Michael Werz

Politologe über Republikaner Für Trump – oder für die Demokratie

Michael Werz
Ein Gastbeitrag von Michael Werz, Washington
Die Trump-Ära ist die Chronik eines angekündigten Todes der US-Demokratie – und daran hat die Republikanische Partei großen Anteil. Sie muss sich jetzt entscheiden, ob sie für die Demokratie steht oder endgültig Trumps Führerkult erliegt.
Polizisten der National Guard sichern das Kapitol am Abend des 6. Januar

Polizisten der National Guard sichern das Kapitol am Abend des 6. Januar

Foto: KEVIN DIETSCH / UPI Photo / imago images

Irgendwann am Abend dieses 6. Januar war klar, dass die Dinge aus dem Ruder gelaufen sind. Spätestens, als der konservative Verband der herstellenden Industrie den Vizepräsidenten Mike Pence aufforderte, Donald Trump des Amtes zu entheben.

Der Präsident und seine Anhänger haben an diesem Abend einen politischen Sturm entfacht, der die USA auf Jahre hinaus verändern wird. »Wir werden niemals aufgeben«, rief der Präsident seinen Anhängern vor dem Weißen Haus zu. »Wir werden niemals nachgeben. Man gibt nicht nach, wenn es um den Diebstahl geht.«

Trumps Sohn Donald Jr. drohte kurz darauf jenen Kongressmitgliedern, die sich nicht an dem von Senator Ted Cruz und dem Fraktionsvorsitzenden Kevin McCarthy unterstützten Staatsstreich beteiligen wollten: »Wir kommen zu euch, und wir werden Spaß dabei haben. Ich hoffe, dass Sie weise abstimmen werden.«

Den schweren Ausschreitungen um das Kapitol waren Berichte von versteckten Rohrbomben im Washingtoner Stadtgebiet vorangegangen, weswegen Polizeiressourcen vom Abgeordnetenhaus abgezogen wurden. Befürchtungen, die Situation könnte eskalieren, hatte es dabei schon vorher gegeben. Bereits vor Tagen soll Washingtons Bürgermeisterin Muriel Bowser das Pentagon aufgefordert haben, Einheiten der Nationalgarde zur Verfügung zu stellen. Eine Anfrage, die offensichtlich von politischen Söldnern des Präsidenten blockiert wurde. 

Absurde, kaum vorstellbare Szenen

So konnte es dazu kommen, dass ein rechtsextremistischer Mob das Heiligtum der amerikanischen Demokratie stürmen konnte und Abgeordnetenhaus sowie Senat evakuiert werden mussten. Es folgten absurde, vorher kaum vorstellbare Szenen: Sicherheitsbeamte schützten Abgeordnete mit gezogenen Waffen, verbarrikadierten Büros und Versammlungsräume mit Möbeln. Und Trump-Anhänger setzten sich triumphierend hinter den Schreibtisch der demokratischen Chefin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi.

Fernsehkameras dokumentierten auch, wie Randalierer die US-Fahne im Kapitol durch eine Trump-Flagge ersetzten. Es gibt keine bessere Metapher für den politischen Führerkult, den der abgewählte Präsident um sich geschaffen hat. All das ist keine Überraschung: Bereits im Wahlkampf 2016 hatte Trump immer wieder gesagt, dass er das Wahlergebnis nicht akzeptieren würde, sollte er nicht zum Gewinner erklärt werden. Die Trump-Ära ist die Chronik eines angekündigten Todes der amerikanischen Demokratie. Und daran hat die republikanische Partei ihren ganz eigenen Anteil.

Trump-Anhänger in der Ehrenhalle des Kapitol

Trump-Anhänger in der Ehrenhalle des Kapitol

Foto:

Miguel Juarez Lugo / ZUMA Wire / IMAGO

Noch am späten Abend, als die Bürgermeisterin von Washington bereits eine Ausgangssperre ab 18 Uhr Ortszeit verhängt hatte, herrschte bei fast allen republikanischen Parteioberen Funkstille. Die Angst vor Trump und seinen Anhängern machte viele Republikaner auch 14 Tage vor der Ernennung des Wahlsiegers Joe Biden zu zynischen Kollaborateuren. 

Ein Tag, der in die Geschichte eingehen wird

Auch aus dem Weißen Haus kam zwei Stunden lang keine Reaktion, dann folgte ein kurioses Facebook-Video von Donald Trump, in dem er einmal mehr von einer »gestohlenen Wahl« sprach. Dann rief er den Krawallmachern zu: »Wir lieben euch. Ihr seid etwas ganz Besonderes.« Zumindest das Attribut »besonders« ist korrekt: Noch nie zuvor wurde das Kapitol von amerikanischen Bürgern angegriffen. 

Der 6. Januar wird in die Geschichte eingehen als der Tag, an dem sich gezeigt hat, was für einen politischen Erdrutsch Donald Trumps geschichtsblinder weißer Nationalismus ausgelöst hat. Trump ist gleichermaßen Resultat und Brandbeschleuniger eines Radikalisierungsprozesses, den die republikanische Partei in den vergangenen drei Jahrzehnten durchlaufen hat. Jüngste Untersuchungen der Harvarduniversität zeigen, dass die Weltanschauungen der republikanischen Wähler sich inzwischen im Umfeld der spanischen VOX, der Schweizer Volkspartei, dem israelischen Likud und der deutschen AfD bewegen. 

Hier noch von Polarisierung, Protestwählern oder parteipolitischen Differenzen zu reden, geht vollkommen an der Sache vorbei. 74 Millionen Amerikanerinnen und Amerikaner unterstützten die pathologische Weltflucht des Präsidenten auch noch nach vier Jahren Korruption, Menschenrechtsverletzungen und Selbstbereicherung. Weite Teile der republikanischen Stammwählerschaft sind mittlerweile virtuelle Emigranten. Sie fremdeln mit dem modernen Amerika und sind dabei, sich von Demokratie, Aufklärung und Wissenschaft abzukoppeln. Sie befinden sich auf einem Weg, der sie am Ende zu Hass und Wut auf die eigene Gesellschaft führt.

Die 140 Abgeordneten und das von den eigenen Kollegen als »dreckiges Dutzend« bezeichnete Senatoren, die sich Donald Trumps Ruf nach Machtergreifung angeschlossen haben, taten dies aus politischem Kalkül. Wir erleben gerade den ersten Akt im anstehenden Machtkampf der alten gegen die neue republikanische Partei. Für diese politischen Vandalen innerhalb der Partei ist zweitrangig, dass Trumps Positionierung einem Landesverrat und einem offenen Angriff auf die amerikanische Demokratie gleichkommt. Es gibt durchaus Kritiker dieser Verwahrlosung innerhalb der republikanischen Partei, aber ihre Gegnerschaft beschränkte sich in den vergangenen Monaten vor allem auf politisch kostengünstige Unmutsbekundungen. Das war wirkungslos, wie sich nun endgültig gezeigt hat.

DER SPIEGEL

Die Republikaner müssen sich nun endlich positionieren

Angesichts der Vorgänge am gestrigen Abend müssen sich jene Republikaner, die bislang schwiegen und vorgaben, für einen aufgeklärten Konservatismus zu stehen, endlich positionieren. Sie müssen eine Richtungsentscheidung treffen zwischen dem Steinzeit-Nationalismus ihrer Partei und dem Versuch, sich mit dem Amerika des 21. Jahrhundert zu versöhnen. Sie können und dürfen jetzt nicht länger schweigen. Das ist das einzig Gute am Sturm der Trump-Anhänger auf das Kapitol: Die Republikaner müssen sich nun entscheiden – für oder gegen Trump, für oder gegen die amerikanische Demokratie.

Donald Trump ist offensichtlich dabei, komplett durchzudrehen. Der Verlust der Wahl wird sein Leben grundlegend verändern: Strafverfahren, Schulden und Unsicherheit erwarten ihn und seine Familie. Er hat bereits angekündigt, 2024 wieder kandidieren zu wollen. Es bleibt abzuwarten, ob die Regenerationskraft der amerikanischen Gesellschaft den Protest weißer Bevölkerungsgruppen, die um ihre illegitimen Privilegien fürchten, durchbrechen und neutralisieren kann.

Joe Bidens Wahlsieg ist eine Atempause, nicht mehr und nicht weniger. Die Zukunft des Landes wird sich erst in den kommenden Jahren entscheiden. Anthony Kapel van Jones, einer der liberalen CNN-Kommentatoren, stellte gestern die Frage des Abends: »Ist dies das Ende oder der Anfang?« Noch wissen wir es nicht.

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