
Edel Rodriguez/ DER SPIEGEL

Die Lage: USA 2020 Schafft Donald Trump die Demokratie ab?

Liebe Leserin, lieber Leser,
diesmal beschäftigen wir uns mit der Frage, ob Donald Trump nach der Wahl vom Secret Service aus dem Weißen Haus eskortiert werden muss. Und warum der Präsident besser keine Häme über seinen maskentragenden Herausforderer verbreiten sollte.
Im Sommer vergangenen Jahres verschickte Donald Trump via Twitter ein Video, das ihn auf dem Titel des Magazins "Time" zeigt. Zu sehen waren durchlaufende Schilder seiner Wahlkampagne: "Trump 2020, Trump 2024, Trump 2028", darüber ein wohlwollend nickender Präsident: Trump forever . Noch vor einem Jahr ging das als missglückter Scherz durch, heute lacht keiner mehr. "Wir stehen an der Schwelle zu einer Diktatur", sagte mir diese Woche ein ehemaliges Mitglied der Obama-Regierung.
US-Präsident Donald Trump bereitet den Boden dafür, eine Niederlage bei der Wahl am 3. November einfach zu ignorieren, daran kann es kaum einen Zweifel geben. Schon seit Tagen wird Trump nicht müde zu betonen, wie betrugsanfällig die Wahl per Brief sei - just jene Methode also, auf die wohl viele Amerikaner zurückgreifen werden, um sich beim Schlangestehen vor dem Wahllokal nicht mit dem Coronavirus anzustecken. Gestern verschickte der Präsident einen Tweet, in dem er die völlig haltlose Behauptung wiederholte - woraufhin Twitter zum ersten Mal überhaupt eine Nachricht des Präsidenten mit einem Link auf eine Seite versah, die seine Äußerungen zerpflückte.
There is NO WAY (ZERO!) that Mail-In Ballots will be anything less than substantially fraudulent. Mail boxes will be robbed, ballots will be forged & even illegally printed out & fraudulently signed. The Governor of California is sending Ballots to millions of people, anyone.....
— Donald J. Trump (@realDonaldTrump) May 26, 2020
Für Trump ist die Briefwahl ein Einfallstor, um im Fall einer Niederlage den Willen des Souveräns in Zweifel zu ziehen. Präsidentschaftswahlen werden in den USA nicht zentral aus Washington organisiert, sondern sie obliegen der Aufsicht der Bundesstaaten. In 23 Bundesstaaten sowie in der Hauptstadt Washington, D.C., haben die Bürger das Recht, ohne Angabe von Gründen per Brief zu wählen. Aber die Vorbereitungen dafür laufen äußerst schleppend, was auch am Widerstand vieler Republikaner gegen die Briefwahl liegt. Dazu kommt, dass wegen des komplizierten Briefwahlverfahrens in den USA häufig ein erheblicher Teil der Stimmen als ungültig gewertet wird. Bei den Wahlen zum US-Kongress im Jahr 2018 waren es 8,2 Prozent.
Trump hat 2016 von Betrug gesprochen
Was also, wenn nach der Präsidentschaftswahl am 3. November die Auszählung der Briefstimmen so schleppend verläuft, dass sich Trump vorzeitig zum Sieger erklärt? Oder er das Ergebnis in einem Swing State wie Pennsylvania mit der Behauptung vom Tisch wischt, es habe Betrug bei den Briefwahlen gegeben? Wie ernst die Demokraten diese Gefahr nehmen, zeigt die Tatsache, dass sich eine Gruppe von Juristen daran gemacht hat, alle Details des Machtübergangs vom Tag der Wahl bis zur Amtseinführung des neuen Präsidenten zu klären - bis hin zu der Frage, wer dem Secret Service den Befehl erteilt, Trump aus dem Oval Office zu eskortieren, sollte er sich weigern, sein Amt aufzugeben.
Wie wenig Respekt Trump vor dem Wähler hat, zeigte sich schon 2016. Damals ist er nur wegen der Eigenheiten des amerikanischen Wahlsystems ins Weiße Haus eingezogen. Trump holte die Mehrheit der Wahlmänner, die aus den einzelnen Bundesstaaten entsandt werden und die am Ende darüber entscheiden, wer Präsident wird. Die meisten Wählerstimmen aber konnte Hillary Clinton auf sich vereinen, insgesamt waren es knapp 66 Millionen; für Trump stimmten nur rund 63 Millionen Amerikaner. Offenkundig nagte dieses Ergebnis so sehr an Trump, dass er kurz nach der Wahl behauptete , Clinton habe den sogenannten popular vote nur deshalb gewonnen, weil Millionen Wähler illegal ihre Stimme abgegeben hätten. Eine Behauptung, für die er bis heute keinen Beleg vorgelegt hat.
Das amerikanische Rätsel
Zu den Rätseln der amerikanischen Corona-Debatte gehört für mich, dass Schulen und Kitas nur am Rande eine Rolle spielen. Während sich ganz Deutschland den Kopf heiß redet, wann der Kita- und Schulbetrieb endlich wieder voll anläuft, gibt es hier kaum Druck auf die Politik.
Die USA streiten darüber, wann Nagelstudios und Bars wieder aufmachen dürfen, auch Bowlingbahnen sind ein großes Thema. Aber dass der Schulbetrieb bis Herbst zu ruhen hat, wird - zumindest öffentlich - weitgehend widerspruchslos hingenommen. Ich würde Ihnen gern eine Erklärung dafür anbieten, aber je mehr ich nachfrage, desto mysteriöser erscheint mir das Phänomen. Eine Bekannte berichtete mir von einer geschlossenen Facebook-Gruppe berufstätiger Frauen, die sich im vertraulichen Kreis ihre Verzweiflung gestehen. Aber öffentlich ist davon kaum etwas zu hören.
Als vergangene Woche die ersten Meldungen durchsickerten, dass die Washingtoner Bürgermeisterin Muriel Bowser die öffentlichen Schulen in der Hauptstadt nach einer dreimonatigen (!) Sommerpause im Herbst womöglich für jeden Schüler nur für einen Tag pro Woche aufmachen will, traf ich auf der Straße eine Freundin, deren Sohn dieselbe Schule besucht wie meiner. Wir unterhielten uns angeregt über das Leben im Lockdown, bis ich sie am Ende fragte, ob sie schon die Neuigkeiten aus dem Rathaus gehört habe. "Sag’s mir lieber nicht", erwiderte sie. "Sonst kotz ich dir noch auf die Schuhe."
Das sagen die Umfragen
Verliert Donald Trump seine treuesten Wähler? Im November 2016 war Trump vor allem bei den Senioren beliebt, sein Vorsprung gegenüber Hillary Clinton in der Altersgruppe über 65 lag bei sieben Prozentpunkten. Nun aber nehmen es viele Senioren dem Präsidenten offenkundig übel, dass sein ganzes Trachten darin besteht, das Land wieder für das Geschäftsleben zu öffnen. Das mag zwar Unternehmern gefallen und jungen Menschen, die um ihren Job bangen - nicht aber Rentnern, die fürchten, sich ein Virus einzufangen, das vor allem Menschen in ihrem Alter gefährdet.
Laut einer Umfrage des Meinungsforschers Geoff Garin, über die die "Washington Post" berichtet, hat sich insbesondere die Stimmung in umkämpften Wahlbezirken gedreht. Garin hat sich 44 dieser Bezirke angeschaut, wo sich Trump im Jahr 2016 bei den Senioren einen Vorsprung von 22 Prozentpunkten gesichert hatte. Heute liegen Trump und sein Herausforderer Joe Biden fast gleichauf.
Der Social-Media-Moment der Woche
Biden hat am Montag das erste Mal seit zwei Monaten sein Haus in Delaware verlassen. Dass er nun faktisch der Herausforderer Trumps ist, war auch daran zu erkennen, dass der ehemalige Vizepräsident in Begleitung des Secret Service zu einem Kriegerdenkmal in New Castle, Delaware, fuhr, um am Memorial Day einen Kranz für gefallene Soldaten niederzulegen; die Agenten trugen, wie der ehemalige Vizepräsident und seine Gattin Jill, schwarze Masken. Biden hatte auch noch eine Fliegerbrille auf der Nase, sodass man den Eindruck bekam, er wolle nach der Zeremonie eine Bank überfallen.
Der Fox-News-Kommentator Brit Hume versah auf Twitter ein Foto Bidens mit dem Kommentar : "Das könnte erklären, warum Trump es nicht mag, in der Öffentlichkeit eine Maske zu tragen" - ein Satz, den der Präsident sofort mit seinen 80 Millionen Followern auf Twitter teilte. Ob dem Präsidenten diese Art Häme nützt, steht freilich auf einem anderen Blatt. Zwei Drittel der Amerikaner finden , dass Trump in der Öffentlichkeit eine Maske tragen sollte.
Fox News's Neil Cavuto is stunned by Trump's announcement that he's taking hydroxychloroquine: "If you are in a risky population here, and you are taking this as a preventative treatment ... it will kill you. I cannot stress enough. This will kill you." pic.twitter.com/e6D5alfAgc
— Aaron Rupar (@atrupar) May 18, 2020
Unsere US-Storys der Woche
Diese beiden Geschichten aus unserem US-Wahlkampfteam der letzten Tage möchte ich Ihnen ans Herz legen:
Trump und die US-Justiz: "Der Staat bin ich"
Der US-Präsident und sein Wundermittel gegen Corona: "Das Kokain der Rechtsradikalen"
Ich wünsche Ihnen eine gute Woche!
Herzlich
Ihr René Pfister