Syrerinnen in Deutschland Zwei von 830.000

Ruaa Abu Rasheed und Havin Deniz kamen vor einigen Jahren aus Syrien nach Deutschland. Damals war ihnen alles fremd und sie hörten oft das Wort »Integration«. Und jetzt? Zeit für eine einfache Frage: Wie geht es ihnen?
Von Maria Stöhr und Maria Feck (Fotos), Würzburg und Bad Oldesloe
Ruaa Abu Rasheed floh vor acht Jahren aus Damaskus nach Deutschland. Heute lebt sie mit ihrem Mann in Würzburg

Ruaa Abu Rasheed floh vor acht Jahren aus Damaskus nach Deutschland. Heute lebt sie mit ihrem Mann in Würzburg

Foto: Maria Feck / Der SPIEGEL
Globale Gesellschaft

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Manchmal, wenn Ruaa Abu Rasheed erzählt, scheint es, als suchte sie nach acht Jahren in Deutschland noch immer nach dem Schalterhäuschen, das sie einmal passieren muss, um ins wahre Deutschland zu gelangen. In das Deutschland, zu dem sie, wenn sie einmal drin ist, auch echt dazugehört.

Gäbe es so einen Schalter, könnte Abu Rasheed, 27 Jahre, dort die ganzen Bescheinigungen und Abschlüsse und Urkunden hinknallen, die sie sich in Deutschland erarbeitet hat, wie ein Bündel Eintrittskarten.

Den Sprachkurs B1. Den Sprachkurs B2. Das Pflegepraktikum in Hamburg. Der Abschluss am Studienkolleg in Nordhausen.

Das nachgeholte Abitur, weil ihres aus Syrien nicht anerkannt wurde.

Den Bachelorabschluss in Medizintechnik an der Hochschule in Jena. Bald den Masterabschluss.

Sie könnte den Führerschein mitbringen, oder den Mietvertrag. Erdgeschosswohnung in Würzburg, Gartenanteil, frisch gemäht.

»Ich habe euch gezeigt: Ich bin nicht falsch. Jetzt müsst ihr es sehen.«

Ruaa Abu Rasheed kam vor acht Jahren aus Damaskus nach Deutschland

Aber stattdessen sitzt Abu Rasheed auf ihrem Sofa und malt mit dem Finger einen runden Kringel auf ihren Oberschenkel. Sie sagt: »Es ist, als wäre Deutschland ein geschlossener Kreis. Ich versuche, da reinzukommen. Aber ich werde ständig weggeschubst. Nee, du gehörst noch nicht dazu.«

Ruaa Abu Rasheeds Mann Nasouh kocht Fatteh, ein syrisches Gericht mit Kichererbsen und geröstetem Brot

Ruaa Abu Rasheeds Mann Nasouh kocht Fatteh, ein syrisches Gericht mit Kichererbsen und geröstetem Brot

Foto: Maria Feck / Der SPIEGEL

830.000. So viele Frauen und Männer aus Syrien sind nach Deutschland gekommen , seit dort 2011 der Bürgerkrieg ausbrach, der bis heute kein Ende findet. Sie landeten hier und hörten oft dieses Wort: »Integration«. Und ganz Deutschland anfangs jenes: »Willkommenskultur«. In den Jahren 2014, 2015, 2016, als besonders viele Menschen über die Grenzen kamen und Asyl suchten, stieg die Zahl der Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte um den Faktor fünf im Vergleich zu den Jahren davor. Die AfD zog erstmals in Landtage ein, Sachsen, Thüringen, Brandenburg, Hamburg, schließlich in den Bundestag. Die Integrationspolitik polarisierte die politische Debatte der Bundestagswahl 2017.

Havin Deniz kam vor sechs Jahren aus Kobanê nach Deutschland. Sie lebt alleinerziehend mit ihren beiden Kindern, macht eine Ausbildung zur sozialpädagogischen Assistentin

Havin Deniz kam vor sechs Jahren aus Kobanê nach Deutschland. Sie lebt alleinerziehend mit ihren beiden Kindern, macht eine Ausbildung zur sozialpädagogischen Assistentin

Foto:

Maria Feck / Der SPIEGEL

Die Fragen von damals lauteten: Wie geht das, neu anfangen? Wie können aus Fremden Vertraute, Nachbarn, Kolleginnen werden? Wie werden die Flüchtlinge Europa verändern, wie Europa sie? Viele der 830.000 werden für immer in Deutschland bleiben. Aus geflüchteten Jungen und Mädchen sind inzwischen Erwachsene in Deutschland geworden, Auszubildende, Studierende, Väter, Mütter. Und jetzt? Wie fühlt sich Deutschland für sie an? Sind sie angekommen? Und was heißt das überhaupt?

DER SPIEGEL hat zwei gefragt, Havin Deniz, 34, und Ruaa Abu Rasheed, 27. Zwei von 830.000. Wie fühlt sich ihr Leben an, in Würzburg, in Bad Oldesloe?

»Ich bin seit sechs Jahren hier. Manchmal gucke ich zurück: Hä, das habe ich geschafft?«

Havin Deniz, 34 Jahre, stammt aus dem kurdischen Kobanê in Nordsyrien

Die eine, Deniz, kommt aus Kobanê im Norden von Syrien. Sie ist Kurdin, Mutter von zwei Söhnen, sechs und 13. In Deutschland hat sie sich von ihrem Mann getrennt. Nach der Scheidung wurde sie von ihrer Familie bedroht, deshalb möchte sie hier anonym bleiben. Die andere, Abu Rasheed, wuchs in Damaskus auf. Sie studiert im Master Medizintechnik, ist seit einem Jahr verheiratet. Es hängen noch die roten Heliumballons vom ersten Hochzeitstag an der Wohnzimmerwand, mit dem Schriftzug »Love«. Deniz floh, als der IS in ihre Heimat kam, die Kinder oft versteckt unter weiten Kleidern in Pick-ups, auf Fähren. Türkei, Marokko, die spanische Exklave Melilla. Madrid. Mehrfamilienhaus in Bad Oldesloe. Sie sagt, die Flucht kennt keine direkten Wege. Abu Rasheed denkt manchmal, wären ihr Mann und sie, unabhängig voneinander, nicht geflüchtet, hätten sie sich nie getroffen.

Deniz und Abu Rasheed also, seit sechs und acht Jahren in Deutschland. Zeit, eine einfache Frage zu stellen: Wie geht es euch in diesem Land? Was die Frauen zu sagen haben, lesen Sie in dieser Bilderstrecke:

Fotostrecke

Syrerinnen in Deutschland: »Ohne Kämpfen geht es nicht«

Foto:

Maria Feck / Der SPIEGEL

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Dieser Beitrag gehört zum Projekt Globale Gesellschaft

Unter dem Titel »Globale Gesellschaft« berichten Reporterinnen und Reporter aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Europa – über Ungerechtigkeiten in einer globalisierten Welt, gesellschaftspolitische Herausforderungen und nachhaltige Entwicklung. Die Reportagen, Analysen, Fotostrecken, Videos und Podcasts erscheinen in einer eigenen Sektion im Auslandsressort des SPIEGEL. Das Projekt ist langfristig angelegt und wird von der Bill & Melinda Gates Foundation (BMGF) unterstützt.

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