Nicola Abé

Frauen und bewaffnete Konflikte Was kann feministische Außenpolitik?

Nicola Abé
Ein Essay von Nicola Abé, São Paulo
Die einen verspotten sie als Genderquatsch, die anderen überhöhen sie zur Lösung aller Weltprobleme: Ist feministische Außenpolitik angesichts des russischen Angriffskrieges überholt – oder wichtiger denn je?
Antikriegsprotest vor der russischen Botschaft in Mexiko-Stadt

Antikriegsprotest vor der russischen Botschaft in Mexiko-Stadt

Foto: Luis Cortes / REUTERS
Globale Gesellschaft

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Über feministische Außenpolitik wurde zuletzt viel gesprochen. Das lag ausgerechnet an Friedrich Merz, der sich vor dem Bundestag über sie lustig machte. »Sie können von mir aus feministische Außenpolitik machen, aber nicht mit diesem Etat«, verkündete der CDU-Vorsitzende und bezog sich auf die von der Regierung angekündigte »Zeitenwende« und die damit verbundenen 100 Milliarden Sondervermögen für die Bundeswehr. Für Genderquatsch solle man, sinngemäß, in solch einer ernsten Lage doch bitte kein Geld ausgeben.

Außenministerin Annalena Baerbock trat wenig später ans Rednerpult und lieferte eine Antwort, die es in sich hatte: Sie berichtete von ihrem Treffen mit den Müttern von Srebrenica, die zu Beginn der Neunzigerjahre im Jugoslawienkrieg zusehen mussten, wie ihre Töchter Opfer sexualisierter Gewalt wurden. Damals zählten massenhafte Vergewaltigungen noch nicht als Kriegswaffe. »Deswegen gehört zur Sicherheitspolitik des 21. Jahrhunderts auch eine feministische Sichtweise«, so Baerbock, »das ist kein Gedöns, das ist auf der Höhe der Zeit.«

Annalena Baerbock in Niger

Annalena Baerbock in Niger

Foto: Florian Gaertner / photothek / IMAGO

Seither vergeht kaum ein Tag, an dem nicht neue Schilderungen von brutalen Kriegsverbrechen russischer Soldaten in der Ukraine bekannt werden; darunter auch immer mehr Berichte über sexualisierte Gewalt an Frauen und Kindern. Kommentiert werden sie in den sozialen Medien und in Zeitungsartikeln nun nicht selten mit dem Hinweis: »Darum brauchen wir eine feministische Außenpolitik« – als könne allein der Begriff die Gewalt auf magische Weise stoppen.

Für die einen rangiert feministische Außenpolitik irgendwo zwischen Unisextoiletten und Gendersternchen ganz weit oben auf der Skala verblendeten, woken Irrsinns. Andere wiederum verklären sie zu einer Art Wundermittel, um Grausamkeiten aller Art zu verhindern und Frieden zu schaffen – und zwar ein für alle Mal.

Zumindest eines machte die Szene im Bundestag klar: Als Herrenwitz taugt die feministische Außenpolitik wenig. Darüber hinaus allerdings bleibt vieles ungeklärt. Was bedeutet feministische Außenpolitik eigentlich? Und ist sie angesichts des russischen Angriffskrieges nun überholt oder wichtig wie nie?

Es ist kompliziert: Die Vorstellungen, die mit dem Begriff verbunden werden, sind divers. Selbst Feministinnen sind sich uneinig.

Feministische Außenpolitik als Perspektive – das schwedische Modell

Die Ampel hat sich das Ziel einer feministischen Außenpolitik in den Koalitionsvertrag geschrieben. Dort steht: »Gemeinsam mit unseren Partnern wollen wir im Sinne einer Feminist Foreign Policy (FFP) Rechte, Ressourcen und Repräsentanz von Frauen und Mädchen weltweit stärken und gesellschaftliche Diversität fördern.« Die Bundesregierung orientiert sich damit an der Uno-Resolution 1325 »Frauen, Frieden und Sicherheit« aus dem Jahr 2000 sowie am schwedischen Modell einer feministischen Außenpolitik. Der Fokus liegt auf Geschlechtergleichheit und der Inklusion von Minderheiten.

Schwangere Frauen flüchten in den Luftschutzkeller einer Geburtsklinik in Mykolajiw, Ukraine

Schwangere Frauen flüchten in den Luftschutzkeller einer Geburtsklinik in Mykolajiw, Ukraine

Foto:

Bulent Kilic / AFP

Frauen sollen die gleichen Rechte haben, den gleichen Anspruch auf Ressourcen und die gleiche Entscheidungsmacht. »Das entspricht unseren Werten, hat aber auch eine utilitaristische Komponente«, sagt Rachel Tausendfreund , stellvertretende Vorsitzende der Organisation Women in International Security. Angenommen wird: Wenn Frauen mit am Tisch sitzen und entscheiden, werden ihre Realitäten und Bedürfnisse eher mitgedacht. So entsteht eine breitere Expertise, die etwa Friedensverträge erfolgreicher macht. Die Welt soll auf diese Weise sicherer werden, besonders für vulnerable Menschen, die von Konflikten häufig überproportional schwer betroffen sind. Es gibt zudem Studien, die zeigen, dass Staaten umso friedlicher agieren, je gleichgestellter Frauen sind. Es besteht also ein Zusammenhang zwischen Frauenrechten im Inneren und Sicherheit in der globalen Außenpolitik.

Als erstes Land verpflichtete sich Schweden 2014 zu einer feministischen Außenpolitik, inzwischen folgten unter anderem Kanada, Spanien und eben Deutschland. Die ehemalige schwedische Außenministerin Margot Wallström beschrieb FFP weniger als einen Satz feststehender politischer Überzeugungen und Positionen, denn als eine Art »Analysewerkzeug«, eine Linse, durch die man Außenpolitik betrachtet.

Dieser Ansatz ist nicht notwendigerweise antimilitaristisch. Vielmehr kann man auch zu dem Schluss kommen, dass die Sicherheit und Rechte von Frauen und Mädchen in bestimmten Situationen eben nur mit Waffengewalt geschützt werden können.

Feministische Außenpolitik als Idee einer neuen Weltordnung

Eine akademisch-theoretische Variante feministischer Außenpolitik stellt hingegen die Utopie einer gewaltfreien Welt in ihr Zentrum. Sie leitet sich aus der radikalen feministischen Theorie ab und fordert eine völlige Abkehr von der traditionellen Sicherheitspolitik, weil diese immer nur zu neuer Gewalt führe.

»Ich sehe meine Rolle darin, klarzumachen, dass ein mehr an Aufrüstung, mehr an Waffen, mehr an Militarisierung uns in der Konsequenz immer wieder an den Punkt bringt, wo dieses Potenzial für Gewalt auch in Gewalt überschwappen wird«, sagt Kristina Lunz vom Centre for Feminist Foreign Policy im SPIEGEL-Podcast.

Podcast Cover

Zur selben Schule gehört auch die Klimaaktivistin Luisa Neubauer, die in der geplanten Aufrüstung Deutschlands einen »patriarchalen Rückschritt« sieht.

Vertreterinnen dieser Strömung, die starke Überschneidungen mit pazifistischem Denken aufweist und sich in der Tradition der Frauenfriedensbewegungen sieht, kritisieren den »sogenannten Realismus«, den sie als in der Außenpolitik vorherrschende Weltsicht identifizieren: Dem Realismus zufolge stehen Staaten aufgrund des Fehlens einer Weltregierung in Anarchie zueinander und müssen Macht durch militärische Abschreckung und Dominanz aufbauen.

Kristina Lunz will nicht nur mehr Frauen an den außenpolitischen Tisch bringen, sondern ein völlig neues System aufbauen

Kristina Lunz will nicht nur mehr Frauen an den außenpolitischen Tisch bringen, sondern ein völlig neues System aufbauen

Foto: F. Castro

Dem liege ein negatives Menschenbild zugrunde, kritisiert Lunz in ihrem Buch »Die Zukunft der Außenpolitik ist feministisch«. Sie betont darin die kooperative Seite des Menschen; Aggression wird dementsprechend als eine Art Symptom eines kranken Systems gewertet. Es genüge daher nicht, mehr Frauen an den Tisch zu bringen, findet Lunz, man müsse den Tisch – also das Patriarchat – vielmehr zerstören und stattdessen ein völlig neues System aufbauen, eine »gerechtere Welt«, in der Konflikte nur noch durch Diplomatie, Abrüstung und Deeskalation gelöst werden müssen. Lunz begreift das Konzept selbst allerdings als sinnstiftende »Utopie«.

Die pazifistische Variante feministischer Außenpolitik stößt gegenwärtig auf viel Kritik. Rachel Tausendfreund von Women in International Security wirft ihren Vertreterinnen vor, Außenpolitik zu »versimplifizieren«, indem sie Gegensätze wie »Waffen oder Frieden« und »feministisch oder militärisch« aufmachten. Zudem werde verkannt, dass es bereits eine liberale außenpolitische Weltordnung gebe, die schon per se internationale Institutionen, Absprachen und Diplomatie gegenüber Gewalt priorisiere.

Angesichts des russischen Angriffskrieges würde ein weiterer Denkfehler der Schule deutlich: »Abrüstung und Selbstbeschränkung machten in einer Welt Sinn, als wir selbst, als die europäischen Staaten die Imperialisten und Kriegstreiber waren, also im 18., 19. und bis etwa Mitte des 20. Jahrhunderts. Aber in der heutigen Welt, in der Aggressoren möglicherweise andere sind, die von außen kommen, die imperialistische Interessen hegen und sich an keinerlei Regeln halten, darf man sich eben nicht wehrlos machen.«

Sind Militarismus und feministische Außenpolitik ein Widerspruch?

»Unsere Töchter schicken wir doch auch zum Kickboxen, damit sie sich gegen Angreifer wehren können«, sagt Assita Kanko, belgische EU-Abgeordnete. Kanko versteht sich zugleich als Feministin und Realistin – und vertritt daher die Meinung, dass Militär und Waffen ein integraler Bestandteil jeder Außen- und Sicherheitspolitik sein müssen. »Wer Frieden will, muss auf den Krieg vorbereitet sein«, sagt sie – und setzt sich gleichzeitig für mehr Frauen in der Außen- und Verteidigungspolitik ein.

Kanko ist in Burkina Faso geboren, wuchs selbst in einer Diktatur auf, erlebte als Kind Gewalt in Form von Genitalverstümmelung und sitzt heute als erste schwarze Frau für die Fraktion der Konservativen und Reformer im Europaparlament.

Die EU-Abgeordnete Assita Kanko sieht sich als Realistin und als Feministin

Die EU-Abgeordnete Assita Kanko sieht sich als Realistin und als Feministin

Foto: Martin Bertrand / Hans Lucas / IMAGO

Hannah Neumann, ebenfalls EU-Abgeordnete, die für die Grünen den Ampel-Koalitionsvertrag mitverhandelt hat, würde zwar nicht so weit gehen wie Assita Kanko, doch auch sie sagt: »Natürlich müssen wir vorbereitet sein und auch militärisch reagieren, wenn uns jemand Aggression von außen aufzwingt.« Sie sei zwar für Abrüstung, aber »so lange die Bösen Waffen haben, muss ich eben auch Waffen haben«.

FFP verstehe sie durchaus auch als Prävention »in dem Sinne, dass wir dafür sorgen, dass diese Typen wie Putin, die für den Gipfel toxischer Maskulinität stehen, gar nicht mehr so viel Macht bekommen – indem man sich eben nicht so abhängig macht wie Deutschland das getan hat, Stichwort Gas.« Dabei könne eine »feministische Brille« ziemlich nützlich sein.

Neumann, die derzeit in Kabul unterwegs ist, um für Frauenrechte zu kämpfen, steht für einen pragmatischen Ansatz, der zugleich feministische Werte nicht aufgeben will. »Ich will zum Beispiel nicht die Bundeswehr abschaffen. Ich will, dass dort 40, 50 Prozent Frauen tätig sind, und dann verändert sich der Laden auch«, sagt sie. Bei feministischer Außenpolitik gehe es weniger um eine »Neuerfindung von Politik, es geht um einen vollständigeren Blick und um eine andere Priorisierung«.

Hannah Neumann spricht mit Schülerinnen in Afghanistan. Schülerinnen ab der siebten Klasse ist der Schulbesuch von den Taliban verboten worden

Hannah Neumann spricht mit Schülerinnen in Afghanistan. Schülerinnen ab der siebten Klasse ist der Schulbesuch von den Taliban verboten worden

Foto: Hannah Neumann / privat

Was also bringt feministische Außenpolitik konkret?

Feministische Außenpolitik ist kein Wundermittel. Der radikal-theoretische Ansatz ist nicht erst seit dem russischen Angriffskrieg in Erklärungsnot geraten. Wie andere pazifistische Bewegungen findet er kaum eine schlüssige Antwort auf die Aggression von außen.

Fasst man das Konzept andererseits zu weit, fällt darunter etwa auch die Afghanistan-Politik unter US-Präsident Barack Obama: Eine Frau, die stellvertretende Verteidigungsministerin Michèle Flournoy, entwarf eine Politik, die klar Frauen und Mädchen priorisieren sollte – mit zweifelhaften Ergebnissen, und das schon vor dem Abzug der Nato-Truppen. Allerdings saßen hier privilegierte, weiße Frauen am Tisch, das Ganze war also nicht besonders divers.

Gleichzeitig gibt es durchaus klar zu benennende Verdienste feministischer Aktivistinnen in der Weltpolitik: So wurde erreicht, dass die Situation von Frauen, Kindern und Minderheiten in Konflikten heute überhaupt größere Aufmerksamkeit erfährt. Strategische sexualisierte Gewalt wurde als das erkannt, was sie ist: eine Kriegswaffe.

Eine deutsche Bundeswehrsoldatin ist mit einem Nato-Bataillon in Litauen stationiert

Eine deutsche Bundeswehrsoldatin ist mit einem Nato-Bataillon in Litauen stationiert

Foto: Bernd von Jutrczenka/ dpa

Feministische Außenpolitik setzt sich dafür ein, dass Frauen und Vertreter der Zivilgesellschaft etwa bei Friedensverhandlungen mit am Tisch sitzen, was den Frieden erwiesenermaßen stabiler macht. Auch in der Analyse außenpolitischer Gemengelagen und damit in der Konfliktprävention ist der feministische Blick beziehungsweise das Einbeziehen diverser betroffener Gruppen gewiss nicht nur ein Gewinn, sondern Voraussetzung für Erfolg.

Feministische Außenpolitik schließt Lücken in der Wahrnehmung. Für eine friedlichere Welt dürfte eine feministische außenpolitische Perspektive also tatsächlich eine wichtige Rolle spielen. Die Idee ist weder naiv noch überholt, sondern ein wirkungsvolles Instrument, gerade auch in der Situation eines Angriffes, bei dem es auch darum geht, die bestehende Weltordnung zu zerschlagen. Naiv waren in der Vergangenheit nicht die Feministinnen, sondern jene Wandel-durch-Handel-Akteure, die Beschwichtigungen gegenüber Russland auch nach 2014 noch für schlaue Politik hielten.

Frauen demonstrieren in Vilnius, Litauen, gegen den russischen Angriffskrieg

Frauen demonstrieren in Vilnius, Litauen, gegen den russischen Angriffskrieg

Foto: Mindaugas Kulbis / AP

Was feministische Außenpolitik jedoch nicht kann: Sie ist kein Gesamtkonzept, das andere Elemente einer Außen- und Sicherheitspolitik ersetzt. Zu diesen gehört neben Diplomatie und Völkerrecht eben auch Machtpolitik und das Militärische. Denn die menschliche Natur mag pluralistisch sein. Eines aber ist sie sicher nicht: nur friedlich.

Das aber haben pragmatische Feministinnen schon längst erkannt. Es erscheint wie ein Widerspruch, dass feministische Werte, darunter auch die Freiheit, pazifistisch zu sein, am Ende eben möglicherweise mit Waffengewalt verteidigt werden müssen. Aber es ist doch gerade die Stärke liberaler Staaten, Widersprüchliches auszuhalten.

Dieser Beitrag gehört zum Projekt Globale Gesellschaft

Unter dem Titel »Globale Gesellschaft« berichten Reporterinnen und Reporter aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Europa – über Ungerechtigkeiten in einer globalisierten Welt, gesellschaftspolitische Herausforderungen und nachhaltige Entwicklung. Die Reportagen, Analysen, Fotostrecken, Videos und Podcasts erscheinen in einer eigenen Sektion im Auslandsressort des SPIEGEL. Das Projekt ist langfristig angelegt und wird von der Bill & Melinda Gates Foundation (BMGF) unterstützt.

Ein ausführliches FAQ mit Fragen und Antworten zum Projekt finden Sie hier.

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