Putins Jahresrückblick »Warum gleich vergiften?«

Auf seiner jährlichen Pressekonferenz versucht Russlands Präsident zu erklären, warum der Geheimdienst FSB nicht hinter dem Anschlag auf Oppositionspolitiker Alexej Nawalny stehe. Manche der Argumente wirken bizarr.
Von Christian Esch, Moskau
Putins Jahrespressekonferenz, ausnahmsweise locker bestuhlt – und mit Videoverbindung

Putins Jahrespressekonferenz, ausnahmsweise locker bestuhlt – und mit Videoverbindung

Foto: MAXIM SHEMETOV / AP

Zu den eisernen Regeln von Wladimir Putins Auftritten gehört, dass er den Namen Alexej Nawalny nicht in den Mund nimmt. Für den Kreml ist der Oppositionspolitiker, der im August einen Giftanschlag überlebte, ein Tabuthema.

Und so musste sich Russlands Präsident bei seiner diesjährigen Jahrespressekonferenz  wieder mal winden, um seinen Widersacher in anderen Worten zu umschreiben – denn das Thema Nawalny, das war von Anfang an klar, würde sich bei diesem großen Auftritt Putins ausnahmsweise nicht umgehen lassen. Am Montag hat der SPIEGEL, zusammen mit den Rechercheplattformen Bellingcat  und The Insider sowie CNN , genaue Bewegungsprofile eines FSB-Kommandos vorgelegt, das Nawalny über Jahre begleitete und mutmaßlich in seine Vergiftung involviert war. Der Vorwurf steht im Raum, Putin selbst habe Nawalny vergiften lassen.

Mehrfach sich räuspernd und zögernd, sprach Putin auf Nachfrage das Schicksal »des, ähm, Patienten in der Berliner Klinik« an. Er habe »gestern erst« von den »neuen Spekulationen anlässlich der Daten unserer Geheimdienstler« erfahren. Natürlich ist es höchst unwahrscheinlich, dass er erst mit 48 Stunden Verspätung von den neuen Anwürfen erfahren haben soll. Aber noch merkwürdiger ist, wie schlecht der Kreml die drei Tage genutzt hat, um sich gute Antworten auszudenken.

Putins Zirkelschluss

Putins Argumente lassen sich in drei Punkten zusammenfassen.

  • Nawalny beziehungsweise »der Patient in der Berliner Klinik« sei zu unwichtig, um vergiftet zu werden. »Warum denn gleich vergiften? Wen interessiert der schon?«, fragte Putin mit gekünsteltem Lachen.

  • Das Scheitern des Anschlags spreche gegen eine Urheberschaft des FSB. »Wenn wir gewollt hätten, dann hätten wir’s ja wohl zu Ende gebracht.«

  • Der Geheimdienst habe Nawalny selbstverständlich begleitet – aber nicht, um ihn zu vergiften. Mehr noch: Die tölpelhafte Verwendung von Mobilfunknummern, mit der die FSB-Agenten aufgeflogen waren, ist in Putins Darstellung eine bewusste Nachlässigkeit. Selbstverständlich wisse man, dass die US-Geheimdienste »die Geolokalisierung verfolgen. Unsere Geheimdienste verstehen das. Die Mitarbeiter von FSB und anderen Organen wissen das und nutzen ihre Telefone dort, wo sie es für unnötig halten, ihren Aufenthaltsort zu verbergen.«

Die neuesten Leaks stammten in Wahrheit nicht aus journalistischen Recherchen, sondern von den US-Geheimdiensten, und bewiesen deshalb vor allem eines: »Der Patient der Berliner Klinik genießt die Unterstützung der US-Geheimdienste.« Woraus wiederum folge, dass die russischen Geheimdienste auf ihn achtgeben müssten. Wer Zirkelschlüsse mag, wird Putin recht geben.  

Gefragt hatte nach Nawalny ein Mitarbeiter des Kreml-loyalen Boulevardmediums life.ru  – einer der wenigen Journalisten, die mit Putin im selben Raum in dessen Moskauer Residenz sitzen durften. Der Rest war Corona-bedingt über Videolink mit dem Präsidenten verbunden, aus Moskau und ganz Russland.

Interessanterweise ließ sich Putin von life.ru auch nach den Vorwürfen gegen sein Familienumfeld fragen – genauer gesagt, gegen den Bankier Kirill Schamalow, der 2013 Putins Tochter Katerina Tichonowa geheiratet hatte und kurz darauf Hunderte Millionen Dollar teure Anteile des Unternehmens Sibur quasi geschenkt bekommen hatte, wie berichtet wurde. Schamalow sei sein Ex-Schwiegersohn, betonte Putin. Die Ehe ist getrennt.

Ob die Verschlechterung der Beziehungen mit dem Westen nicht wenigstens zum Teil auch von Putin zu verantworten sei, fragte ein BBC-Korrespondent. »Glauben Sie wirklich, Russland hat da eine weiße Weste?« – »Eine weißere als ihr«, antwortete Putin schmallippig.

Wessen Weste ist weißer?

Putin wiederholte seine Kritik daran, dass die Bundesrepublik nicht auf russische Rechtshilfeersuchen im Fall Nawalny eingegangen sei. Allerdings befand sich Nawalny selbst just während der Pressekonferenz in einer Befragung, die die deutsche Seite auf Bitten russischer Behörden durchführte. Das berichtete am Nachmittag Nawalny selbst auf Twitter : »Der Menge der Mitteilungen auf meinem Telefon nach zu urteilen, hat Putin was zur Recherche über die Vergifter aus dem FSB gesagt. Ich weiß noch nichts – war den ganzen Tag in einer Befragung. Die deutsche Staatsanwaltschaft hat mich auf Bitten der russischen Behörden befragt.«

Die Pressekonferenz dauerte rund viereinhalb Stunden. Sie ist Putins größter Fernsehauftritt neben der Call-in-Show, auf der jedes Jahr Russinnen und Russen dem Präsidenten ihre Fragen und Bitten stellen sollen. Die Liveshow wurde in diesem Jahr nicht durchgeführt, aber »Elemente« wurden in die Pressekonferenz integriert, so Putins Sprecher Dmitri Peskow. Zwischen die Fragen der Presse wurden Bitten aus dem Volk geschoben. Putin verkündete dabei auch ein Geschenk zum Neujahrsfest: Eine Einmalzahlung von 5000 Rubel (56 Euro) je Kind unter sieben Jahren.

Noch nach Ende der offiziellen Pressekonferenz bestätigte Peskow, dass der FSB Nawalny beschatte. Warum die FSB-Agenten Nawalny dann nicht vor der Vergiftung bewahrt hätten, wurde er gefragt. »Diese Frage müssen Sie jemand anderem stellen«, sagte Peskow.

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