Jahrespressekonferenz von Wladimir Putin »Alle reden von Krieg, Krieg, Krieg«

Wladimir Putin bei seiner Pressekonferenz: »Sie müssen uns Garantien geben – und zwar sofort. Jetzt.«
Foto: YURI KOCHETKOV / EPADieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Im Kreml schaut man gern auf Statistiken, deshalb zunächst die wichtigsten Zahlen der diesjährigen Jahrespressekonferenz von Wladimir Putin:
Bis zu 507 Journalistinnen und Journalisten nahmen an diesem Donnerstag teil.
Die Pressekonferenz dauerte drei Stunden und 56 Minuten.
55 Fragen wurden gestellt.
Allerdings gerade einmal vier Fragen betrafen die Ukraine, den russischen Truppenaufmarsch an der Grenze zum Nachbarstaat und die zuletzt verschärften Spannungen mit der Nato und den USA. Damit verbunden ist die Frage, die seit Wochen für Unruhe im Westen und in Russland sorgt:
Wird Putin so weit gehen, einen neuen Krieg zu beginnen?
Noch vor zwei Tagen hatte man einen Kremlchef gesehen, der seine Kriegsrhetorik verschärft hatte. Vor Militärs drohte Putin dem Westen mit »militärisch-technischen Antworten«. Moskau werde »hart« auf »unfreundliche Schritte« des Westens reagieren. Bei der Pressekonferenz vor geladenen Journalisten (einige davon aus dem Ausland) schlug er am Donnerstag nun versöhnlichere Töne an. Was sicherlich auch damit zusammenhing, dass er für Anfang Januar geplante Gespräche mit den USA in Genf bekannt gab. Vertreter beider Länder seien bereits benannt worden, erklärte Putin.
Er sprach von einer »insgesamt eher positiven Reaktion« des Westens auf zwei Vorschläge zur europäischen Sicherheit, die Moskau in der vergangenen Woche vorgelegt hatte. Er hoffe, dass sich die Situation auf diese Weise weiter entwickeln werde. »Der Ball liegt in ihrem Feld. Sie müssen uns etwas mitteilen«, sagte er in Richtung westlicher Politiker.
Der Präsident, so scheint es, verordnet sich damit zum Jahresende eine rhetorische Drohpause, zumindest vorübergehend. Ohnehin stand die Frage im Raum, wie lange die russische Führung immer aggressivere Drohungen Richtung Westen senden will, ohne zu riskieren, an Glaubwürdigkeit zu verlieren, wenn den Worten keine Taten folgen.
Allerdings unterstrich Putin auch am Donnerstag seine Forderungen an die Nato, die dem Atlantikbündnis ein kaum erfüllbares Ultimatum stellen. Der russische Entwurf sieht unter anderem vor, dass die Nato alle künftigen Militäreinsätze auf Mitglieder beschränkt, die ihr vor 1997 beigetreten sind – also als die Nato begann, ehemalige kommunistische Satellitenstaaten in Osteuropa aufzunehmen. Putin würde damit eine Reset-Taste zu seinen Bedingungen drücken, was das westliche Verteidigungsbündnis unmöglich zulassen wird.
»Wir müssen verstehen, wie unsere Sicherheit gewährleistet werden kann«, sagte er. Deshalb dürfe die Nato nicht weiter nach Osten rücken, weiter mit Plänen voranschreiten, Truppen und Raketensysteme in die Ukraine zu verlegen. »Sie müssen uns Garantien geben – und zwar sofort. Jetzt«, sagte Putin auf die Frage, welche Garantien er geben könne, dass Russland keine Offensive plane.
Minutenlange Vorträge zur Ukraine
Der Kremlchef drehte wie so oft die Rollen einfach um: Er tat so, als ob die Frage einer möglichen militärischen Eskalation nicht bei ihm läge. »Alle reden von Krieg, Krieg, Krieg«, sagte er, um dann später hinzuzufügen. »Aber das ist nicht unsere Entscheidung.« Das hänge von dem Vorgehen der Nato und der USA ab. Dabei ist es Putin, der weiterhin Züge mit Waffen und schwerem Gerät in Richtung der Grenzregion im Westen des Landes rollen lässt. Rund 100.000 Soldaten hat er bereits an der Grenze zur Ukraine und auf der annektierten Krim zusammenziehen lassen.
Wirkte der Kremlchef bei innenpolitischen Fragen teils gelangweilt, hielt er beim Thema Ukraine und Westen minutenlang engagierte Vorträge. Es war allerdings nicht viel Neues, was die Journalisten erfuhren, denen bei Putins Pressekonferenzen meist die Rolle von Stichwortgebern zukommt:
Der Westen arbeite daran, »Russland von innen heraus zum Zusammenbruch zu bringen«;
die Ukraine sieht Putin weiter als eine Einheit mit Russland, womit er dem Nachbarstaat die Eigenständigkeit abspricht;
die Regierung in Kiew halte die Vereinbarungen des Minsker Abkommens nicht ein, was allerdings auch für die prorussischen, von Russland kontrollierten Kämpfer gilt;
der Kremlchef zeigte sich enttäuscht vom ukrainischen Staatschef Wolodymyr Selenskyj, der unter dem »Einfluss radikaler Elemente, sogenannter Nazis« stehen würde, wie Putin behauptete. Selenskyj ist jüdischer Abstammung. Seine Regierung hatte Sanktionen gegen Putins ukrainischen Freund und Oligarchen Wiktor Medwedtschuk verhängt, er steht unter Hausarrest.
Deutlicher als bisher äußerte sich Putin zum Donbass. Das Gebiet im Südosten der Ukraine habe sich bis zu den frühen sowjetischen Grenzverschiebungen »nie als etwas anderes als einen Teil Russlands betrachtet«, sagte Putin. Der Kreml sei 2014 gezwungen gewesen, etwas zu unternehmen, so sei es zu der Krise gekommen.
Welle neuer Repressionen gegen Opposition, NGOs und Medien
Der Zerfall der Sowjetunion kränkt den Kremlchef bis heute, er ist aus seiner Sicht alles andere als ein abgeschlossener Prozess. Er will ihn nun nach seinen Vorstellungen beeinflussen, mit Zwangsdiplomatie unter Truppenaufmarsch.
Dass er dies nun gerade jetzt tut, 30 Jahre nach dem Ende der Sowjetunion, hängt mit der innenpolitischen Lage zusammen. Putin muss kaum noch Gegenwehr und Proteste im Land fürchten: Die Kremlpartei Einiges Russland hält weiterhin die absolute Mehrheit in der Duma. Die Verfassungsreform von 2020 ermöglicht es Putin, noch bis 2036 an der Macht zu bleiben.
Die Opposition im Land hat er nach der Vergiftung und Festnahme des bekannten Kremlkritikers Alexej Nawalny durch eine neue Welle an Repressionen weitgehend zerschlagen lassen. Auch zivilgesellschaftliche Organisationen und unabhängige Medien werden mit immer neuen Strafmaßnahmen überzogen. Inzwischen werden über 100 NGOs, Medien und Journalisten als sogenannte ausländische Agenten von den russischen Behörden gelistet.
Am Donnerstag durfte keiner von ihnen Putin eine Frage stellen.