
Antworten auf die wichtigsten Fragen Worum geht es bei den Xinjiang Police Files?
Sie sind das bisher größte Leak zum chinesischen Unterdrückungssystem in der Region Xinjiang: Noch nie gesehene Fotos aus dem Inneren von Internierungslagern, vertrauliche Behördenanweisungen und Reden chinesischer Funktionäre belegen die willkürliche und massenhafte Internierung von Uiguren im Nordwesten Chinas.
Die Dokumente, die der SPIEGEL und der Bayerische Rundfunk gemeinsam mit zwölf internationalen Medien analysiert haben, widerlegen die Behauptung der chinesischen Regierung, es handele sich bei den Hunderten Lagern – die in den vergangenen Jahren erbaut wurden – um Berufsbildungszentren, deren Insassen sich dort freiwillig aufhielten. So findet sich im Datenleck beispielsweise eine bislang unbekannte Rede des ehemaligen Parteichefs der Region Xinjiang aus dem Jahr 2017, in der es heißt: Jeder Gefangene, der auch nur versuche, ein paar Schritte weit zu entkommen, sei »zu erschießen«.

Schwarze Masken über dem Kopf, Holzknüppel im Nacken: Fotos aus dem Inneren chinesischer Internierungslager zeigen, dass die Insassen dort offenbar mit Gewalt festgehalten werden
Foto: Xinjiang Police FilesNach Schätzungen der Vereinten Nationen waren in Xinjiang zeitweise etwa eine Million Menschen interniert, bei den meisten handelte es sich um Uiguren, eine muslimische Minderheit in der Volksrepublik. Teil der Xinjiang Police Files sind Tausende Behördenfotos von Uiguren, die in Lagern und Gefängnissen eingesperrt wurden. Aus chinesischen Internierungslagern gab es bislang lediglich Fotos, die von den Behörden oder zumindest mit deren Billigung oder unter Aufsicht aufgenommen wurden. Nun zeigen Aufnahmen, die offenbar von Beamten für den internen Gebrauch gemacht wurden, erstmals ein unverfälschteres Bild von den Vorgängen hinter den Lagermauern. So sind auf den Fotos etliche Insassen mit Verletzungen zu erkennen. Ein Mann ist in einer als »Tiger Chair« bekannten Vorrichtung zu sehen – Menschenrechtsexperten sprechen im Zusammenhang mit dem Gerät von Folter.
Woher stammen die Dokumente?
Die Fotos und Unterlagen, bei denen es sich um das bisher umfangreichste Datenleak zu Chinas Internierungslagern handelt, wurden dem deutschen Anthropologen Adrian Zenz zugespielt. Zenz, der an der Victims of Communism Memorial Foundation in Washington forscht, wurden von Whistleblowern immer wieder Informationen zur Masseninternierung von Uiguren überlassen. Die Xinjiang Police Files stammen nach Angaben des Wissenschaftlers von einem anonymen Hacker, der offenbar in die Computersysteme chinesischer Sicherheitsbehörden eingedrungen ist. Laut Zenz stellte die Quelle keinerlei Bedingungen, auch habe es keine Bezahlung gegeben.
Wie wurde die Echtheit der Unterlagen überprüft?
Der SPIEGEL hat die Xinjiang Police Files zusammen mit einem Team von mehr als 30 Journalistinnen und Journalisten von 13 Medien aus der ganzen Welt – darunter die britische BBC, »El País« in Spanien, »Le Monde« in Frankreich und dem Bayerischen Rundfunk – ausgewertet und auf Authentizität überprüft. Dabei wurden die Fotos mit Satellitenbildern abgeglichen, Metadaten ausgelesen und ausgewertet. Zudem haben Wissenschaftler vom Fraunhofer-Institut für Sichere Informationstechnologie sowie der Bildanalytiker Hany Farid von der Universität Berkeley unabhängig voneinander die Unverfälschtheit der Fotos bestätigt.

Unter Dauerüberwachung: Fotos aus den Xinjiang Police Files zeigen, wie mittlerweile so ziemlich jeder Lebensbereich von Uiguren im Nordwesten Chinas ausgeforscht wird – auch muslimische Gebetsräume
Foto: Xingjiang Police FilesIn den Xinjiang Police Files finden sich Bilder und Namen von Tausenden Menschen, die 2018 in zwei Lagern im Kreis Konasheher interniert waren. Das Rechercheteam hat die Listen mit Datenbanken inhaftierter beziehungsweise verschwundener Männer und Frauen aus der Region Xinjiang abgeglichen. Reporter von SPIEGEL und BBC haben Angehörige von internierten Uiguren, deren Daten in den Xinjiang Police Files auftauchen, in der Türkei und den Niederlanden getroffen. Sie bestätigten Informationen aus den geleakten Daten. Die BBC hat zudem mehr als 150 Telefonnummern angerufen, die in den Unterlagen gelistet waren – etliche Polizisten und Beamte hoben ab und bestätigten Namen und Dienstrang.
Was sagt die chinesische Regierung zu den Recherchen?
Die Führung in Peking hat Enthüllungen zu massenhaften und willkürlichen Internierungen von Uiguren – und damit verbundenen Menschenrechtsverletzungen – bislang als »erfundene Lügen und Desinformation« zurückgewiesen. Die Kommunistische Partei behauptet, dass es sich bei den Lagern um Ausbildungszentren handele, die die Armut in der Region lindern sollen. Die Behörden behaupten auch, dass einige der Maßnahmen in Xinjiang der Bekämpfung uigurischer Extremisten dienten.
Das internationale Rechercheteam, das die Xinjiang Police Files ausgewertet hat, hat die Regierung in Peking und etliche chinesische Botschaften auf der ganzen Welt mit den Ergebnissen konfrontiert und um eine Stellungnahme gebeten. Die Anfrage blieb unbeantwortet.
Was unternimmt die internationale Gemeinschaft, um die Uiguren zu schützen?
Die Europäische Union, die USA und Kanada kritisieren seit Jahren regelmäßig Chinas Umgang mit den Uiguren und haben mittlerweile auch Sanktionen gegen chinesische Offizielle verhängt. Die US-Regierung nennt Chinas Vorgehen gar einen »Genozid«, das kanadische und das niederländische Parlament tun dies ebenso. Zugleich haben sich international Dutzende Länder – darunter Nordkorea, Syrien und Saudi-Arabien – hinter China gestellt.
Am Montag begab sich erstmals Uno-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet nach China, um die Vorwürfe in Xinjiang vor Ort zu untersuchen. Bachelet hatte zuvor jahrelang vergeblich Zugang zu der Uigurenregion gefordert.

Die Xinjiang Police Files zeigen, wie brutal die chinesischen Behörden bei der Unterdrückung von Uiguren vorgehen – der SPIEGEL hat das Datenleck gemeinsam mit internationalen Partnern ausgewertet. Alle Texte, Videos, Beiträge finden Sie hier.