Kind sein, zur Schule gehen, in Sicherheit leben: Das kann die 16-jährige Evelyne, die eigentlich anders heißt, nur, weil sie geflohen ist – vor ihrer eigenen Familie.
Evelyne, 16 Jahre:
»Wir haben in einem Dorf, in Pissila, gelebt. Dann mussten wir wegziehen, weil Terroristen den Ort angegriffen haben. Mein Großvater rief dann meine Mutter an und sagte ihr, sie solle mich wieder zu ihm bringen. Er wolle meine Hochzeit organisieren. Das habe ich mitbekommen und bin hierher geflohen.«
Evelyne rettete sich in das Frauenhaus St. Maria Goretti in Kaya, einem Nachbardorf.
Journalist: »Hast du die Hochzeit abgelehnt, weil er alt ist oder weil du noch ein Kind bist?«
Evelyne, 16 Jahre: »Ich bin noch ein Kind. Und außerdem will ich lernen, deshalb habe ich abgelehnt.«
Mehr als einhundert Mädchen haben bei den Nonnen Obhut gefunden. Sie alle sind einer Zwangsheirat entkommen oder verstoßen worden. Im Frauenhaus können sie zur Schule gehen, ein Handwerk lernen und so später eigenes Geld verdienen.
Für diese 20-Jährige, die sich Marie nennt, war der Gedanke zu viel, jeden Morgen neben einem unbekannten Mann aufzuwachen.
Marie, 20 Jahre:
»Ich bin hier, weil ich mit einem Mann verheiratet werden sollte, den ich mir nicht ausgesucht hatte. Ich war noch Schülerin. Ich habe meinen Abschluss nicht geschafft und wollte noch ein weiteres Jahr zur Schule, aber meine Eltern weigerten sich und sagten, sie würden meine Ehe organisieren. Ich bin hier, weil ich vor der Hochzeit geflohen bin. Am nächsten Morgen bin ich zum Sozialamt gegangen, und die haben mich hierher geschickt.«
Zwangsehen sind im westafrikanischen Burkina Faso illegal. Aber sie sind nach wie vor üblich, insbesondere in ländlichen Gegenden. Die Zahl der Kinderehen weltweit ist in den vergangenen Jahren zwar um 15 Prozent zurückgegangen, doch das Uno-Kinderhilfswerk Unicef schätzt, dass derzeit rund 650 Millionen Mädchen und 115 Millionen Jungen in Zwangsehen leben. In West- und Zentralafrika werden etwa zwei von fünf minderjährigen Mädchen verheiratet. Eines von acht sogar vor ihrem 15. Geburtstag.
Laut Unicef lastet in traditionsbewussten Gemeinschaften ein enormer sozialer Druck auf den Familien. Hier herrscht oft Armut, die frühe Verheiratung von Töchtern bedeutet, dass weniger Kinder ernährt werden müssen.
Außerdem fehle in den Familien häufig das Bewusstsein, dass eine frühe Heirat für junge Mädchen schädlich sein kann: sie werden aus ihrem sozialen Umfeld gerissen und öfter häuslicher Gewalt ausgesetzt, so Unicef.
Um Aufklärung zu leisten hat Unicef eine Online-Miniserie produziert. »Vaillante« erzählt die Geschichte zweier Mädchen: Eine steht kurz davor, zwangsverheiratet zu werden. Die andere versucht Betroffenen zu helfen. Beide müssen kämpfen – in der Gesellschaft und in ihren Familien.
Maguy Essey, Schauspielerin:
»Als ich das Drehbuch las und anfing, in der Serie mitzuspielen, hatte ich die Statistiken über die westafrikanischen Länder vor Augen. Ich war schockiert über den sehr hohen Prozentsatz junger Mädchen, die zwangsverheiratet werden. Es gibt sie wirklich, aber niemand spricht darüber.«
Evelyne ist ihrer Heirat entkommen. Nach der Flucht suchten ihre Eltern nach ihr und fanden sie im Frauenhaus. Sozialarbeiter überzeugten die Familie, sie bei den Nonnen wohnen zu lassen. Dort bekommt Evelyne jetzt eine Perspektive.
Schwester Veronique Kanssono, Frauenhaus St. Maria Goretti:
»Für mich ist es eine Wonne zu sehen, dass sie hier gedeihen. Wenn sie herkommen, sind sie traurig, sie weinen, sind entmutigt. Nach und nach, mit der Zeit und gutem Willen, halten sie durch, haben wieder Freude am Leben und entwickeln sich weiter. Das ist meine Freude. Ich wünsche ihnen, dass sie Erfolg haben, damit die Eltern sie anders wahrnehmen, wenn sie in ihre Familien zurückkehren.«