Wirtschaftskrise und Hunger in Sri Lanka »Ich träume von Joghurt«

Die einjährige Hiruri in Colombo: Damit das Kleinkind genug nährstoffreiche Nahrung bekommt, verzichtet der Rest der Familie seit der Wirtschaftskrise in Sri Lanka oft auf Essen
Foto: Chrutti Pieres / Save the Children
In Reportagen, Analysen, Fotos, Videos und Podcasts berichten wir weltweit über soziale Ungerechtigkeiten, gesellschaftliche Entwicklungen und vielversprechende Ansätze für die Lösung globaler Probleme.
SPIEGEL: Herr Chellappah, im vergangenen Jahr haben Tausende Menschen in Sri Lanka über Monate demonstriert. Sie stürmten letztlich die Residenz des damaligen Präsidenten Gotabaya Rajapaksa, dem sie vorwerfen, wegen Misswirtschaft und Korruption für die derzeitige katastrophale wirtschaftliche Lage im Land verantwortlich zu sein. Das Land hat inzwischen einen neuen Präsidenten, die Proteste ebbten etwas ab. Wie ist die Lage im Moment?
Chellappah: Während wir sprechen, läuft in Sri Lanka gerade ein neuer Streik der Gewerkschaften: Schulen sind geschlossen, die Banken ebenso, große Teile des öffentlichen Lebens stehen mal wieder still. Die Menschen protestieren also weiterhin – sie fordern, dass die versprochenen Veränderungen endlich umgesetzt werden: Reformen des Regierungs- und des Wirtschaftssystems. Und dass die alten Eliten den Platz frei machen und die Verantwortlichen endlich eine gute Antwort auf diese schreckliche Krise finden.
Julian Chellappah ist Regionaldirektor der Hilfsorganisation Save the Children in Colombo, Sri Lanka. Die jüngste Umfrage der Organisation ergab, dass ein Fünftel der Familien im Land ihre Grundbedürfnisse wegen der schweren Wirtschaftskrise nicht mehr decken können.
SPIEGEL: Vergangenes Jahr haben Menschen tagelang vor Tankstellen in der Schlange gestanden, das Land konnte seine Schulden nicht mehr bedienen, keine Importe mehr bezahlen. Es gab kein Gas zum Kochen, keine Medikamente. Hat sich das verbessert?
Chellappah: Es gibt wieder Benzin, jedoch ist es rationiert. Wer tankt, muss sich über einen QR-Code registrieren. Für viele Tuk-Tuk-Fahrer zum Beispiel sind diese limitierten Benzinmengen zu wenig, um damit Kundschaft zu fahren, sie können also ihrem Geschäft nicht mehr nachgehen. Für Familien wiegt die Tatsache, dass ihr Einkommen derart geschrumpft ist, dass sie sich keinen Strom, keine Medikamente mehr leisten können, besonders schwer.
SPIEGEL: Sie haben die Lage von Eltern und Kindern in Sri Lanka besonders im Blick. Wie geht es Familien?
Chellappah: Für sie ist die Lage hoffnungslos. Die jährliche Inflationsrate liegt bei mehr als 50 Prozent, Preise für Lebensmittel sind um 90 Prozent gestiegen, das heißt: Ein Drittel der Familien ist von Ernährungsunsicherheit betroffen, hungert, lässt Mahlzeiten aus. Vor allem die Eltern: Die Hälfte der von uns befragten Mütter und Väter verzichten für ihre Kinder auf ihr eigenes Essen oder können ihren älteren Kindern nicht dasselbe bieten wie den kleineren, müssen priorisieren. Es fällt ihnen schwer, gute Lebensmittel zu finden: Joghurt oder Eier sind sehr teuer. Ein Mädchen erzählte uns: »Ich träume von Joghurt. Aber meine Eltern können es sich nur leisten, meinen jüngeren Geschwistern Joghurt zu kaufen, also bekomme ich keinen.«

Thisuri ist elf Jahre alt und lebt mit ihrer Mutter und den Geschwistern in Colombo, Sri Lanka. Seit der Wirtschaftskrise hat sich das Leben der Jugendlichen drastisch verändert.
Foto: Chrutti Pieres / Save the Children
Die Familie kann sich Grundlegendes nicht mehr leisten
Foto: Chrutti Pieres / Save the ChildrenSPIEGEL: Welche Überlebensstrategien haben die Familien in dieser Lage gefunden?
Chellappah: Seit der massiven Geldentwertung versuchen sie, so wenig wie möglich mit Geld zu bezahlen. Verwenden lokale Produkte, machen Tauschgeschäfte im Dorf, sie sind beeindruckend resilient. Wir unterstützen etwa 90.000 Familien einerseits mit Geld, andererseits helfen wir ihnen mit Material, damit sie Gemüsebeete im Garten aufbauen und ihr eigenes Gemüse ziehen können.

Mutter Preethika erzählt, sie könne die Mägen ihrer Kinder noch füllen, aber dafür müssen die Erwachsenen darben
Foto: Chrutti Pieres / Save the Children
Die Familie wird inzwischen von der Organisation Save the Children unterstützt
Foto: Chrutti Pieres / Save the ChildrenSPIEGEL: Welche Folgen hat diese Mangelernährung für die Kinder?
Chellappah: Sri Lanka hatte schon vor der Krise hohe Hunger- und Mangelernährungsraten bei Kindern. Das verschärft sich nun. Die Gesundheit der Kinder ist stark beeinträchtigt. Eltern berichten uns von Töchtern und Söhnen, die nicht mehr durchschlafen können. Deren Appetit und Verhalten sich verändern, da geht es dann in Richtung psychosoziale Auffälligkeiten. Kinder fallen öfter aus dem Schulsystem raus oder lernen weniger, weil sie einen leeren Bauch haben. Haben eine höhere Gefahr, missbraucht oder Gewalt ausgesetzt zu werden. Solche ökonomischen Krisen sind auch prädestiniert für Kinderarbeit. Wenn jemand krank wird, können sich viele den Transport zum nächsten Arzt nicht mehr leisten. Viele medizinische Zentren sind mangelhaft ausgerüstet. Was auch heißt, dass Frauen bei der Geburt schlechter versorgt werden, ebenso Neugeborene.
SPIEGEL: Wie blicken Sie auf die nächsten Monate?
Chellappah: Alle hoffen auf den Tourismus und dass damit das Bruttosozialprodukt gesteigert werden kann. Dann gibt es die Aussicht, dass ein finanzieller Rettungsschirm die Lage in Sri Lanka entspannen wird. Wie es aussieht, wird China Sri Lanka nun doch ein Hilfspaket in Höhe von 2,9 Milliarden Dollar zusichern, das wäre eine Erleichterung. Es ist in dieser Situation sehr wichtig, dass die internationale Gemeinschaft zusammenkommt und reagiert. Dass andere Länder nach vorn treten und den Menschen in Sri Lanka helfen, damit die Kinder dieses Landes nicht zu einer verlorenen Generation werden.
Dieser Beitrag gehört zum Projekt Globale Gesellschaft
Unter dem Titel »Globale Gesellschaft« berichten Reporterinnen und Reporter aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Europa – über Ungerechtigkeiten in einer globalisierten Welt, gesellschaftspolitische Herausforderungen und nachhaltige Entwicklung. Die Reportagen, Analysen, Fotostrecken, Videos und Podcasts erscheinen in einer eigenen Sektion im Auslandsressort des SPIEGEL. Das Projekt ist langfristig angelegt und wird von der Bill & Melinda Gates Foundation (BMGF) unterstützt.
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