[M] Lina Moreno / DER SPIEGEL; Maxar Technologies / European Space Imaging; Xinjiang Police Files
Satellitenfotos, Geheimbefehle und Häftlingslisten So haben wir die Xinjiang Police Files überprüft
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Es ist das größte Leak über staatliche Umerziehungslager in Xinjiang, das je in die Öffentlichkeit gelangte. Darin befinden sich Informationen über rund 300.000 Einwohner Xinjiangs, zum größten Teil gehören sie der muslimischen Volksgruppe der Uiguren an.
Der Datensatz landete bei dem deutschen Anthropologen und Chinaexperten Adrian Zenz, der Senior Fellow an der Victims of Communism Memorial Foundation in Washington, D.C., ist. Zenz war schon in der Vergangenheit der wichtigste Aufdecker der Zustände in den Lagern von Xinjiang. Laut eigenen Angaben bekam er die Daten von einem anonymen Hacker zugespielt, der auf chinesische Regierungssysteme Zugriff hatte. Zenz teilte die Informationen mit dem SPIEGEL, dem Bayerischen Rundfunk und mehr als zehn internationalen Medienpartnern wie der BBC und »Le Monde«. Mehr als 30 Journalisten aus aller Welt haben die Daten ausgewertet und auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft.
Eine Besonderheit dieses Leaks: Von knapp 5000 in den Daten erfassten Personen gibt es Fotos, fast 2900 davon zeigen Menschen, die 2018 in Umerziehungslagern interniert waren. Es sind offenbar Aufnahmen, die nach der Inhaftierung gemacht wurden. Hinzu kommen Bilder, die Einblicke ins Innere der Haftanstalten geben. Erstmals kann sich die Welt damit ein Bild von Tausenden Betroffenen machen. Die Daten geben eine Antwort auf die Frage: Wer sind eigentlich die Menschen, die von den chinesischen Behörden in Xinjiang inhaftiert und interniert werden? Die geleakten Unterlagen zeigen, dass die Menschen häufig auf Basis eher profaner Anschuldigungen durch Behörden zu teils langjähriger Lagerhaft verurteilt wurden.
Jede der Personen wurde von den Behörden mit einer individuellen Nummer versehen, daher lassen sich Fotos und Personen im Datensatz eindeutig verknüpfen.
Wie konnten wir überprüfen, ob die Bilder authentisch sind und in welchen Umerziehungslagern sie entstanden?
Die Suche nach den richtigen Orten
In den vergangenen Jahren konnten Aktivistinnen und Experten, etwa vom Australian Strategic Policy Institute, mithilfe von Satellitenbildern Hunderte mutmaßliche Umerziehungslager in Xinjiang ausfindig machen. Zu mehreren dieser Lager, in Konasheher und Tekes, lassen sich in den Xinjiang Police Files Tausende Daten finden.
Viele der im Datensatz enthaltenen Fotos führen in den Kreis Tekes im Regierungsbezirk Ili, wo etwa 170.000 Menschen leben. Doch wo genau wurden sie aufgenommen?
Bislang war über das Innere der chinesischen Umerziehungslager wenig bekannt. Anhand von Zeugenaussagen ließ sich das Leben darin lediglich grob rekonstruieren . Durch die Xinjiang Police Files ändert sich das. Auf den Bildern sieht man Sicherheitskräfte, bewaffnet mit Holzknüppeln und Sturmgewehren, sowie Häftlinge, die unter Aufsicht chinesische Propaganda im Fernsehen anschauen müssen oder in Zwangsposen verharren. Vieles deutet darauf hin, dass auch diese Bilder aus Tekes stammen: