Ex-Präsident wiedergewählt »Die Somalier wollen jemanden, der vereinen kann«

Wahl in Somalia: Das Krisenland kommt nicht zur Ruhe
Foto: Said Yusuf Warsame / EPA
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Ein streng abgeriegelter Hangar in der militärischen Hochsicherheitszone, 328 Abgeordnete wählen einen Präsidenten – so sieht Demokratie in Somalia aus, oder eher die Hoffnung auf Demokratie. Immerhin: Am Ende stand in der Nacht von Sonntag auf Montag ein neues Staatsoberhaupt fest: Hassan Sheikh Mohamud. Er war von 2012 bis 2017 schon einmal Präsident, nun soll er das Land wieder in eine bessere Zukunft steuern.
Wahrlich keine einfache Aufgabe. Weite Teile des Landes werden noch immer von der islamistischen Terrormiliz al-Shabab kontrolliert, die Macht der Regierung reicht gerade mal über ein paar Straßenzüge in Mogadischu und anderen Großstädten. US-Präsident Joe Biden will offensichtlich wieder Truppen in das ostafrikanische Land schicken, die sein Vorgänger Donald Trump in seiner Amtszeit abgezogen hatte. Zudem weitet sich eine Dürre zu einer verheerenden Hungersnot aus, hunderttausende Menschen sind auf der Flucht. Der SPIEGEL hat mit der Sicherheitsexpertin Samira Gaid vom somalischen Thinktank Hiraal Institute über die drohende Katastrophe, Aktentaschen-Politiker und Steuerpolitik der al-Shabab gesprochen.
DER SPIEGEL: Am Sonntag sind die Wahlen endlich über die Bühne gegangen, mit 15 Monaten Verspätung. Wird jetzt doch noch alles gut in Somalia?
Gaid: Es kann nur besser werden. Somalia war 15 Monate lang gewissermaßen in Wartestellung. Davor hat das Land vier Jahre einer sehr polarisierenden Präsidentschaft erlebt. Ich glaube, dass die Somalier wirklich einen Wandel wollen. Der neue Staatschef hat gestern in seiner Eröffnungsrede von Versöhnung gesprochen. Die Somalier wünschen sich, dass die Spannungen der letzten fünf Jahre abgebaut werden.
SPIEGEL: Aber gleichzeitig ist der neue Präsident Hassan Sheikh Mohamud auch ein ehemaliger Präsident, dessen vorherige Amtszeit von 2012 bis 2017 von Korruptionsvorwürfen überschattet war. Das sieht nicht nach einem Neuanfang aus.
Gaid: Die Abgeordneten, mit denen ich gesprochen habe, wollten kein neues Gesicht wählen. Vor fünf Jahren haben sie Farmajo (Anm. der Red.: Der abgewählte Amtsinhaber) als neues Gesicht gewählt. Davor haben sie Hassan Sheikh Mohamud selbst als neues Gesicht gewählt. Dieses Mal wollten sie jemanden, der sich bewährt hat und seine Grenzen kennt. Jemanden, der vereinen kann, der den Dialog sucht. Die Anschuldigungen im Zusammenhang mit seiner Präsidentschaft betrafen hauptsächlich Leute aus seinem Team, und er hat angedeutet, dass er es diesmal anders machen will. Aber es stimmt schon, ein harter Neuanfang ist das nicht.

Der neue Präsident: Hassan Sheikh Mohamud
Foto:Farah Abdi Warsameh / dpa
SPIEGEL: Anstelle von »eine Person, eine Stimme« wird der Präsident von 328 Parlamentsabgeordneten gewählt, die wiederum von Clan-Delegierten ernannt werden. Somalia hat das wohl komplizierteste Wahlsystem der Welt.
Gaid: Ja, von einer idealen Demokratie sind wir noch sehr weit entfernt. Und das liegt daran, dass die politische Elite es gar nicht anders will. Sie wollen bestimmen, wer ins Parlament kommt, denn so bleiben sie immer relevant. Gleichzeitig wird die Sicherheitslage als Grund dafür angeführt, dass wir nicht »eine Person, eine Stimme« umsetzen können. Dabei ist das eher zum Vorteil der politischen Elite – und zum Nachteil des somalischen Volkes, das seine Führung nicht selbst wählen kann.
SPIEGEL: Es gab auch Vorwürfe des Stimmenkaufs.
Gaid: Die Präsidentschaftswahl selbst hier in Mogadischu war die freieste und fairste Wahl, die das Land je erlebt hat. Aber die Schritte davor, die Auswahl der Clan-Delegierten und damit die Wahl der Parlamentsabgeordneten, waren von Korruption durchsetzt. Es gab eine Menge Manipulation, so viel wie nie zuvor.

Wahlen im Militärhangar: Eine Abgeordnete gibt am Sonntag ihre Stimme ab
Foto: Abukar Mohamed Muhudin / Anadolu Agency / Getty ImagesSPIEGEL: Böse Zungen sagen, dass die Wahl nur abgehalten wurde, weil sonst ein internationales Hilfspaket in Millionenhöhe nicht freigegeben worden wäre.
Gaid: Das stimmt zu 100 Prozent. Wenn es diesen internationalen Druck nicht gegeben hätte, dann hätte sich die Wahl noch viel länger hingezogen. Ohne diesen Druck hätte die Gefahr bestanden, dass die Somalier die Geduld verloren, zu gewaltsamen Mitteln gegriffen und sich gegenseitig bekämpft hätten.
SPIEGEL: Vor der Wahl gab es Befürchtungen, dass Al-Shabab-Sympathisanten Mandate als Abgeordnete anstreben könnten. Hat sich das bewahrheitet?
Gaid: Das kann ich nicht mit Sicherheit sagen, aber diese Befürchtungen bestehen nach wie vor. Sie würden es wahrscheinlich nicht so offenkundig tun. Es gibt aber einen neuen Abgeordneten, der vor der Wahl eine Rede im von al-Shabab besetzten Gebiet gehalten hat. Später rechtfertigte er sich damit, dass er dort lebt und an dem Treffen teilnehmen musste. Das sind die offensichtlichsten Verbindungen. Aber es gibt noch viele weitere Bezüge, die man im komplizierten somalischen Kontext nicht auf den ersten Blick erkennen kann.

Immer wieder kommt es in Somalia zu Terroranschlägen der al-Shabab, hier im Januar 2022
Foto: Sadak Mohamed / Anadolu Agency / Getty ImagesSPIEGEL: Al-Shabab kontrolliert noch immer weite Teile Somalias, obwohl seit Jahren Truppen der Afrikanischen Union gegen die Terrorgruppe kämpfen. Hat der neue Präsident überhaupt eine Chance, die Islamisten zu besiegen?
Gaid: Der Kampf gegen al-Shabab erfordert ein koordiniertes Vorgehen. Es braucht nicht nur eine militärische Antwort, sondern eine, die die ganze Gesellschaft einbezieht. Der neue Präsident versteht das hoffentlich besser. Er war auch Staatsoberhaupt, als die großen Militäroffensiven gestartet wurden, um al-Shabab aus den Städten zu vertreiben. Aber es ist inzwischen noch viel schwieriger geworden als zu Beginn seiner letzten Amtszeit. Al-Shabab hat sich verändert. Die Truppen der Afrikanischen Union sind dabei, sich zurückzuziehen. Die somalischen Sicherheitskräfte sind zwar gestärkt worden, aber sie sind auch gespalten. Es gibt also noch viel zu tun.
SPIEGEL: Al-Shabab treibt Steuern ein, hat in den von ihr kontrollierten Gebieten ein eigenes – islamistisches – Justizsystem aufgebaut. Die Regierung schaut bislang hilflos dabei zu.
Gaid: Die Regierung kontrolliert die großen Städte, und al-Shabab kontrolliert das Hinterland. Die somalische Regierung muss also über die Städte hinaus aktiv werden. Die Leute nutzen das Rechtssystem von al-Shabab, weil die Regierung selbst nicht für Gerechtigkeit sorgen kann. Sie nutzen das Bildungssystem von al-Shabab, weil die Regierung keine Bildungseinrichtungen schafft. Die Regierung muss aus der Hauptstadt raus und den Somaliern eine Alternative anbieten. Aber diese Aktenkoffer-Politiker wagen sich nicht aus den Städten, so lässt sich al-Shabab nicht besiegen.

Eine verheerende Dürre weitet sich zu einer Hungersnot aus
Foto: Sally Hayden / ZUMA Wire / IMAGOSPIEGEL: Gleichzeitig leidet Somalia unter einer massiven Dürre, die sich gerade zu einer katastrophalen Hungersnot ausweitet.
Gaid: Ja, Somalia muss sich dringend mit der internationalen Gemeinschaft zusammensetzen. Das Land benötigt ein funktionierendes Ministerium, das sich um die Dürre kümmert und sicherstellt, dass die Hilfsgüter dort ankommen, wo sie gebraucht werden. Im Moment sind die Politiker komplett mit dem Wahlprozess beschäftigt. Es wird noch etwa einen Monat dauern, bis ein Premierminister ernannt ist und ein Kabinett gebildet wurde. Das beeinträchtigt die Reaktion auf die Dürre erheblich. Bis jetzt hat die internationale Gemeinschaft die Angelegenheit allein angepackt.
Dieser Beitrag gehört zum Projekt Globale Gesellschaft
Unter dem Titel »Globale Gesellschaft« berichten Reporterinnen und Reporter aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Europa – über Ungerechtigkeiten in einer globalisierten Welt, gesellschaftspolitische Herausforderungen und nachhaltige Entwicklung. Die Reportagen, Analysen, Fotostrecken, Videos und Podcasts erscheinen in einer eigenen Sektion im Auslandsressort des SPIEGEL. Das Projekt ist langfristig angelegt und wird von der Bill & Melinda Gates Foundation (BMGF) unterstützt.
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