Weißrusslands Präsident Lukaschenko vor der Wahl Sascha schlägt zurück

Sicherheitskräfte tragen einen Demonstranten in Minsk weg
Foto: Sergei Gapon/ AFP"Sascha 3 Prozent" haben sie auf einen Kiosk in Minsk gesprüht, auf den Asphalt, an Häuserwände. Auf Aufkleber und T-Shirts gedruckt, zusammen mit einem Schnauzbart.
Sascha ist der Kosename von Alexander, gemeint ist Schnauzbartträger Alexander Lukaschenko. Der autoritäre Präsident Weißrusslands ist seit 1994 im Amt - so lange wie kein anderer Staats- und Regierungschef in Europa. Er will sich nun ein sechstes Mal wählen lassen. In knapp vier Wochen stehen Präsidentschaftswahlen an - in einem Staat wie Weißrussland eigentlich ein eingeübtes, gut organisiertes Ritual mit dem Ziel, den Amtsinhaber möglichst deutlich zu bestätigen.
Doch das gestaltet sich dieses Mal für Lukaschenko nicht so einfach.

Alexander Lukaschenko bei der Militärparade am 9. Mai, die er trotz der Corona-Pandemie abhalten ließ
Foto: Sergei Gapon/ AFP/ AP/ DPAEr muss erleben, wie Kritiker ihn als Drei-Prozent-Präsidenten verspotten. Ganz so niedrig dürften seine Zustimmungswerte zwar nicht liegen, aber wie hoch sie sind, weiß keiner: Soziologische Umfragen sind seit einigen Jahren faktisch nicht mehr erlaubt. Die drei Prozent stammen aus zwei Onlinevoten zur Popularität der möglichen Wahlteilnehmer, erhoben von Nachrichtenportalen. Die aber haben nie den Anspruch auf Repräsentativität für sich erhoben.
Dennoch wetterte Lukaschenko unlängst: "Niemand wird heute die Macht in Weißrussland ändern." Und: "Glauben Sie wirklich, dass der amtierende Präsident drei Prozent hat?" Hinter ihm stehe die große Mehrheit der Weißrussen, er allein sei es, der die Probleme im Land löse, behauptete Lukaschenko.
Es klang wie eine Kampfansage an seine Gegner, die nichts Gutes erahnen lässt. 2010 waren seine Sicherheitskräfte bei Protesten nach der Präsidentschaftswahl brutal gegen Demonstranten vorgegangen. Die EU hatte deshalb Sanktionen verhängt, die sind inzwischen wieder aufgehoben, auch weil Lukaschenko den Westen wieder stark hofierte in Abgrenzung zu Russland. Doch nun geht es um den Erhalt seiner Macht.
Die Stimmung im Land hat sich jedoch verändert. In den vergangenen Wochen hat Weißrussland eine Welle der Solidarität erfasst: Sie begann mit dem Sammeln von Masken und Geld zur Unterstützung von Ärzten im Kampf gegen das Coronavirus. Die Menschen versuchten, sich selbst zu helfen - und sie nahmen Lukaschenko übel, dass er sie mit der Pandemie alleinließ, die er leugnete. Den globalen Umgang damit tat er als "Psychose" ab.
Diese Solidarität übertrug sich auf all jene, die nun gegen Lukaschenko antreten wollen - was ein ungleicher Kampf ist. Lukaschenko hat die bisherige Opposition massiv verfolgen lassen, sodass sich nur noch wenige trauten, politisch aktiv zu werden.

Schlangen in Minsk - von Menschen, die für einen der Kandidatenanwärter unterschreiben wollen
Foto: Vasily Fedosenko/ REUTERSDas hat sich geändert: Stundenlang standen Tausende auch in kleineren Städten und Regionen an, um für die Kandidatenanwärter zu unterschreiben. Rund 700.000 Unterschriften kamen so zusammen. In einem Land wie Weißrussland mit nicht einmal zehn Millionen Menschen ist das eine Leistung - und kommt einem Misstrauensvotum für Lukaschenko gleich. Der ließ die ersten Gegner bereits aus dem Verkehr ziehen und die Polizei gegen Protestierende vorgehen.
Die Gegner Lukaschenkos
Der bekannte Videoblogger Sergej Tichanowskij wurde als Erster verhaftet, seine Frau Swetlana tritt für ihn an. Er hat sich einen Namen gemacht, weil er auf YouTube mit Menschen in den Regionen, eigentlich Lukaschenkos Stammwählern, über Korruption und Diktatur sprach.
Tichanowskijs kritischer Populismus dürfte dem Staatschef wenig gefallen haben. Lässt er sich schließlich als Batka, Väterchen seines Volkes, bezeichnen, dem er gern Wohltaten verspricht, wie die Erhöhung der Renten und den Bau von Straßen. Allerdings gibt es immer weniger für Lukaschenko zu verteilen, das Bruttoinlandsprodukt Weißrusslands ist auf dem Level wie vor zehn Jahren. Nach dem Ölstreit mit Russland und fallenden Ölpreisen verstärkt sich die wirtschaftliche Krise.

Ein Exil-Weißrusse in Krakau, Polen, bei einer Demonstration gegen Lukaschenko
Foto: Beata Zawrzel/ NurPhoto/ Getty ImagesBesonders beunruhigen dürfte Lukaschenko allerdings, dass gleich zwei Mitglieder der Elite es mit ihm aufnehmen wollen:
Walerij Tsepkalo, Ex-Botschafter in den USA, ehemaliger Vizeaußenminister und Gründer des Vorzeigeprojekts Hi-Tech Park,
und Wiktor Babariko, ehemaliger Leiter der Belgazprombank, einer Tochter des russischen Gazprom-Konzerns und dessen Gazprombank, und bekannter Kulturförderer.
Beide wollen den weißrussischen Staat modernisieren, die an Sowjetzeiten erinnernde Wirtschaft reformieren, eine neutrale und pragmatische Außenpolitik verfolgen, die Präsidentschaft auf zwei Amtszeiten begrenzen.
In dieser Woche soll nun verkündet werden, wer als Gegenkandidat für Lukaschenko registriert wird.
Zum Verbrecher abgestempelt
Tsepkalo hat kaum noch Chancen, ein großer Teil seiner 200.000 Unterschriften wurde nicht anerkannt, wegen angeblicher Formfehler. Zu wenig sind übrig geblieben, um die 100.000-Hürde für eine Kandidatur schaffen.
Bei Babariko wäre das nicht so einfach gewesen, er ist besonders beliebt. Er reichte mit 365.000 viel mehr Unterschriften ein - und nahm diese erste Hürde. Er sitzt aber seit über drei Wochen bereits in Haft. Solange er nicht verurteilt ist, kann er jedoch kandidieren.
Ob Lukaschenko das zulässt? In Babarikos Wahlteam hofft man das trotz allem. "Wenn Wiktor nicht zugelassen wird, zeigt das die Angst der Macht vor einem echten Wahlkampf", sagt Maria Kalesnikawa, eine der Koordinatoren von Babarikos Wahlbüro. Seine Kampagne läuft weiter, getragen von Hunderten Freiwilligen. Ihr Zeichen ist ein Herz, das sie aus ihren Händen formen.

Wiktor Babariko, Ex-Bankchef, der Lukaschenko herausfordern will
Foto:Vasily Fedosenko/ REUTERS
In den Staatsmedien wird der 56-Jährige weiter als Verbrecher dargestellt, beschlagnahmte Dollarnoten und Kunstgemälde werden präsentiert. Der Vorwurf: Er soll unter anderem große Geldsummen gewaschen und ins Ausland verschoben haben. Bis zu 15 Jahre Haft drohen dem Ex-Bankmanager nun. Immer neue angebliche Details werden veröffentlicht, sie sind allerdings kaum zu durchschauen. Babariko wird zudem als Antipatriot dargestellt, der angeblich im Auftrag fremder Länder handele - gemeint ist Russland. Lukaschenko warnt immer wieder vor einem angeblich drohenden Maidan wie in der Ukraine, Plänen der Destabilisierung Weißrusslands.
Amnesty International führt Babariko inzwischen als politischen Gefangenen. Und seine Anhänger wollen nicht aufgeben: "Wir dürfen nicht klein beigeben, schweigen. Wenn Babariko nicht kandidieren darf, dann bleibt uns noch die Straße", sagt die 21-jährige Nadeja Bogdanowitsch, die nach Protesten im Juni zehn Tage lang in Haft saß und glaubt: "Lukaschenko wird niemals einfach so gehen."