Wahlen in Äthiopien Der Friedensnobelpreisträger, der zum Kriegsherren wurde

An diesem Montag wird in Äthiopien gewählt. Es ist die erste Wahl für den Friedensnobelpreisträger Abiy Ahmed – der als Reformer antrat und sein Land innerhalb kürzester Zeit in ein brutales Chaos gestürzt hat.
Von Fritz Schaap, Kapstadt
Kriegsherr Abiy auf Wahlkampfveranstaltung: Die erste Wahl, der er sich stellen muss, seit er sein Amt angetreten hat

Kriegsherr Abiy auf Wahlkampfveranstaltung: Die erste Wahl, der er sich stellen muss, seit er sein Amt angetreten hat

Foto:

TIKSA NEGERI / REUTERS

Dieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.

Bevor das Blut von Zivilisten an seinen Händen klebte, bevor seine Truppen und ihre Verbündeten Vergewaltigungen in Tigray als Kriegswaffe einsetzten, bevor sie bewusst eine Hungersnot erzeugten, die Hunderttausende Leben bedroht, war Abiy Ahmed einmal ein Star.

Laut klangen die Lobpreisungen im In- und Ausland. Äthiopiens Premierminister erschien vielen als der strahlende Erneuerer eines Landes, das zwar wirtschaftlich beachtlich wuchs, sich demokratischen Werten aber lange verschloss.

Nun finden in Äthiopien an diesem Montag Wahlen statt. Trotz des blutigen Konflikts und der Hungersnot in Tigray, trotz eskalierender Spannungen in verschiedenen Regionen des Vielvölkerstaates.

Abiy hat keine Legitimation durch sein Volk

Für Abiy ist diese Wahl besonders wichtig. Denn bisher hat er keine Legitimation durch seine Bürger: Es ist die erste Wahl, der er sich stellen muss, seit er sein Amt angetreten hat.

Bereits im August 2020 hätte gewählt werden sollen. Die Wahlen wurden aber unter Berufung auf die Covid-19-Pandemie verschoben. Zur Wahl stehen die 547 Mitglieder des Bundesparlaments. Der Vorsitzende der siegreichen Partei wird als Premierminister vereidigt werden.

Doch die Bedenken bezüglich des Urnengangs sind groß.

Wahlhelfer erklären das Wahlsystem in Addis Abeba: Die Bedenken bezüglich des Urnengangs sind groß

Wahlhelfer erklären das Wahlsystem in Addis Abeba: Die Bedenken bezüglich des Urnengangs sind groß

Foto: AMANUEL SILESHI / AFP

Sein Reformeifer brachte Abiy 2019 den Friedensnobelpreis ein

Dabei hatte es so gut begonnen für Abiy: Nach wachsenden Protesten gegen die Koalitionsregierung der Revolutionären Demokratischen Front der Äthiopischen Völker (EPRDF), zu der auch Abiy selbst gehörte, wurde er im April 2018 als Premierminister eingesetzt und machte sich daran, Äthiopien aufzumischen.

Abiy ließ Tausende politische Gefangenen frei, hob die Pressezensur auf und lud einst verbotene Oppositionsgruppen ein, aus dem Exil zurück ins Land zu kommen. Er setzte sich dafür ein, dass eine Frau Präsidentin wurde, schaffte Geschlechterparität im Kabinett und richtete ein Friedensministerium ein. Und er schloss Frieden mit dem Nachbarland Eritrea.

Sein Reformeifer brachte ihm 2019 den Friedensnobelpreis ein.

Die Einheitspartei sollte ethnische Spannungen verringern

Doch die Saat für die heutige Eskalation im Land war bald gesät. Nach seinem Amtsantritt löste Abiy die EPRDF auf. Jenes von der tigrayischen TPLF dominierte Bündnis von vier ethnisch begründeten Parteien, das seit 1991 Äthiopien zwar zu starkem Wirtschaftswachstum verholfen, doch das Land zugleich mit eiserner Hand regiert hatte. Abiy ersetzte die EPRDF durch eine neue Einheitspartei, die Prosperity Party. Mit dieser Partei hoffte er, die ethnischen Spannungen im Land zu verringern und eine nationale Einheit zu schmieden.

Viele der überall im Land immer stärker werdenden Ethnonationalisten, die teilweise aus dem Exil zurückgekehrt waren, sahen darin allerdings den Versuch, den Bundesstaaten die Macht zu nehmen und sie in Addis Abeba zu bündeln. Die TPLF weigerte sich, der neuen Partei beizutreten.

Soldaten der äthiopischen Armee in Tigray: Ethnisch motivierte Angriffe nahmen zu

Soldaten der äthiopischen Armee in Tigray: Ethnisch motivierte Angriffe nahmen zu

Foto: EDUARDO SOTERAS / AFP

Alte Konflikte brechen auf

Sobald die Euphorie der ersten Tage verflogen war, begannen lange schwelende Spannungen, die während der autoritären Herrschaft der EPRDF unterdrückt worden waren, aufzuflammen. Abiy konnte die Geister, die er rief, nicht mehr einfangen.

Ethnisch motivierte Angriffe auch gegen Einzelpersonen nahmen immer weiter zu. Bei gewaltsamen Zusammenstößen starben Tausende Menschen. Im Jahr 2019 waren fast zwei Millionen Menschen aus ihren Häusern geflohen.

Um die wachsende Gewalt einzudämmen, kehrte Abiy zu den Strategien früherer äthiopischer Regierungen zurück. Internet- und Telefonleitungen werden immer wieder abgeschaltet. Verdächtige wurden massenhaft verhaftet. Prominente Oppositionelle wurden unter dem Verdacht der Anstiftung zur Gewalt festgenommen.

Kämpfe haben zu einer massiven humanitären Krise geführt

Nur ein Jahr später war die Wandlung zum Kriegsherrn vollzogen. Im November des vergangenen Jahres schickte Abiy Truppen in die nördliche Provinz Tigray, um die dort regierende TPLF abzusetzen. Vorher hatte die TPLF eine Militärbasis angegriffen, nachdem sie Kriegsvorbereitungen aufseiten der Zentralregierung beobachtet hatte. Es kam zum erwarteten Krieg.

Die Kämpfe haben zu einer massiven humanitären Krise geführt. Auf Abiys Einladung kämpfen auch eritreische Truppen in Tigray und gehen mit besonderer Brutalität vor. Mehr als 60.000 Menschen sind über die Grenze in den Sudan geflohen, weit über eine Million wurden aus ihren Häusern vertrieben. Massaker und sexuelle Gewalt häufen sich. Mehr als 350.000 Menschen leiden bereits unter einer Hungersnot. Die Uno schätzt, dass insgesamt mehr als fünf Millionen Menschen in Tigray humanitäre Hilfe benötigen.

Ethnisch motivierte Gewalt sorgt für Spannungen

Aber auch in vielen anderen Teilen des Landes wird heute gekämpft. Im April verhängte die Regierung in einem Teil der Amhara-Region den Ausnahmezustand, um die Zusammenstöße zwischen ethnischen Amharas und Oromos zu unterbinden.

Im selben Monat wurde berichtet, dass bei einem Streit um die Grenze zwischen den Regionalstaaten Afar und Somali 100 Menschen ums Leben kamen. Und auch in der Region Benishangul-Gumuz kommt es immer wieder zu ethnisch motivierter Gewalt.

Aber besonders Oromia, die Heimatregion von Premierminister Abiy Ahmed und jener der größten Volksgruppe des Landes, der Oromo, könnte nun zu einem der Brennpunkte bei den bevorstehenden Wahlen werden. Zunehmende Gewalt führt dort zu immer größerer Instabilität.

Die Oromo Liberation Army (OLA) hat ihre Angriffe im Vorfeld der Wahlen hochgefahren. Am 6. Mai hat das äthiopische Parlament sie – zusammen mit der Tigray People’s Liberation Front (TPLF) – als terroristische Organisation eingestuft. In Oromia allerdings scheint die Organisation immer noch breite Unterstützung in Teilen der Bevölkerung zu genießen.

In Addis Abeba verspricht die Regierung, alle Probleme im Zusammenhang mit Tigray, Oromia und darüber hinaus zu lösen, nachdem sie sich bei den Wahlen ihre lang ersehnte Legitimität gesichert habe. Viele Äthiopier bleiben jedoch skeptisch.

Es ist wahrscheinlich, dass Abiys Partei die Wahl gewinnen wird

So gilt es trotz aller Spannungen als recht sicher, dass Abiys Prosperity Party die Wahl gewinnen wird. Denn viele Oppositionspolitiker treten erst gar nicht an. Oder sitzen im Gefängnis.

Die Oromo-Befreiungsfront (OLF) zog sich wegen der Inhaftierung einiger ihrer Anführer bereits im März zurück. Auch der Oromo Federalist Congress (OFC), die Partei des bekannten Abiy-Gegners und Ethnonationalisten Jawar Mohammed, gab ebenfalls im März bekannt, sie sehe sich aus ähnlichen Gründen gezwungen, sich von der Wahl zurückzuziehen. Jawar sitzt seit fast einem Jahr im Gefängnis.

Frieden ist in Äthiopien nicht zu erwarten

Die Wahl wird außerdem nicht in Tigray stattfinden. In 64 weiteren Wahlbezirken im Rest des Landes wurde die Abstimmung verschoben. Insgesamt wird in 102 der 547 Wahlkreise aufgrund von Sicherheits- und Logistikproblemen nicht gewählt.

»Die Regierung wird den Konflikt, der zum Bürgerkrieg in Tigray geführt hat, nicht lösen, sie wird den OLA-Aufstand in Oromia nicht beenden, sie wird die Gewalt in Benishangul-Gumuz nicht beenden«, so William Davison, der leitende Äthiopien-Analyst der International Crisis Group. »Aber die Wahl wird es dem Premierminister und seiner Regierungspartei erlauben, ein demokratisches Mandat zu beanspruchen, das sie für die nächsten fünf Jahre in die Lage versetzen würde, ihre Agenda zu verfolgen.«

Frieden in Äthiopien wird das nicht bedeuten.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren