50 Jahre Schwacke-Liste Bibel der Gebrauchtwagen

Eigentlich ist die Preisbestimmung bei Gebrauchtwagen nichts anderes als der Abgleich zwischen Angebot und Nachfrage - doch das ist komplizierter, als es klingt. Deshalb verlassen sich Millionen von Käufern auf eine Liste, die der Autohändler Hanns Schwacke vor 50 Jahren erfand.

Wer seinen Gebrauchtwagen verkaufen will, kommt dabei immer wieder auf die entscheidende Frage: "Welchen Preis kann ich verlangen?" Und auch der Käufer will sichergehen, dass er nicht über den Tisch gezogen wird. Eine grobe Richtschnur wäre folglich hilfreich, dachte sich der Frankfurter Autohändler Hanns Schwacke und legte 1957 den ersten "Marktbericht für Gebrauchtwagen" auf. In den vergangenen 50 Jahren hat sich diese Schwacke-Liste als unverzichtbarer Leitfaden für Käufer und Verkäufer etabliert - sie ist eine Art Bibel des Gebrauchtwagenmarktes. Auf die Idee zu dem Kompendium brachte Schwacke ein US-Soldat, der für einen Opel Kapitän seinen Chevrolet in Zahlung geben wollte. Weil diese Autos damals in Deutschland sehr selten waren, sei er ratlos gewesen, berichtete der Firmengründer in einem der letzten Interviews kurz vor seinem Tod im November 2006. Als der Amerikaner dann das sogenannte Blue Book der US-Autohändlervereinigung aus der Tasche zog, nachschlug und ihm die Tabelle mit dem Restwert des Chevy unter die Nase hielt, war die Idee geboren. "Das brauchen wir in Deutschland auch", sagte sich Schwacke und begann, Daten und Werte zu sammeln.

An dieser Arbeit hat sich bis heute wenig geändert. Allerdings ist die anfangs lediglich eine DIN-A4-Seite lange Liste deutlich umfangreicher geworden und füllt nun alle vier Wochen ein mittleres Taschenbuch. Denn wo damals mit Olympia Rekord und Kapitän zwei Opel-Modelle standen, waren es 1965 schon 29 und in der letzten Ausgabe mehr als 3000. Insgesamt führt die Liste heute statt 35 weit mehr als 30.000 Typen. Und den Platz, den untergegangene Marken wie Borgward, DKW, Fuldamobil, Goliath oder Maico frei gemacht haben, nehmen nun Dutzende Importeure ein. Doch im Grunde geht es den inzwischen weltweit knapp 700 Mitarbeitern noch immer um den mathematisch möglichst korrekten Abgleich von Angebot und Nachfrage.

Detektivische Sammelarbeit auf dem Gebrauchtmarkt

Dabei setzen die Schwacke-Leute auf eine Vielzahl von Daten aus Tages- und Fachpresse, Internet und dem Autohandel. Die meiste Zeit studieren die Mitarbeiter in der Zentrale in Maintal Kleinanzeigen und gewerbliche Inserate, werten die internen Preislisten und die Firmenwagen-Portale der Hersteller aus oder surfen durch die Kfz-Börsen im Internet. Insgesamt werden so jeden Monat rund 700.000 Anzeigen registriert. Außerdem gibt es einen engen Draht zu den Händlern, die regelmäßig um Auskunft über die regionale Markt- und Wertentwicklung sowie über ihre Nachlasspolitik gebeten werden. Und zu guter Letzt arbeiten die Experten statistische Daten zu Neuzulassungen, Besitzumschreibungen, Bestandszahlen und Standzeiten ein.

All diese Preis- und Wertinformationen werden in einer großen Datenbank erfasst und analysiert. Dabei errechnet der Computer zunächst einen Mittelwert für jeden Fahrzeugtyp. Danach muss die Vorgabe noch mit der realen Erfahrung abgeglichen werden. Nur so können regionale Unterschiede wie etwa ein Überangebot an preisgünstigen VW-Modellen in Wolfsburg oder eine erhöhte Nachfrage nach sportlichen Cabrios auf Sylt sowie sonstige Eigenheiten des Marktes - etwa bei bevorstehenden Modellwechseln - ausgeglichen werden. Außerdem werden individuelle Fahrzeugdaten wie Laufleistung, Zulassungstermin und Sonderausstattung herausgefiltert, so dass in den Listen lediglich Durchschnittsmodelle mit durchschnittlicher Laufleistung, durchschnittlichem Zustand und serienmäßiger Ausstattung auftauchen.

Korrekturtabellen zur genaueren Berechnung

Um auf dieser Basis dann den tatsächlichen Wert eines Wagens zu ermitteln, benötigt man die sogenannten Korrekturtabellen, aus denen prozentuale Auf- oder Abschläge für die individuelle Laufleistung, den genauen Zulassungstermin oder die jeweilige Ausstattung herausgelesen werden können. Dort bekommt dann ein Wagen mit zusätzlicher Klimaanlage oder den als Extra bestellten Seitenairbags einen Bonus, während es für viele Kilometer oder eine Zulassung am Jahresanfang einen Abzug gibt. Das war in Schwackes erster Liste nicht anders: Für das Radio empfahl er einen Zuschlag von 120, für die Heizung 100, für das Doppeltonhorn 50 und für Weißwandreifen immerhin 80 Mark.

Nicht nur das Fahrzeugangebot und mit ihm der Umfang der Schwacke-Liste ist mit den Jahren gewachsen. "Auch die Transparenz für alle Marktteilnehmer stieg", sagte Schwacke rückblickend. Anfangs hätten die Händler auf zwei unterschiedlichen Listen für den Einkaufs- und den Verkaufspreis bestanden, damit ihnen bei Inzahlungnahme oder Verkauf niemand in die Karten schauen konnte. Doch die Zeiten seien vorbei: Die Liste führt längst alle Preise auf einem Blatt, und sie ist frei verkäuflich. Selbst wer mit der für Laien unübersichtlichen Publikation nichts anfangen kann, darf in Maintal auf Hilfe hoffen: Im Internet oder am Telefon gibt es auch für Privatleute eine Fahrzeugbewertung. Schlechte Geschäfte sind damit beim nächsten Handel weitgehend ausgeschlossen.

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