündete Joe Biden im Weißen Haus. »Aber viele von uns sind frustriert über die 80 Millionen, die sich immer noch nicht impfen lassen wollen.« Und mit drohendem Unterton schob er in Richtung Impfgegner hinterher: »Wir waren geduldig. Aber unsere Geduld ist langsam am Ende.«

Biden versucht einen Neustart im Kampf gegen die Pandemie und sagt den Impfgegnern und Coronaleugnern im Land den Kampf an. Mit einer ganzen Reihe von Maßnahmen und Verordnungen für Krankenhäuser, Unternehmen und Behörden will er die Impfungen in den kommenden Wochen massiv in die Höhe treiben.

Die Zahl der Infektionen in den USA hat längst wieder katastrophale Ausmaße angenommen. In einigen Landesteilen wie etwa Louisiana oder Florida arbeiten viele Krankenhäuser an der Kapazitätsgrenze. Täglich werden gut 150.000 neue Fälle gemeldet, jeden Tag sterben derzeit mehr als 1500 Amerikaner und Amerikanerinnen an den Folgen einer Infektion.

Das sind zwar deutlich weniger Tote als auf dem Höhepunkt der Pandemie im Januar. Damals starben mehr als 3300 Menschen pro Tag. Doch die Hoffnung des Präsidenten vom Sommer, dass die Pandemie bald beendet sein könnte, hat sich offenkundig bisher nicht erfüllt. Nun greift Biden erkennbar durch. Die Maßnahmen, die er plant, sind weitreichend. Er versucht, seine Kompetenzen als Präsident so weit es nur irgendwie geht auszuschöpfen:

  • Neu sind vor allem die Vorgaben für die Wirtschaft. Künftig sollen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in Unternehmen mit mehr als 100 Beschäftigten dazu verpflichtet werden, sich impfen zu lassen. Wer die Impfung weiterhin ablehnt, muss wöchentlich zum Covid-Test. Bei Missachtung der geplanten Regel drohen Strafen von bis zu 14.000 Dollar pro Fall. Insgesamt betrifft der neue Plan etwa 80 Millionen Menschen in der Privatwirtschaft.

  • Alle Mitarbeiter der Bundesbehörden sollen grundsätzlich zur Impfung verpflichtet werden. Das Gleiche gilt für Unternehmen, die für die Bundesbehörden Auftragsarbeiten erledigen. Wer der Verordnung keine Folge leistet, muss mit Disziplinarmaßnahmen beziehungsweise Vertragskündigung rechnen.

  • Sämtliche Beschäftigten von Pflegeheimen und Krankenhäusern, in denen Menschen auf Kosten staatlicher Gesundheitsprogramme behandelt werden, müssen sich künftig ebenfalls impfen lassen. Dies sind gut 17 Millionen Betroffene.

  • Darüber hinaus kündigte Biden an, die Verfügbarkeit von Covid-Tests auszubauen. Die Industrie wird per Präsidialerlass angewiesen, mehr Tests herzustellen. Bislang gibt es in den USA kaum bezahlbare Schnelltests für den Heimbedarf.

  • Im Luftfahrtbereich sollen die Strafen für Passagiere, die sich weigern, Masken zu tragen, drastisch erhöht werden. Es sei unfassbar, was sich da zum Teil in den Maschinen abspiele, empörte sich Biden. Er habe es selbst im TV gesehen. Viele Maskenverweigerer verhielten sich unverschämt gegenüber dem Flugpersonal. »Zeigt endlich mehr Respekt«, mahnte der Präsident.

Biden muss rasch gegensteuern, wenn er das Land, aber auch seine Präsidentschaft wieder in ruhigere Fahrwasser bringen will. Das Afghanistan-Debakel hat seine Umfragewerte absacken lassen, er kann es sich schlicht nicht leisten, dass ihm nun auch noch die Covid-Krise vollends entgleitet.

Nach längerem Zögern setzt Biden nun am Kern des Problems an – bei den Ungeimpften.

Wie in vielen anderen Ländern trifft die aktuelle Welle auch in den USA vor allem Menschen, denen noch kein Impfstoff verabreicht wurde. Neben Kindern unter zwölf Jahren, die noch nicht geimpft werden dürfen, sind dies vor allem die Coronaskeptiker und Coronaleugner. Sie leben überwiegend in Bundesstaaten, die mehrheitlich für den früheren Präsidenten Donald Trump gestimmt haben.

Impfquoten von 27 Prozent

Trotz flächendeckender Verfügbarkeit von kostenlosem Impfstoff liegt die Impfquote in einigen Staaten immer noch weit unter dem Bundesdurchschnitt. In einigen Teilen von Missouri oder Tennessee haben sich erst 27 Prozent der Bevölkerung impfen lassen. Insgesamt sind in den USA jetzt rund 54 Prozent der Gesamtbevölkerung vollständig geimpft. Weitere 20 Prozent haben mindestens eine Impfung erhalten. Doch gut ein Viertel der Amerikaner, die eigentlich geimpft werden könnten, lehnen dies ab.

»Eine bestimmte Minderheit hält das Land davon ab, diese Coronakrise zu überwinden«, so Biden. So dürfe es nicht weitergehen. Er könne den Ärger vieler Amerikanerinnen und Amerikaner über die Impfgegner und Coronaleugner gut verstehen. »Für ihre Weigerungshaltung müssen wir alle bezahlen.«

Biden und seine Berater wie der Virologe Anthony Fauci sind alarmiert. Denn längst droht die Coronakrise der Ungeimpften auf das ganze Land überzugreifen. Die Konjunktur zeigt bereits wieder erste Anzeichen von Schwäche. Aus etlichen Staaten mit hoher Impfquote werden Impfdurchbrüche gemeldet, die Experten warnen vor neuen Virusmutationen.

Republikaner vergleichen Biden mit Chinas Präsident

Ob die neuen Maßnahmen indes Erfolg zeigen werden, bleibt offen. Biden hatte seine Rede kaum beendet, da meldeten sich bereits zahlreiche republikanische Gouverneure und Abgeordnete zu Wort, die sich über Bidens Pläne empörten. Sie sehen in den verordneten Impfungen einen Angriff auf die Freiheitsrechte ihrer Wählerinnern und Wähler. Zugleich werfen sie Biden vor, seine Befugnisse als Präsident zu überschreiten. Mehrere Republikaner kündigten Klagen an.

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»Ich werde jede rechtliche Möglichkeit ausschöpfen, um diese unglaublichen und ungesetzlichen Vorgaben der Biden-Regierung zu stoppen«, empörte sich der Gouverneur von Georgia, Brian Kemp. Auch die Parteizentrale der Republikaner in Washington drohte damit, die Regierung vor Gericht zu bringen.

Der republikanische Senator Ben Sasse zürnte, der Maßnahmenkatalog sei der »zynische Versuch« Bidens, einen großen Streit vom Zaun zu brechen, um kurz vor dem Jahrestag des 11. Septembers von seinem Versagen beim Abzug aus Afghanistan abzulenken.

Und die Abgeordnete Lauren Boebert, eine glühende Unterstützerin von Donald Trump, twitterte: Sie wisse jetzt, warum Joe Biden so ein großer Freund des chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping sei.

»Der ist sein Vorbild.«

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